Saelde und Ere - Mittelhochdeutsche Originaltexte

'Die Katze' des Strickers - oder 'Wider unkeusche Männer'

Katze mit Maus: Ausschnitt einer Illustration des Luttrell-Psalters; England, um 1340

Potzblitz! Da ist es uns doch tatsächlich gelungen, eine mittelalterliche Fabel des Strickers auszugraben, der es widerum gelingt, uns verdorbener Männerwelt den erhobenen Zeigefinger vors stets beutegierig umherschweifende Auge zu halten: Zur Belehrung und ein wenig auch zur Unterhaltung; den Inhaberinnen solch Prachtexemplare, wie sie weiter unten geschildert werden, zum Trost - wenn es denn ein Trost ist, zu wissen, dass dergleichen unseren besseren Hälften schon vor rund achthundert Jahren aufgelauert hat -, dem Rest der Damenwelt zur Warnung ...

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Katzen Art

Das ist jeder Katze Art:
sieht sie vor sich unbewacht
hunderttausend Essen stehen,
wollte sie zu allen gehen.
Wenn sie nichts essen könnte
und nichts für sie wäre,
so würde sie's doch verunreinigen,
das alles zusammmen
den Leuten abstoßend
und zum Essen ungenießbar wäre.
Genauso macht's ein unkeuscher Mann,
der nicht so viele Frauen
erobern kann, wie sein Herz begehrt.
Er versucht's bei werten und unwerten:
Jene, denen nichts an seinem Verlangen liegt,
von denen will er doch nicht lassen.
Er nascht an schlechten und an guten.
Tut ihm eine nicht seinen Willen,
der wird er dennoch seine Aufwartung machen,
um sie schwach zu machen,
damit sie ihm schließlich doch gefügig wird.
Er wirbt hinterrücks oder auf direktem Weg
und verhält sich dabei nach Katzenart.
erntet er dadurch Katzenlob,
scheint mir das nur billig:
Er tut's der Katze gleich.
Ihr beider Tun beweist,
dass man ihren Ruf vergleichen soll.

Ditz ist von den katzen

Daz ist ieslicher katzen muot:
sæhe si vor ir unbehuot
hundert tûsent ezzen stên,
si wolde zuo in allen gên.
daz si niht gezzen möhte
und ir zu nihte entöhte,
daz machete si doch unreine,
daz si würden elliu gemeine
den liuten ungenæme
und ze ezzen widerzæme.
alsam tuot ein unreiner man,
der nimmer sô vil wîbe enkan
gewinnen, als sîn herze gert.
er versuichet wert und unwert:
die er niht minne mac gewern,
die wil er dannoch niht verbern -
er benaschet bœse unde guot.
diu sînes willen niht entuot,
der will er doch warte machen
und wil sie dâ mut swachen,
daz si im ze jungest werde reht.
er minnet krumbe unde sleht
und hât vil gar der katzen site.
bejaget er katzenlop dâ mite,
daz dunket mich vil billîche:
er tuot der katzen vil gelîche.
ir beider werc bewærent wol,
daz man ir lop gelîchen sol.

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Anmerkungen:

So harmlos beginnt's: Mit der Schelte der Katze und mit ihrem unbestillbaren Verlangen, an allem zu naschen, was denn irgendwo zu fassen ist. Vordergründig als Fabel also, von denen der Dichter einige geschaffen hat. Doch plötzlich wandelt sie sich zur Schelte eines jeden Möchtegerncasanovas und Westentaschen-Don Juans. Aber, meine Herren, seien wir ehrlich: Naschen an den Guten und den Schlechten, tss, tss, tss ... anbaggern was nur den Kopf bewegt, jedem Rock hinterher hecheln, das ist doch tatsächlich keine Art - selbst denn nicht, wenn man gar nicht in Schottlands Highlands weilt.

Und damit erst gar kein Missverständnis aufkommt: Mit Katzenlob ist in obenstehenden Versen keine Belobigung gemeint - ganz im Gegenteil! Aber wer war denn dieser Stricker, der so gut Bescheid wusste über die Vorliebe manch seiner Geschlechtsgenossen? Nun, wir wissen's nicht genau - leider. Viel mehr als einige Anmerkungen aus seinen beiden größeren Versromanen, dem (untypischen) Artusroman 'Daniel von dem blühenden Tal' und der Kreuzzugsdichtung 'Karl', seine Nennung bei Rudolf von Ems und Überlieferungen, über deren Wahrheitsgehalt wir kein schlüssiges Urteil mehr abgeben können, besitzen wir nichts.

Aufgrund gewisser sprachlicher Eigenheiten, glaubt man eine fränkische Abstammung vermuten zu können, Anspielungen innnerhalb seiner Texte verweisen auf ... nun ja ... auf Österreich als seine Wirkungsstätte (wobei wir hier betonen möchten, dass der typische männliche Österreicher keinesfalls dem oben geschilderten Männertyp entspricht; wenn schon, dann doch eher der Franke ... entschuldigung). Selbst sein Name gibt Rätsel auf: War's die Berufsbezeichnung eines Seilers, ein Familienname oder ein 'sprechender' Künstlername, wie bei andern Sängern durchaus üblich (Frauenlob, der Marner, usw.)?

Durchaus möglich, dass er dem Stand der Fahrenden angehörte, und als solcher Fahrender sein Publikum, das wohl vorwiegend aus Mitgliedern des Patriziates, des Landadels und der Geistlichkeit bestand, irgendwann zwischen 1210 und 1250 an wechselnden Orten unterhielt - mit seinen Werken, die überwiegend dem Bereich der Kleinepik angehören: neue Gattungen, wie etwa der Zechrede, der Minnerede oder die erfolgreichen Verserzählungen mittleren Umfangs, die er zum Teil erst in die deutschsprachige Dichtung eingeführt hat - und alles jedenfalls mit einem gehörigen Schuss Humor. Oder sollte man besser sagen Sarkasmus - zu dem ihm die genaue Beobachtung der Eigenheiten (nicht nur) seiner Zeitgenossen verdammte?

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