Sælde und êre - Themen und Motive in der Literatur

Hier mögt ihr nun einiges über Themen und Motive erfahren, welche sich mittelalterlicher Literatur häufig finden ...

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Lai du Cor - Keuschheitsprobe mittels eines magischen Trinkhornes

Der interessierte Leser sieht sich bei der Lektüre höfisch mittelalterlicher Literatur nicht selten mit einer Fülle von phantastische-grotesken Gestalten und Umgebungen konfrontiert. Dennoch erkennt er auch einen stets wiederkehrender Kanon von Themen und Motiven. Da finden sich Festschilderungen, Hilfs- gesuche, Abenteuerfahrten, Minnedienste, Bewährung beim Turnier, der Kampf mit Feinden aber auch mit dem nichterkannten Freund und Vieles mehr.

Wen wundert's, dass im Zeitalter der Trobadors und Trovéres, der begnadeten Sänger und Minnedichter, eines Walther von der Vogelweide, Gottfried von Straßburg, eines Heinrich von Morungen und wie sie alle heißen, die Minne ein zentrales Thema in all diesen Erzählungen darstellt. Der Poet, der Ritter, der hohe Herr, sie alle schmachten - zumindest in der literarischen Wirklichkeit - nach einem Gruß der Angebeteten, nach einem Kuss oder, ich wage es nur mit Erröten auszusprechen, gar nach mehr.

Erstaunlich freizügig erscheinen sie uns, manche jener Textstellen, die zu unserer Freude die Zeiten über- dauert haben. Und jene Textstellen finden sich durchaus nicht nur in zotigen Schwankerzählungen, Trink- liedern, oder der französischen Fabliau, nein auch in den arthurischen Romanen kann es hoch und heiß hergehen. Nun gut, gestehen wir schließlich zu, ein freizügiges Zeitalter, zumindest wenn's denn die Li- teratur betrifft. Und schließlich nehmen wir schon mal die eine oder andere Freizügigkeit, natürlich nur wenn's unbedingt sein soll, gerne in Kauf.

Doch überraschenderweise müssen wir dann beim weiteren Studium der mittelalterlichen Werke ent- decken, dass diese Freizügigkeit von den Helden der Erzählungen nicht so ohne weiteres ausgelebt werden darf. Zumindest den Damen stand nämlich eine solche nicht gut zu Gesichte. Und, um keine Irrtum aufkommen zu lassen, ich spreche jetzt nicht von geistlichen Autoren, denn die mussten ja schon des Berufes wegen all die amorösen Abenteuer verdammen, nein, auch im höfischen Roman galt es, gewisse Galantheiten tunlichst nicht ans Licht kommen zu lassen. Denn dann konnte man sich schon mal des Spottes und des Gelächters der Standesgenossen ausgesetzt sehen ...

Doch trotz aller Vorsicht lässt sich Vieles nicht verheimlichen von all den Tächtelmächteln die sich da ereig- nen. Denn die arthurianische Welt wird nicht nur von den vorzüglichen Rittern der Tafelrunde und ihrem Herrn bevölkert, die allesamt dazu neigen tapfere Taten dem Denken vorangehen zu lassen, von den vielen meist schönen bis unbeschreiblich schönen Damen, die immer wieder einer starken, hilfreichen männ- lichen Hand und breiter Schultern zum Anlehnen bedürfen. Nein, es tummeln sich da nebst anderen Unge- heuerlichkeiten auch noch eine Menge an Feen in der Gegend, von denen immer wieder die eine oder an- dere einen Groll hegt - wir kennen das ja hinglänglich vom Dornröschen.

Und obwohl nun die vorzüglichen Herren zwar gerne fremde Damen retten, schützen und ihnen mit Leben und vor allem auch mit Leib zu Diensten sind, sehen sie ihre eigene Dame oder Freundin, die während- dessen am heimatlichen Hof des Abenteuernden entgegenschmachtet, ungern gleichartigen Diensten durch Standesgenossen ausgesetzt. Wenn wundert's also, dass Keuschheits- und Tugendproben ein ausge- sprochen beliebte Motive in der zeitgenössischen Literatur sind, sei es im Schwank, sei es in klassischen Werken wie etwa Gottfrieds Tristan. Natürlich sind es meist nicht die Herren und Damen selbst, die der- artige Proben initiieren. Warum wohl? Nein, häufig sind es diese grollenden Feen, von denen schon ge- sprochen wurde, die zum Leidwesen der Romanhelden und zu unserer Freude Unfrieden säen. Zumindest hängt fast immer einen von denen mit im Geschehen drinnen ...

So geschieht es auch in Robert Bikets 'Lai du Cor', einer französischen Erzählung, die um 1170, also unge- fähr zur selben Zeit entstanden sein dürfte wie die ersten Romane Chrétien de Troyes und die sich inhalt- lich vermutlich auf keltische Erzählungen zurückführen lässt. Ist doch der Held der Lai, Garadoc, in England bereits lange schon bekannt, ehe die internationale Arthusrezeption einsetzt. In besagter Erzählung wird die Keuschheitsprobe mittels eines elfenbeinernen, prächtig verzierten Trinkhornes, das magische Eigen- schaften besitzt, thematisiert.

Der beste aller Könige, Artus, residiert zu Pfingsten wieder einmal in Carlion und hat dazu, wie es sich für einen Herrscher seines Formats geziemt, ein rauschendes Fest ausgerichtet. Zwanzigtausend Ritter sollen es sein, die seine Tafeln bevölkern und für jeden dieser Herren ist auch eine passende Dame zugegen - Eheweib, Freundin oder Schwester, wie es im Text heißt. Rechtzeitig, während nämlich gerade gespeist wird, trifft ein junger Bote ein und bringt dem König ein wertvolles Geschnek dar: ein wunderbares Trink- horn, gesendet vom schottischen König von Moraine - dessen König Urien mit der Fee Morgue oder auch Morgaine vermählt ist, der Schwester des Artus. Wir ahnen es: Die gute Schwester hat ihre Finger im Spiel und wohl keine lauteren Absichten.

Nachdem der Bote Artus Versicherung entgegengenommen hat, dass er dem Absender des Horns für das Geschenk 'weder dankbar sein, noch ihm dafür zürnen wolle', überreicht er dem König das Präsent und macht sich sicherheitshalber raschest aus dem Staub. Artus entdeckt eine Inschrift im Goldschmuck des Horns und lässt seinen Kaplan holen, um sich die Schrift vorlesen zu lassen. Offensichtlich verschwendet keiner der anwesenden Herren Ritter seine Zeit mit etwas so Trivialem wie dem Lesen ... Der Kaplan liest mal rasch leise über den Text - und versucht den guten König zu überzeugen, dass man den Inhalt besser nicht verlautbaren sollte.

Umsonst, Artus will seinen Festgenossen nichts verheimlichen und so erfahren alle Anwesenden staunend von den zauberhaften Fähigkeiten des Horns. Nur jener, so besagt die Inschrift, vermag aus dem Horn zu trinken, dessen Dame ihm noch niemals untreu gewesen. Und zwar weder in Taten, noch auch nur in Ge- danken! Harte Bedingungen! Klar, dass alle anwesenden Damen, außer die ganz jungen, die noch keinen Freund haben, betreten den Kopf senken und dezent zur Seite blicken. Frau will in diesem Moment schließ- lich nicht unnötig auffallen.

Da in der Inschrift boshafterweise zudem noch vermerkt ist, dass es wohl keinen Herrn gäbe, der unter diesen Bedingungen daraus trinken könne, fühlt sich der gute, aber nun zornige König Artus natürlich so- fort bemüßigt, mannhaft die Keuschheit seiner Königin Guinevere zu beweisen. Auf der Stelle, vor all den versammelten Lehnsleuten. Nun ist dem geneigten Leser sicher aus anderen Quellen bekannt, dass Guinevere in besagter Angelegenheit wohl tugendreich, aber nicht unfehlbar ist. Und so kommt es, wie es kommen muss: Der Inhalt des Trinkhornes ergießt sich über den König. Über diese Demütigung verständ- licherweise erzürnt, greift sich der gute Artus einen Dolch, um seiner geliebten Gemahlin kurzentschlossen den Garaus zu machen, kann aber von einigen Rittern an der Ausführung seines Vorhabens gehindert werden.

Die Königin versichert, ja ruft ein Gottesurteil an, dass es sich um eine Kleinigkeit handle, um derentwillen der Gemahl nun wie der begossene Pudel vor ihr steht. Man einigt sich schließlich darauf, jeden der anwe- senden liierten Herren aus dem Horn trinken zu lassen, was bei mancher Dame wohl leichtes Unbehagen auslöst. Egal, wenn der oberste Lehnsherr es befiehlt, dann hat man zu trinken. Und einer nach dem an- deren, seien es nun die anwesenden Könige, Fürsten oder Ritter, ist jeder nach dem Trunke der Begosse- ne. Ohne Ausnahme! Welch Vergeudung, welch Horrorvorstellung für jeden Vinothekinhaber, man bedenke dies, die Unmengen guten Weines, die da ver- schüttet wurden, von zwanzigtausend Rittern und Herren.

Das nun wiederum heitert die Laune des guten Artus wieder auf, lachend vergibt er der Königin, ist er doch der Meinung, dass wohl kein Mann aus dem Zauberhorn trinken könne. Doch sagten wir vorhin, alle Ritter ohne Ausnahme hätten es versucht? Nein, einer war noch nicht an der Reihe, der stattliche, heldenhafte Garadoc und seine feengleiche Gemahlin muntert ihn sogar dazu auf, es zu versuchen. Und wirklich findet die Geschichte ihr gutes Ende, denn Garadoc leert das Horn bis zum Grund - anderthalb Lot besten roten Wein - ohne auch nur einen Tropfen über sich zu ergießen.

Damit ist nun die Ehre des Hofes gerettet und Artus belohnt seinen Helden, indem er ihm dessen Besitz- ungen bestätigt und sie seiner Familie erblich macht. Die tugendreiche Gattin aber, die einzige am ganzen Hof, die kein einziges Mal Untreue, übte wird mit dem wertvollen Trinkhorn beschenkt. Eine weise Ent- scheidung des guten Königs, schließlich muss man sich ja durch so ein umherliegendes Utensil nicht andauernd an Unangenehmes erinnerlassen. Zumal Garadoc ohnehin der Einzige ist, der aus dem Horn zu trinken vermag.

Nun verstehen wir auch, welche Bedeutung es wohl hat, wenn davon die Rede ist, dass eine Gattin ihrem Angetrauten 'Hörner aufsetzt'. Nichts Gutes, jedenfalls für ihn. Abschließend bleibt uns nur noch zu hoffen, dass der königliche Weinkeller in Carlion gut ausgestattet ist, so dass der gute Artus und seine ausge- zeichnete Gefolgschaft Mahl und Fest nach überstandener Keuschheitsprobe und Gewandungswechsel endlich ungetrübt fortsetzen können ...

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