Saelde und Ere - Mittelhochdeutsche Werke

Mittelhochdeutsch und mittelhochdeutsche Literatur

Textausschnitt aus dem Willehalm von Wolfram von Eschenbach, Wiener Codex 2670

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Die Entwicklung eines neuen adeligen Selbstverständnisses beeinflusst auch die Dichtung ..

Mittelhochdeutsche Schreibung - so könnte wohl der Wunschtraum eines jeden ortographiegeschädigten Schülers aussehen. Schließlich gab es im Mittelalter, und auch noch Jahrhunderte danach, keinerlei feste Regeln, wie denn nun korrekt zu schreiben sei. Man schrieb so, wie man es für richtig hielt, soferne man überhaupt der Schrift mächtig war. Kleriker gehörten zu den Wenigen, die Sprache schriftlich festhalten konnten, vielleicht auch noch Angehörige des Adels und Kaufleute.

Der großen Mehrheit der Bevölkerung mussten Inhalte in Form von Darstellungen vermittelt werden, in Form von Statuen und Steinmetzarbeiten, wie sie die Kirchen und Kathedralen zieren, in Form von Heiligenbildern und großartigen Glasmalereien. Allesamt Darstellungen, in denen jeder Gegenstand, jeder Blick, jede Handbewegung und -stellung von symbolträchtiger Bedeutung sind.

Figureske Verzierungen an der Fassade des Stephansdoms zu Wien

Und natürlich erfolgte die Vermittlung von Inhalten über die Sprache. Aber die einheitliche mittelhochdeutsche Sprache gab es gar nicht. Man unterhielt sich in einer Menge lokaler Dialekte - so wie dies auch heute noch am Land der Fall ist. In den bairisch-österreichischen Gebieten sprach man anders als in Sachsen oder in Lothringen. Medien wie heutzutage Rundfunk und Fernsehen, die eine Angleichung von Dialekten bewirken, existierten nicht.

Mit der höfischen Literatur, der ersten Blütezeit deutschsprachiger Literatur, die ihren Beginn in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts hatte, angeregt durch französisches Vorbild, fand eine gewisse Normierung statt: Nicht nur fahrende Sänger waren zwischen den Höfen der Mäzene unterwegs, sondern auch Handschriften wanderten, um als Vorlagen für Abschriften zu dienen, welche sich reiche Herren zu leisten imstande waren. Gewisse Ausdrucksformen kehrten immer wieder, Redewendungen, die bald zum Repertoire der Dichter gehörten, stehende Floskeln. Man kannte sich, man schätzte sich oder kritisierte den Konkurrenten in seinen Werken (Man denke nur an die Ablehnung des Werkes Wolframs durch Gottfried von Straßburg).

In dieser Zeit entwickelte sich deutsche Sprache und mit ihr ein neues Selbstvertrauen zu ihrer Verwendung. Hatte sie bisher nur dem Volk bei der Erledigung ihrer Verrichtungen gedient, während die schriftliche Produktion dem Latein der Geistlichkeit vorbehalten blieb, änderte sich in jener Epoche die Haltung und das Selbstverständnis des Adels. Man fühlte sich als Teil einer ausgezeichneten Kriegerkaste, als Ritter, der sowohl der Kaiser als auch der einfache Ministeriale angehörten. Man kämpfte auf die selbe Art und man eiferte den selben Vorbildern nach. Vielleicht waren es die Auswirkungen der Kreuzzüge, der Dienst als christlicher Krieger Gottes, die Auseinandersetzung mit anderen Denkweisen und die dadurch ausgelöste Erweiterung des Weltbildes, welche bei den Herren diese Einstellung hervorbrachten.

Jedenfalls begann sich der Adel vom kulturellen Einfluss und der Dominanz des Klerus zu emanzipieren: Nicht mehr ausschließlich die Heilsgeschichte und die Viten der Kirchenväter verdienten es, aufgezeichnet zu werden, sondern nun wollten die Herren Geschichten über Artus, 'dem besten aller Könige' hören, von den Abenteuern seiner Ritter, vom Untergang der Burgunden, vom Kampf gegen die Ungläubigen. Sie entdeckten die höfische Liebe, den Dienst an der Minnedame. Sie wollten, dass die Gesänge an ihrer Tafel die Taten ihresgleichen feierten. Und dies sollte nicht mehr im Latein der Geistlichkeit erfolgen, sondern in jener Sprache, die man selbst sprach und verstand.

Prächtige illustrierte Handschriften entstanden, in denen sich Selbstbewusstsein und Lebensgefühl des Adels ausdrückten - Willehalm Codex 2670.

So entstanden jene großen Werke, erstand jene frühe literarische Blüte, in einer verhältnismäßig kurzen Periode. Wolfram von Eschenbach selbst entwarf nach einer Vorlage von Chretien in seinem Parzival eine großartige Vision von den Aufgaben der Ritterschaft. In dieser seiner Utopie überwindet der Held schließlich die weltlichen Belange des Artusritters, um im Gralskönigstum die Bestimmung des Rittertums zu vollenden. Bezeichnenderweise benötigt er auf diesem Weg keinerlei Unterstützung der offiziellen geistlichen Hierarchie.

Die Sprache dieser Werke Wolframs, Gottfrieds, Hartmanns und all der anderen ist Mittelhochdeutsch. Eine Sprache, die wie bereits erwähnt, nicht einheitlich ist, sondern eine Reihe von lokalen Dialekten kennt. Eine Sprache, die sich gerade erste entwickelt und vom Latein emanzipiert (wieviele lateinischen Lehnswörter zeugen vom großen Einfluss). Eine Sprache, in die gerade in jener Zeit eine Menge an französischen Ausdrücken einfließt, war doch Frankreich das kulturelle Vorbild jener Kriegerkaste, für die diese Epen entstanden.

Und nicht zuletzt handelt es sich um eine Sprache, in der die Begriffe und Bedeutungen noch nicht so scharf ausgeprägt und definiert sind, wie dies in unserem modernen Deutsch, nach einer Entwicklung von über 1200 Jahren, der Fall ist. So kann ein Begriff, ein Wort eine ganze Menge von Bedeutungen annehmen, abhängig davon, in welchem Zusammenhang es gebraucht wird. Dies und nicht etwa die Fremdartigkeit der Schreibweise stellt vor allem die große Schwierigkeit für uns dar, wenn wir einen mittelhochdeutschen Text lesen. Um zu verstehen, wie ein Inhalt zu deuten ist, müssten wir eine ganze Menge über die damalige Mentalität, die Denkweise, das Weltbild derjenigen Bescheid wissen, denen der Text zugedacht war. Vielfach werden wir dazu gar nicht mehr in der Lage sein und bestenfalls Vermutungen anstellen können. Manches wird uns fremdartig vorkommen, doch dann entdecken wir auch wieder Gedanken, Sorgen und Hoffnungen, die unseren eigenen sehr ähnlich sind.

Was wir jedoch immer noch vermögen, ist die Schönheit dieser Werke und die Kunstfertigkeit ihrer oft anonymen Autoren zu bewundern, die aus einer längst vergangenen Zeit zu uns sprechen.

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