Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Originaltexte

Herzeliebez frowelîn

Der von Stamhein beim Liebeswerben, Ausschnitt einer Illustration aus dem Codex Manesse (große Heidelberger Liederhandschrift), erste Hälfet des 14. Jhdt.

Schon wieder Walther, dieser Walther von der Vogelweide, mag der eine oder andere seufzen. Ja, schon recht erkannt, entgegnen wir, von Walther gibt es in der Arbeitsgruppe Mittelhochdeutsch bereits Einiges zu erlesen. Dennoch hat er uns immer wieder Neues zu sagen in seinen Sprüchen und Liedern, wie wir meinen. Abgesehen davon, dass uns seine Texte nicht nur ihrer Lyrik wegen, sondern auch durch die darin ausgedrückten Ängste uns Sehnsüchte zu berühren und zu faszinieren vermögen - und das über acht Jahrhunderte nach ihrem Entstehen!

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Kleiner Zwischenraum

Liebste kleine Herrin

Liebste kleine Herrin,
Gott gebe dir heute und immer Gutes!
Könnt ich dir noch schöner gedenken,
dessen wär' ich gern bereit.
Was kann ich dir mehr sagen,
als dass dir niemand holder ist? O weh, davon
muss ich viel leiden.

Sie tadeln mich, dass mein
Sang den Stand nicht achtet.
Dass sie nicht verstehen,
was Liebe ist, dafür seien sie verwünscht!
Sie haben die Liebe nie erlebt,
die nach Reichtum und Schönheit
minnen,
weh, wie lieben die!

Mit Schönheit ist oft Bosheit verbunden:
der Schönheit laufe niemand nach.
Liebe bekommt dem Herzen besser.
Der Liebe folgt die Schönheit nach.
Liebe macht Frauen schön:
Gleiches vermag Schönheit nicht, sie alleine macht
nicht liebenswert.
/

Ich ertrag's, wie ich's ertrug
und wie ich's immer ertragen werde.
Du bist schön und hast genug:
Was wollen sie mir davon sagen?
Was sie auch reden, ich bin dir hold
und nehme dein gläsernes Ringlein für einer
Königin Gold.

Eignen dir Treue und Beständigkeit,
so bin ich ganz ohne Furcht,
dass mir jemals Herzleid
mit Absicht von dir widerfahre.
Besitzt du aber beide nicht,
so mögest du niemals mein werden!
O weh dann, wenn solches geschähe!

Herzeliebez frowelîn

Herzeliebez frowelîn,
got gebe dir hiute und iemer guot.
kund ich baz gedenken dîn,
des hete ich willeclîchen muot.
was mac ich dir sagen mê,
wan daz dir nieman holder ist? owê, dâ von
ist mir vil wê.

Si vewîzent mir daz ich
sô nidere wende mînen sanc.
daz si niht versinnent sich
was liebe sî, des haben undanc!
sie getraf diu liebe nie.
die nâch dem guote und nâch der sch?ne minnent,
wê, wie minnent die?

Bî der schœne ist dicke haz:
zer schœne niemen sî ze gâch.
liebe tuot dem herzen baz:
der liebe gêt diu schœne nâch.
liebe machet schœne wîp:
desn mac diu schœne niht getuon, sie machet
niemer lieben lîp.

Ich vertrage als ich vertruoc
und als ich iemer wil vertragen.
dû bist schœne und hâst genuoc:
was mugen si mir dâ von gesagen?
swaz si sagen, ich bin dir holt,
und nim dîn glesîn vingerlîn für eine
küneginne golt.

Hâst du triuwe und stætekeit,
sô bin ich sîn ân angest gar
daz mir iemer herzeleit
mit dînem willen widervar.
hâst aber dû der zweier niht,
son müezest dû mîn niemer werden.
owê danne, ob daz geschiht!

Kleiner Zwischenraum

Anmerkungen:

Vieles ist, wie erwähnt, über den Autor bereits an anderer Stelle gesagt worden; darum wollen wir an dieser Stelle hauptsächlich den Text für sich selbst sprechen lassen und dabei allenfalls erwähnen, dass die schlichte, sechszeilige Stollenstrophe durchaus Ähnlichkeiten mit Tönen anderer zeitgenössicher Dichter und Sänger, etwa eines Hartmann oder Reinmars, aufweist.

Hingegen muss der Inhalt den 'Klassikern' und dem höfischen Denken seiner Zeit wohl recht provokant erschienen sein. Richtet sich doch bereits die Anrede nicht formgerecht an die frouwe , an die höfische Dame von höherem Stand, sondern an das herzeliebe frouwelîn , das junge Mädchen, unser heutiges Fräulein, ...

... (doch halt, wir nehmen das neuerdings verbotene oder zumindest verfemte, weil von achtsamen SprachhüterInnen als böse diskriminierend empfundene Fräulein auf der Stelle zurück - auf dass nicht das Bild einer verstaubten Mittelalterseite vor den stets gestrengen, wenn auchunverändert reizvollen Augen holder Weiblichkeit entstehen möge ... allenthalben möchten wir an dieser Stelle noch anempfehlen, auch männlicher Diskriminierung entschieden entgegenzuwirken, indem man das Männlein in der nun unhaltbaren Zeile 'Ein Männlein steht im Walde, ...' eiligst durch den politisch korrekten Ausdruck Jungmann ersetzen möge - was nebstbei auch geläufiger Praxis während der militärischen Grundausbildung im Rahmen des Wehrdienstes recht gut entsprechen würde) ...

... das junge und darum reizvolle Mädchen also, das - welche weitere Provokation! - gar noch von niederem Stande zu sein scheint, wie aus den folgenden Zeilen hervorgeht. Warum der dargestellte Ton, neben anderen des Walther, auch dem Genre der niederen Minne zugerechnet wird. Und um dessenthalben er wohl auch gewisse Kritik von zeitgenössischen Kollegen erfuhr - weshalb sich im widergegebenen Text wohl auch zu einer Verteidigung veranlasst sah.

Hinweisen möchten wir auch noch auf die unterschiedliche Interpretation, nach der der Begriff sch?ne unserem Empfinden nach im Text verlangt: Meint er einmal die äußerliche Pracht, die mit hohem Stand, Ansehen, Reichtum und prächtigen Kleidern einhergeht, so bedeutet er an anderer Stelle, dort wo von liebe gesprochen wird, die ' 'wirkliche' Schönheit, die jeder Mensch durch den Zustand der Verliebtheit erlangt ... schön, nicht wahr?

Übrigens die just erwähnte liebe! Sind wir es in derartigen Liedern bislang nicht immer gewöhnt, von der minne zu hören? Was ist nun der Unterschied? Vielleicht könnte man es am ehesten so umschreiben, als dass die Liebe das personalisierte Empfinden meint, welches zu allseits bekanntem Herzleid, Glücksschwankungen, allerlei seltsamen Verrücktheiten und phasenweisem Dahinschweben im 7. Himmel Anlass gibt! Die Minne dagegen all das (ritualisierte) Verhalten umfasst, das vom werbenden Mann der verehrten Frau in der höfischen Umwelt entgegenzubringen ist - und die im (selten erreichten?) Idealfall wohl auch die wirkliche und gegenseitige Liebe beinhalten kann ...

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