Sælde und êre - Zelte in der mittelalterlichen Literatur

Die Zeltbeschreibung im Eneasroman des Heinrich von Veldeke

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König Tybald reitet aus, während sein Zelt aufgeschlagen wird - Illustration zum Willehalm, Codex Vindobonensis 2670, um 1320

Kleiner Zwischenraum

Wenn adelige Große auf Reise gingen, dann richteten sie ihre Route nach Möglichkeit so ein, dass sie nächtens mit einer standes- gemäßen Unterkunft rechnen konnten. Sei es nun in der Feste eines befreundeten Herrn, im Gästehaus eines Klosters oder in einer passenden Unterkunft in der Stadt. Doch nicht immer war dies möglich. In solchen Fällen war es üblich Zelte mit sich zu führen, welche die heimatliche Burg während der Dauer der Reise zu ersetzen hatten.

Somit hatte das Reisezelt eines Adeligen nicht nur Wohnerfordernisse zu befriedigen sondern diente auch zur Statusdemonstration. Dementsprechend aufwändig konnten solche Zelte ausgeführt sein, aus wertvollsten Stoffen gefertigt, farbprächtig und mit figür- lichen Darstellungen und Mustern verziert.

In der mittelhochdeutschen Literatur findet sich seit der erstmaligen Aufnahme in Heinrich von Veldekes Eneasroman (um 1180 entstanden) zunehmend Beschreibungen derartiger Prachtzelte. Als Beispiel soll hier genau jene Textstelle aus der Eneit geboten werden, welche Eneas Zelt vor Laurentum beschreibt:

Eneasroman (9206ff.)

...
Die stolzen Troianer
schlugen nächtens das lager auf.
Für Eneas hatte man
ein geräumiges, hohes Zelt gebracht.
Das hatte ihm Frau Dido
aus Liebe geschenkt.
Es war kunstfertig gearbeitet
wie ich es euch genau beschreiben kann
Es stand schon von weitem sichtbar da
als wäre es ein Turm.
Zwanzig Saumtiere
hatten es nicht zu tragen vermocht.
Es wurde auf einem Hügel aufgeschlagen,
an einer sehr schönen Stelle,
die Eneas ausgewiesen hatte,
auf einer hohen Zeltstange.
Die Schnüre waren sehr fest,
wie dies zu sein hat.
Der Knauf (des Mastes) war aus Gold,
darauf saß ein goldener Adler.
Das Zelt war zweifarbig,
aus zweierlei Samtstoff.
Einen weiten Hof
steckte man um das Zelt ab
und umzäunte einen großen Platz.
Dies alles wurde um der Würde,
Macht und Schönheit willen ausgeführt.
Es stand wie gemauert.
Das konnte er sich leisten,
und es geschah nicht um der Wehrhaftigkeit wegen.
Ringsherum lagerte das Heer,
manch kühner Trojaner,
und viele schöne Zelte
wurden des Nachts dort aufgeschlagen.
...

Kleiner Zwischenraum

Anmerkungen:

Das adelige Zelt war ein Luxusgut. Dies zeigt sich schon in der Terminologie des Mittelhochdeutschen, welche deutliche Unter- schiede kennt: Neben den Bezeichnungen gezelt und zelt für das Herrenzelt findet sich auch die hütte. Der letztere Begriff meint kleinere, dachförmige Zelte, in welcher die Dienerschaft oder einfache Kämpfer untergebracht waren.

Daneben treten auch die aus dem Französischen übernommenen Begriffe pavilûn, poulûn auf, die ebenso wie preimerûn, ekub, treif, tulant besonders prachtvolle Prunkzelte meinten, Zelte, deren Transport tatsächlich zahlreiche Saumtiere oder Gespanne erforderlich machte. Man darf nicht vergessen, dass der Herr von Adel ja keinesfalls auf den gewohnten Komfort verzichten mochte, wenn das Zelt erst einmal aufgeschlagen war und daher wohl noch eine Menge an 'Einrichtungsgegenständen' mitzuführen waren: Von Seidendecken ist da die Rede, von Truhen, Sitzgelegenheiten, den Statussymbolen Lanzen, Banner, Schild, edelen Getränken, frischem Obst usw. Schließlich will man sich ja auch dann und wann mal etwas gönnen ...

Mittelalterliches Heerlager - Ausschnitt aus einem Fresco Simone Martini's, erste Hälfte des 14. Jhdts.

Das Zelt als Reisequartier fand sowohl in kriegerischen Zeiten im Heerzeltlager seine Anwendung (von welchem Einsatzzweck wir speziell seit dem späteren Mittelalter zahlreiche Abbildungen kennen, die häufig die aufwändigen Herrenzelte und die sehr einfach- en Unterkünfte der einfachen Kämpfer gemeinsam zeigen) wie auch in friedlichen Zeiten. Pilgerreisen, Hoftage, Turniere, große Feste - dies alles sind Ereignisse, für welche Zelte als Unterkünfte bezeugt sind.

So ist etwa beim berühmten Hoffest zu Mainz, das Kaiser Friedrich I. ('Barbarossa') zum Anlass der Schwertleite seiner Söhne ab- hielt, und das auch in der höfischen Literatur immer wieder Erwähnung fand. Von zwanzigtausend ritterlichen Gästen ist da die Re- de. Mag man vielleicht auch diese Zahlenangabe bezweifeln, so steht jedenfalls fest, dass es sich um ein Ereignis außerordent- licher Größe und besonderer Prachtentfaltung handelte. Klar, dass bei diesen Zahlen nicht alle Herren von Rang Aufnahme in stan- desgemäßen Quartieren finden konnten. So ließ der Kaiser als zusätzliche Unterbringungsmöglichkeit eine Zeltstadt errichten. Den- noch ließen es sich manch bedeutender Gast nicht nehmen, zum Fest mit eigenem Prunkzelt anzureisen.

Dass das Zelt ein prestigeträchtiger Luxusartikel war, geht auch daraus hervor, dass besonders prächtige Zelte oft Königen und Fürsten als Geschenke dargeboten wurden. 1157 etwa, weiß Rahewin zu berichten, schickte der englische König Heinrich II dem schon angesprochenen Friedrich Barbarossa neben anderen Geschenken 'ein riesiges prachtvolles Zelt. Wenn du nach seiner Größe fragst: Es konnte nur mit Maschinen und Werkzeugen aller Art und mit Stützen gehoben werden; wenn du nach seiner Beschaf- fenheit fragst: ich glaube, es kann weder im Material noch in der Ausführung jemals von irgendeinem Gerät dieser Art übertroffen werden.'

Einige Jahrzehnte später hatte dann der Kaiser als Folge des Verlusts Jerusalems erneut das Kreuz genommen und durchquerte auf seinem Zug 1189 Ungarn. Als kleines Präsent überreichte der ungarische König seinem Gast beim Durchzug ein Zelt, das laut Arnold von Lübeck so groß war, das zu seinem Transport drei Gespanne benötigte, eine Kuppel aus Scharlachstoff besaß und mit kunst- vollen Wandbehängen versehen war.

Besonders prachtvolle Zelte fanden sich aber auch in Byzanz und im Orient. Jenes, das Friedrich II., Barbarossas Enkel, 1232 vom 'Sultan von Babylon' als geschenk erhalten hat, sollen angeblich Bilder von Sonne und Mond geziert haben, die bewegt werden konnten und die durch ihren zeitgerechten Lauf die Stunden von Tag und Nacht anzuzeigen vermochten.

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