Saelde und Ere - Mittelhochdeutsche Originaltexte

Ein kneht, der lag verborgen

Herr Steinmar versteht es, manch weltliche Freude zu genießen, hier - im Kreise seiner Freunde - sind es Speis und Trank, im Lied andere ..., Abbildung aus dem Codex Manesse

Der Sommer naht und damit auch die Zeit, in der Mann und Weib nicht gerne in stickiger Kammer schlafen. Da sind die Scheunen voll, und manch einem zieht es in den Nächten ins weiche Heu und ins knisternde Stroh. Wenn dem so ist, dann soll es schon einmal vorkommen, dass dort, in der Scheune, mehr knistert als nur das trockene Stroh. So zumindest weiß uns Herr Steinmar in seinem Lied zu berichten. Aber Achtung, seid gewarnt: Wenn ihr den noch kindelein seid, noch keine 21 Jahr, dann lasst das Lesen sein, auf dass der Text nicht verdorbene Gedanken in euch erwecke ...

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Kleiner Zwischenraum

Ein Knecht, der lag verborgen

Ein Knecht, der lag verborgen
und schlief bei einer Magd
bis zum hellen Morgen.
Der Hirte rief laut:
'Auf, lass die Herde heraus!'
Darüber erschraken die Magd
und ihr lieber Freund.

Er musste das Stroh räumen
und von der Liebsten gehen.
Er durfte sich nicht säumen,
er nahm sie in den Arm.
Das Heu, das ihn bedeckte,
das sah die Hübsche
auffliegen in den Tag.

Davon musste sie lachen,
ihr sanken die Augen zu.
So süß wusste er zu machen
am frühen Morgen
das Bettspiel mit ihr.
Wer sah ohne allen Aufwand
jemals so große Freuden?

Ein kneht, der lag verborgen

Ein kneht, der lag verborgen,
bî einer dirne er slief,
Unz ûf den liehten morgen.
der hirte lûte rief:
'Wol ûf, lâz ûz die hert!'
des erschrak diu dirne
und ir geselle wert.

Daz strou, daz muost er rûmen
und von der lieben varn.
Er torste sich nicht sûmen,
er nam si an den arn.
Daz höi, daz ob im lag,
daz ersach diu reine
ûf fliegen in den dag.

Davon si muoste erlachen,
ir sigen diu ougen zuo.
So suozze kunde er machen
in dem morgen fruo
Mit ir daz bettespil.
wer sach ân geræte
je fröiden mê so vil?

Kleiner Zwischenraum

Anmerkungen zu Werk und Autor:

Der Morgen naht, ein Ruf erschallt, und Mann und Frau müssen sich trennen, um nicht ertappt zu werden bei ihrem Tun. Diese Konstellation, die den Abschied den Abschied der Liebenden beim Morgendämmern zum Inhalt hat, kennen wir - etwa vom berühmten Friedellied des Dietmar von Aist. Es ist das sogenannte Taglied, das uns die Leiden zu kurzer Nächte näherbringt. Hier, in Herrn Steinmars Lied, ist's ähnlich - und doch anders.

Hier spielt sich das Geschehen nämlich nicht in der Kammer der hohen Frau ab, nein, diesmal is das Geschehen in das bäuerliche Milieu verlegt. Scheune statt Kemenate, Magd statt Dame. Ob wir unter dem Knecht nun tatsächlich den bäuerlichen Gehilfen zu verstehen haben, oder ob es sich nicht eher um einen Knappen handelt (die mittelhochdeutsche Literatur verwendet den Ausdruck 'knecht' häufig auch in diesem Sinne, passt doch der innesteckende Begriff des Dienens auch in diesen Zusammenhang), lässt sich aus dem Kontext des Liedes nicht zweifelsfrei entscheiden. Mehrheitlich vermutet die Sprachwissenschft aber in dem beschriebenen Glückspilz den bäuerlichen Knecht ...

Auch über den Autor besteht keine hundertprozentige Gewissheit. Vierzehn Lieder verzeichnet die Große Heidelberger Liederhandschrift unter dem Namen Steinmar. Der Stil, in der diese Lieder gehalten sind, weist auf eine Entstehungszeit in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts hin, weitere Hinweise, wie etwa die Erwähnung der Teilnahme an einem Kriegszug (wohl an der Seite Rudolfs von Habsburg gegen Ottokar von Böhmen) auf eine Entstehung vor 1275.

In der in Frage kommenen Zeit werden mehrere Persönlichkeiten mit dem Namen Steinmar urkundlich erwähnt, als Favorit gilt der Forschung Herr Berthold Steinmar von Klingnau, der ein Ministeriale des Minnesängers Walther von Klingen war. Und der wiederum hatte enge Beziehungen zu Rudolf, was seine und die Teilnahme seiner Gefolgsleute an Rudolfs Händeln wahrscheinlich erscheinen lässt. In später datierten Urkunden wurde dieser Berthold übrigens als 'miles' - Ritter - bezeichnet.

Und was, so fragen wir uns, mag einen Herrn dazu bewogen haben, im beschriebenen Lied von der Beschreibung der Hohen Minne (natürlich kannte und gebrauchte er auch die klassischen Formen) abzugehen und sich - durchaus parodistisch-komisch - den eher handwerklich-praktischen Aspekten der Liebe zuzuwenden? Nun, vielleicht liegt der Grund darin zu suchen, dass dem Publikum manches Mal nach Derbem und Anschaulichen zumute war, das man so drastisch Eindeutiges aber schwerlich unter Verwendung der hohen Dame schildern wollte. Die war schließlich für die Hohe Minne reserviert.

Also her mit der Bauernmagd, mag sich der Schurke da gedacht haben, und dann bieten wir dem Publikum Deftiges - mittelhochdeutschen Porno gleichsam. Immerhin hat er der Magd dabei einiges an Freuden zugestanden, denn der tüchtige Knecht versteht sich so gut im (Bette-)Spiel, dass das Stroh sie vor Entzückung in den Tag, oder wie man auch übersetzen könnte, in den Himmel auffliegen sieht - ein Geschehnis, was in der geschilderten Situation wohl kaum als christliche Entrückung anzusehen ist.

Und doch lässt uns Steinmar in Sorge zurück: Ob denn die Arbeit am Hofe an diesem Tag rechtzeitig erledigt wurde? Ob die Herde rechtzeitig auf die Weide getrieben, wenn unserer Hübschen ob der vielen Freuden die Augen zufielen danach. Nun, die Ruhe sei ihr gegönnt, schließlich hat man sich nach solch anstrengendem Tun zu erholen; die nächste schwüle Sommernacht kommt bestimmt ...

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