Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Originaltexte

Los, frau, und hör des hornes schal

Oswald von Wolkenstein, Abbildung aus der Liederhandschrift B, Insbruck, aus Antonio Pisanos Werkstatt, um 1432

Wer schreiben will, muss zuvor erleben. Wer Kunst erschaffen will, muss Welt und Mensch erfahren, Glück und Leid. Sollte diese eherne Regel wahrhaftig sein, dann muss uns wohl Oswald von Wolkenstein als Idealbild des Künstlers gelten. Da liegt ein pralles Leben vor uns, das besser dokumentiert ist als die Biographien vieler seiner berühmten Vorgänger und auch Zeitgenossen. Und da gibt es sein Werk und die oftmals zarten Töne seiner Lieder scheinen mit den Abenteuern des umtriebigen Ritters und Edelmannes, dem im abenteuerlichen Leben Vieles widerfahren ist, scharf zu kontrastieren. Doch es finden sich auch rauere Töne, neben der hohen auch die 'niedere' Liebe mit anzüglichen Texten, neben den klassischen Protagonisten des Tageliedes auch der bäuerische Tölpel und die lustigen Zecher, Einstimmigkeit der Melodie neben moderner Mehrstimmigkeit, und, und, und ...

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Horch, Frau, und hör des Hornes Schall,

Horch, Frau, und hör des Hornes Schall,
unbekümmert über Berg und Tal.
Auch höre ich die Nachtigall.
Schon drängt sich die lichte Morgenröte
vor das Blau.
Blas schon,
Wächter! Ich spür, wie grausam du bist.
Ich fühle einen Wind vom Orient,
der vertreibt und erhellt den Sternenhimmel
und wendet uns hier unsere Freude.
Zartes, minnegliches Mädchen, das Horn poltert
grimmig.
Ich hör dich wohl, du betrübst mir die Liebste.
Horch! Horch, horch, horch!
Sehnliche Klage, tödlicher Tag,
wie lange soll unsere Not mit dir dauern?
Leb wohl, wertvollster Schatz,
rück kurz noch einmal her zu mir!

Los, frau, und hör des hornes schal

Los, frau, und hör des hornes schal
perg und tal ane qual überal
auch hör ich die nachtigal.
des liechten morgen röte sich vor der pleu
her dringt.
plas schon,
wachter! ich spür dein zoren michel gross.
Mich rüert ain wint von orient,
der entrent auch plant das firmament
und der uns die freud hie went.
zart minnikliche diren, das horen polret
grimmiklich.
ich hör dich wol, du trüebest die frauen mein.
Los! los, los, los!
senliche klag, mordlicher tag,
wie lang sol unser not mit dir bestan?
hab urlaub, höchster schatz,
kurzlich herwider ruck!

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Anmerkungen:

Und so wundert es nicht, dass Oswald Vielen als größter deutschsprachiger Lyriker des späten Mittelalters gilt, manchen sogar als bedeutendster Vertreter des Fachs zwischen Walther und Johann Wolfgang. Jedenfalls aber als letzter Minnesänger - eine Benenn- nung die ob seines Bezugs auf klassische Formen zutrifft. Eine Bezeichnung, die ob der Modernität und vieler Innivationen in sei- nen Liedern, ob dies nun Text oder Melodie betrifft, nicht passend scheint. Ein Widerspruch? Ja, ganz klar. Aber scheint uns nicht Oswalds Leben, sein ganzes Werk, wie ein großer Widerspruch?

Über Oswalds Leben gäbe es so viel zu berichten, dass wir uns gar nicht erst bemüßigen, bei der Beschreibung nach Vollständigkeit zu streben. Nur soviel dazu: Er stammte aus der (Süd-)Tiroler Adelsfamilie der Herren von Vilanders und Wolkenstein, und erblickte um 1376 als zweitgeborener Sohn das Licht der Welt. Ob er dies noch mit zwei Augen tat oder ob sein rechtes bereits bei seiner Geburt geschädigt war, ist nicht bekannt. Wer also bei der Betrachtung von Oswalds Bildnissen meint, ein Zwinkern zu erkennen - nun der täuscht. Andererseits, wer kann bei diesem Herrn schon sicher sein ...

Oft ist er unterwegs gewesen, der junge Herr von Wolkenstein. Speziell in den Jahren vor des Vaters Tod im Jahre 1400, tat er viel und ausdauernd daran sich die ritterlischen Hörner abzustoßen. Da wissen wir von der Teilnahme an den Kreuzzügen des Deutsch- en Ordens, in Preussen, im Baltikum, bis in die Ukraine. Er tat als Ritter Dienst bei vermögenden Adeligen, begleitete den Italienzug König Ruprechts und erwähnte auch einen Pilgerzug ins Heilige Land. Nach 1400, so scheint's, wurden die Aufenthalte in der Hei- mat länger, die Reisen seltener ohne jemals gänzlich aufzuhören. Streit der Brüder - der Ältere dachte vorerst nicht daran die bei- den Jüngeren ausreichend am Erbe zu beteiligen, Schmuckdiebstahl und Verleumdung der Schwägerin und schwere Verwundung - das alles liest sich recht abenteuerlich. Das ereignisreiche Leben blieb ihm stets getreu. Auch nachdem er 1407 seinen Teil des Erbes erhalten hatte, ein armseliges Drittel von Burg Hauenstein, noch dazu von altem Vermögensstreit belastet - der ihm Jahre später ziemliche Schwierigkeiten und eine Gefangennahme einbrachten.

Sie sollte nicht die letzte bleiben, war er doch auch politisch rege tätig, etwa als Vermittler zwischen Österreichs Herzog Friedrich und der Tiroler Adelspartei. Gesandtschaften und Reisen führten ihn in den Westen, er beteiligte sich am Kampf gegen die Mauren, in den Osten und Norden, nach Ungarn und Böhmen, zu König Sigmund, half bei der Verteidigung von Burgen gegen die Hussiten ... Mitten in dieser unruhigen Zeit heiratete er 1417 die schwäbische Adelige Margarete von Schwangau, der er als 'Gret' in vielen seiner Liebeslieder ein Denkmal setzte. Immerhin sechs Kinder entsammten der späten Ehe. Königsdienst führte in nach Italien und dort entstand 1432 wohl auch das obige Bildnis Oswalds. Ins selbe Jahr ist auch der Abschluss der Handschrift B datiert, für wel- che das genannte Bild in Auftrag gegeben wurde. Gestorben ist der stets Umtriebige schließlich 1445, in Meran, bezeichnender- weise während eines Landtages.

Drei Handschriften künden von seinem Werk. Besonders interessant erscheinen dabei die Handschrift A (heute in der Österreichi- schen Nationalbibliothek) und die bereits erwähnte Handschrift B (heute in der Innsbrucker Universitätsbibliothek), enthalten sie doch neben den Texten von Oswalds (insgesamt 128) Liedern auch deren Melodien - in ihrer Originalform, wurden sie doch noch zu Lebzeiten des Liederstellers aufgezeichnet. Unter diesen Vertonungen finden sich auch mehrstimmige, mit früheste Zeugnisse für die Entwicklung der Mehrstimmigkeit im deutschsprachigen Raum.

Das Lied nun, das wir als Probe ausgewählt haben, reicht vonm Inhaltlichen noch ganz in die 'klassische' Vergangenheit zurück: Der sich ankündigende Morgen und das mit ihm einhergehende Hornsignal des Wächters trennt die Geliebten (sind es noch Ritter und seine Dame?), muss er doch der drohenden Entdeckung entfliehen. Während also Personal und Handlung noch ganz den älteren Formen verhaftet sind, finden sich bereits neue, 'moderne' Anklänge. Etwa die anrührende, letzte Bitte, doch noch einmal kurz näherzurücken ehe der schmerzhafte Abschied wahr gemacht werden muss. Oder auch die starke atmosphärische Wirkung, die nicht nur durch die Schilderung von Morgendämmerung und Abschied beim Hörer hervorgerufen wird, sondern auch durch die Melodie des Liedes ...

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