Sælde und êre - Etymologie: Von der Herkunft der Wörter

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Die alte Hex'

Vor dem Abheben vielleicht noch ein bißchen Flugsalbe gefällig? Federzeichnung von Hans Baldung, genannt Grien, 1514

In unserer kleinen Reihe über die Herkunft der Wörter, soll diesmal eine gute, alte Freundin aus Kin- dertagen die ihr zustehende Würdigung erfahren. Ganz klar, werdet ihr sagen, um wen es sich hierbei handelt; die alte Hex ist es, die aus dem Pfefferkuchenhaus herausschaut und die lieben Kleinen zum Schlemmen manch verlockender Leckereien einlädt, die Heldin, die uns die Grimm'schen Märchen bis zum Nägelkauen spannend gemacht hat.

Doch halt; gleich zu Beginn sei's angemerkt: Es gibt denn nicht nur alte Hexen, sondern auch junge, hübsche und somit äußerst attraktive Vertreterinnen dieser Art, deren Tätigkeit nicht zuletzt im Auf- tragen diverserer Flugsalben auf den dankenswerterweise nackten Körper besteht. Nun, das wollen wir extra betonen, diese meinen wir von Sælde und êre nicht, wenn's darum geht eine Ofentür zu öff- nen und Bösewichtinnen ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Überhaupt hat in unseren Augen eine richtige Hexe trotz alledem alt und runzelig zu sein, verschlagen und bösartig, stets auf Schaden aus und auf einen guten Happen Kinderfleisch. Und eine dicke Warze auf der Nase muss sie allenthalben haben! Punktum! Die Hübschen? ... Da liegt sicherlich nur eine Verwechslung vor - und wenn nicht, dann wollen wir ihnen zumindest Gelegenheit geben sich zu bessern.

Über die Hexe gäbe es jede Menge zu schreiben, nicht bloß einen, zwei oder fünf Beiträge. Selbst mit einem Dutzend würden wir noch nicht das Auslangen finden. Wir planen eine derartige Artikelsereie, haben uns aber nach reiflicher Überlegung entschlossen, diese erst zu starten, wenn wir unsere Re- cherchen zum weiten Themenbereich des Schutzzaubers abgeschlossen haben. Sicher ist sicher ...

Hinter dem Begriff der Hexe verbergen sich unterschiedlichste Vorstellungen, die sich erst im ausge- henden Mittelalter, ja später noch, unter dem Einfluss der Hexenverfolgungen zu jenem Bild verdich- teten, das heutzutage (parallel zur Märchenhexe) vor unseren Augen entsteht, wenn wir von einer Hexe sprechen. Zuvor führen die Spuren zurück in die antike Vergangenheit, in den Orient, aber auch in die germanische Mythologie, wo von Schadzauber die Rede ist, von Tierverwandlungen und nächt- lichen Flügen, von Kinderfresserinnen und Blutsauger- innen - aber eben unter verschiedenen Namen, wie etwa lateinisch als lamia, furia, striga oder bei uns als Unholde.

Obwohl sich die Bezeichnung Hexe - wenn auch selten - bereits im Mittelhochdeutschen als hexse, hecse, hesse oder hegxse finden lässt, beginnt auch sie erst mit ausgehenden Mittelalter, ja teilwei- se erst im 16. oder 17. Jahrhundert, ausgehend vom alemannischen Raum, all die anderen Bezeich- nungen zu ersetzen. Die althochdeutschen Formen dazu lauten hazus, hazussa, hazissa oder hagazussa .

Nun meint das althochdeutsche hag wie das mittelhochdeutsche hac eine Einhegung, die schützende Hecke oder den Zaun, die Einfriedung oder auch einen umfriedeten Ort (vergleiche Ortsbezeichnun- gen wie etwa Windhag). Das Grundwort zus(sa) meint man auf das indoeuropäische dheus zurückzu- führen können, in dem u.A. die Bedeutungen Gespenst, Dämonin, Geist stecken. Somit könnte man sich die Grundbedeutung des Wortes mit einer Unholdin erklären, die auf dem Zaun hockt, der das Dorf von der Wildnis trennt. Andere Erklärungsversuche deuten den Zaun als Stecken, auf dem die Dämonin reitet - eine Erklärung, die wiederum auf den beliebten Hexenbesen hinzuführen scheint.

Wir neigen dazu, der ersteren Bedeutung zu bevorzugen; ein unheimliches Wesen, an der Grenze zwi- schen Zivilisation und Wildnis angesiedelt oder - in psychologischer Deutung - an der nicht weniger trennenden Grenze zwischen Bewusstem und Unbewusstem, das von dort aus seinen Schadenszau- ber wirkt. Eine solche Vorstellung musste starke Wirkung auf Menschen gezeigt haben, deren Modell der Umwelt stark von Aberglauben geprägt war.

Diese Urbedeutung der Hexe findet sich am ehesten noch im Märchen wieder - schließlich steht das Pfefferkuchenhaus im tiefen Wald und auch das Heim der Baba Jaga ist stets weit abseits der Zivili- sation anzutreffen. Jenen andere Vorstellung von den Menschenfrauen, die eine Buhlschaft mit dem Teufel eingegenagen sind, ist jüngeren Datums; der genaue Verhaltenskanon derartiger 'moderner' Hexen hat sich im Zeitlater der Inquisition herausgebildet.

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