Sælde und êre - Etymologie: Von der Herkunft der Wörter

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Zaubermächtiges Raunen

Männliche und weibliche Alraune, Hortus sanitatis, um 1500

Etymologie, so mag der eine dem anderen heimlich zuraunen, während er diesen Artikel liest, ist doch eine langweilige Sache. Was soll's, sich mit der Geschichte und der Herkunft von Wörtern zu befas- sen. Aber spätestens bei diesem Raunen haben wir ihn ertappt und endlich die Gelegenheit erhalten, wieder einmal belehrend den Oberstudienratsfinger zu heben (wenn wir denn ein solcher wären - nämlich ein Oberstudienrat.) Was denn, fragen wir, unterscheidet denn den Vorgang des Flüsterns von dem des Raunens. Oder, was ist denn die ursprüngliche Bedeutung des Wortes 'Raunen'?

Versuchen wir also der Sache - oder besser der Tätigkeit - auf den Grund zu gehen. Da findet sich im fernen 8. Jahrhundert das althochdeutsche rûnên, etwas später das mittelhochdeutsche rûnen oder auch rounen in der Bedeutung von eben flüstern, also heimlich und leise reden. Auf den ersten Blick scheint es also, als hätten wir es mit einem einfachen Synonym für unser geläufiges Flüstern vor uns, eine Gefälligkeit für Autoren um allzu häufige Wortwiederholungen zu vermeiden. Rückgriffe ins Alt- sächsische (rûnon) oder Altenglische (rûnian) scheinen diese Annahme vorerst zu bestätigen.

Um tatsächlich fündig zu werden, müssen wir uns schon tiefer in die Vergangenheit zurückwagen beziehungsweise uns (aus unserer Sicht) etwas exotischer Sprachen bedienen. Dann nämlich finden wir das altnordische ryna, das neben der bereits geläufigen Bedeutung 'sich vertraulich unterhalten' auch 'Runenzauber ausüben' meinen kann. Und da sich im Gotischen gar das Substantiv runa findet, das die Bedeutung 'Geheimnis' hat, ahnen wir, dass die Wurzeln von 'Raunen' wohl ursprünglich mit dem 'Sprechen von Zauberworten' zu tun hatten und Raunen somit wohl ein geheimnisvolleres, mit Zauber behaftetes Flüstern, bedrohliches Murren und Murmeln meint.

Von hier ist der Gedankensprung zu den Runen, den altgermanischen, nordischen Schriftzeichen, kein weiter. Sprüche, Zauberformeln in Schrift zu bannen und damit festzuhalten, hat zwangsläufig mit Magie zu tun, daher überrascht es nicht, dass altnordisch rûn neben Schriftzeichen an sich auch die Bedeutungen 'Geheimnis', 'Zauberzeichen' tragen kann. Aber auch im Althochdeutschen rûna steckt unter anderem noch die Bedeutung Geheimnis. Und so meint girûni auch 'Mysterium' bzw. religiöses Geheimnis.

Und was ist nun mit der Alraune, dem Galgenmännlein, der Pflanze, deren Wurzel man vom Altertum weg bis in die Neuzeit magische Kräfte zuschrieb, weil sie menschenähnliche Gestalt aufwiesen? Da gab es übrigens weibliche und männliche Formen, dementsprechend alhochdeutsch alrûna bezie- hungsweise alrûn. Etymologisch sucht man diese Bezeichnung entweder auf ein älteres (germanisch- es) albrûn zurückzuführen. Darin findet sich neben dem Verb rûnen, das eben 'Zauberworte sprechen' meint, noch der alb, also der Naturgeist, der mit dem Elb, Alf oder auch Mahr, Schratt oder Trud ver- wandt beziehungsweise wesensgleich ist. Andererseits wäre auch die Deutung als 'besonders zauber- kräftiges Wesen' denkbar (all in alrûna als umfassend).

Wie dem auch sei, für Zauberzwecke eignete sich die Alraune jedenfalls (die eigentlich die Mandra- gorapflanze ist und zu den giftigen Nachtschattengewächsen zählt) - allerdings findet sich die Man- dragora nicht in unseren Breiten. Was wiederum unsere Vorfahren nicht daran hinderte, zaubermäch- tige Figuren aus den Wurzel von Ersatzpflnzen zu schnitzen - etwa jener der Zaunrübe.

Hobbyhexern sei allerdings vom allzuengen Umgang mit der Alraune abgeraten. Einerseits soll es schwierig sein, sie, wenn sie erst einmal erworben ist, wieder loszuwerden (verschenken gilt nicht), und da ihr Besitz nach dem bedauerlichen Eintreten des Ablebens, unangenehme Nebenwirkungen nach sich ziehen soll, ist dies zumindest ein bedenklicher Umstand. Andererseits ist der Erwerb selbst nicht ungefährlich, da sie beim Ernten einen hohen, durchdringenden Schrei ausstoßen soll, der eben- so tödlich ist wie die erstmalige Berührung. Und dem Vernehmen nach soll die alternative Gewinnungs- methode durch Einsatz eines ungeliebten schwarzen Hündleins, das ersatzweise der Meuchelung anheimfällt, in neuerer Zeit durch diverse Tierschutzorganisationen erheblich erschwert worden sein.

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