Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Schlüsselbegriffe

Hier mögt ihr nun einiges über Begriffe erfahren, deren Verständnis für die Interpretation mittelhochdeutscher Texte bedeutsam ist ...

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'daz man im sîn ros bereite und ir pherit vrouwen Ênîten..' - ors, ros oder pherit

Mittelhochdeutsche Schlüsselbegriffe - so klassifizieren wir jene Artikel unserer Seite, die sich mit der Betrachtung so wesentlicher Begriffe wie êre und milte und sælde beschäftigen. Wesentlich nämlich dafür, wie mittelhochdeutsche Texte zu interpretieren sind; vielleicht auch ein wenig dafür, wie die Denkweise damaliger Menschen war - genauer: der Mitglieder jener sozialen Schicht, in der diese Texte rezpiert wurden.

Schlüsselbegriff? Gut, werdet ihr vielleicht fragen, aber was hat ein simpler Klepper in dieser Rubrik verloren? Um solche soll es nämlich heute gehen - um Pferde also. Um Rösser. Mähren und Gäule. Schimmel, Rappen, Falbe. Wallache und Zelter. Oder eben besagten Klepper. Also um die in der mittelhochdeutschen (und frühneuhochdeutschen) Literatur verwendeten Bezeichnungen für Pferde und was genau damit gemeint war.

Alle diese Bezeichnung findet man - in moderner Literatur ebenso wie in mittelalterlicher; wenn auch manche erst zum Ausklang desselben. Zudem teilweise - wie so häufig - in, im Laufe der Jahrhunderte, stark abgewandelter Bedeutung. Und anders als uns Heutigen, die wir allenfalls noch Scheuch (Plastik-)Pferdchen mit ebensolchen Rittern samt wunderbare Kunststoffburg besitzen, war dem damaligen Adeligen das Pferd sehr wohl wichtiges Statussymbol. Grund genug uns damit ein wenig genauer zu beschäftigen.

Das Ross ist heutzutage Synonym fürs Pferd - speziell in Mundart; manchmal vielleicht noch in etwas gehobener Form ('Es schnaubten die Rösser, es stampften die Hufe ...'), die eine Erinnerung an die frühere Bedeutung bewahrt. In den mittelalterlichen Texten ist mit dem ros nämlich für gewöhnlich das (wertvolle) Schlachtross des Ritters gemeint, auf dem er seine Fehden, Zwweikämpfe, aber auch Turniere bestreitet. Beispiele dafür finden sich in den alten Texten zuhauf, wie etwa im Erec:.

....
Der Eine attackierte ihn mit dem Speer,
den stach er vom Ross.
Dem Zweiten geschah das Gleiche.
Um ihre Pferde kümmerte er sich nicht,
....

(Erec, Hartmann von Aue, Vers 2427ff)

Selbstverständlich ritt, was ein rechter Kerl und Ritter war, nur auf dem Hengst, keinesfalls aber auf einer Stute in die Auseinandersetzung. Das Ross war also in diesem Zusammenhang immer auch der Hengst, der kräftig genug sein musste, um seinen Reiter samt Rüstung und Waffen zu tragen und der solcherart beladen auch noch über einen ausreichend langen Zeitraum in der Lage, rasche Richtungsänderungen durchzuführen, zu treten und zu beißen. Und was ist dann das rösselîn oder Rössel? Nun, ein kleines Streitross - der Springer nämlich des Schachspiels ...

Die gleiche Bedeutung des Streitrosses verbirgt sich in der alternativ verwendeten Bezeichnung ors, die übrigens bei manchen Autoren synonym verwendet wird. (Wiederfinden können wir diese Form übrigens heute noch im englischen horse)

....
hie stuont ein ors vil wol getân,
gewâpent vaste unz ûf den huof,
....

(Parzival, Wolfram von Eschenbach, Zweites Buch, 71, Vers 30f)

Das Pferd hingegen, pherit, auch pfärit oder pherd (schöne Zeihten, in dennen man noch schreipen durvte, wie's einen beliebte ... aber halt, ist das nach den Rechtschribreformen nicht wieder ...? Egal.) - das Pferd also, heutzutage der übergeordnete Begriff und mancherorts in einer Epoche zunehmender sprachlicher 'Verflachung' auch der einzige noch bekannte - meinte damals ein leichteres Pferd, das man zum Reisen benutzte oder zur Jagd, bisweilen auch den Frauen zugeordnet; damit konnte das Pferd spezieller auch die insgesamt 'pflegeleichtere' Stute meinen.

....
Seinem Knappen trug er auf,
ihm sein Streitross bereitzustellen,
und Frau Enite ihr Reitpferd.
....

(Erec, Hartmann von Aue, Vers 3058ff)

Wenn's dann mal galt, im Text beide Tiere mit einer übergeordneten Bezeichnung zu versehen, dann konnten aber sowohl Ross oder Pferd dafür stehen (Eniten wird's egal gewesen sein - ihre Arbeit wurde dadurch nicht geringer):

....
ihr müsst die Pferde versorgen
....
die Pferde versorgte sie.
....

(Erec, Hartmann von Aue, Verse 3273 und 3288)

Und parodierend konnten dann schon manchmal aus Schindmähren und Kleppern edle Rösser werden, ja sogar aus Eseln - wie in Wittenweilers Ring! Aber nochmals zurück zum Reitpferd: Ein solches, mit besonders 'frauenfreundlichen' Passgangeigenschaften war der zelter; folglichermaßen meint das Verb zelten in mittelhochdeutschen Texten 'im Passgang gehen/reiten' und nicht etwa eine kostengünstige Urlaubsform.

Und was ist mit den Kleppern, Mähren und Gäulen - für unsereiner allesamt keine besonders schmeichelhaften Bezeichnungen, da wir sie allesamt ungeschaut in die Kategorie 'Schindermähre' einordnen? Das war nicht immer so! Das althochdeutsche meriha und das mittelhochdeutsche merhe bedeuten nämlich nichts anderes als Stute (ohne abwertenden Beigeschmack), eine Bedeutung, die bis ins 16. Jahrhundert Gültigkeit hatte, sich danach zu 'Pferd' allgemein wandelte, und erst seit Ende des 17. Jahrhunderts 'altes/klappriges/minderwertiges Pferd' meint.

Gaul (mittelhochdeutsch gûl) wiederum konnte viel bedeuten: Pferd (allgemein), männliches Tier, aber auch Eber oder Ungeheuer - in unserem Zusammenhang ist damit an den Hengst zu denken. Der negative Beigeschmack der Bezeichnung (in ähnlicher Bedeutung wie bei der Mähre) findet sich beginnend bereits mit der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert, allerdings ist dies stark regionenabhängig.

Schließlich fehlt uns bei all diesen minderwertigen Begriffen noch der Klepper (wohl lautmalend aus dem klappernden Hufgeräusch des Reitpferdes entwickelt) - ein ursprünglich norddeutscher Begriff, der sich im Verlaufe des 15. und 16. Jahrhunderts üner das gesamte deutsche Sprachgebiet ausdehnte und den wir heutzutage als 'dürren, verbrauchten Gaul' beschreiben würden.

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