Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Schlüsselbegriffe

Hier mögt ihr nun einiges über Begriffe erfahren, deren Verständnis für die Interpretation mittelhochdeutscher Texte bedeutsam ist ...

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'Dô sprach der künec rîche ...' - der Begriff rîch

Die Reichen und die Mächtigen sind es, von denen in Boulevardpresse und Sensationsblättern oftmals die Rede ist und die die Aufmerksamkei der gemeinen Volkes erregen. Doch eigentlich stellt diese geläufige Be- zeichnung eine unnötige Verdoppelung dar, stimmen wir doch gemeinhin darin überein, dass die Reichen ohnehin jene sind, die über Macht und Einfluss verfügen und diese, verdeckt oder offen, für ihre Zwecke einsetzen.

Genau diese Doppelbedeutung von Macht und Einfluss tritt uns im mittelhochdeutschen Adjektiv rîch(e) entgegen. Denn dieses bedeutet in erster Linie 'mächtig' und 'vornehm, stolz', dann aber auch konsequen- terweise 'reich, wohlhabend, begütert'. In ersterer Bedeutung tritt es uns in vielen Stellen der mittelhoch- deutschen Literatur häufig dann entgegen, fast schon schablonenhaft, wenn ein König oder eine Person von Bedeutung eingeführt wird. So finden sich etwa im Nibelungenlied zahlreiche Stellen in obiger Bedeu- tung:

....
Sie wurde von drei edlen und mächtigen Königen beschützt,
...
Ihr Mutter hieß Ute, eine mächtige Königin,
...
Wann immer die mächtigen Könige ausritten,
mussten sie ihre Recken begleiten.
...
Da sprach der mächtige König: 'Wie möchte dies
geschehen, da ich Heide und ohne Taufe bin?
....

(Verschiedene Ausschntte aus dem Nibelungenlied)

Wie es scheint, handelt es sich um ein wahrhaft königliches Adjektiv. Doch findet es sich auch in anderem Zusammenhang aber mit der selben Bedeutung, wenn etwa von der mächtigen oder auch stolzen Feste Xanthen die Rede ist:

....
Es wuchs in Niederlanden das Kind eines edlen Königs,
...
in einer mächtigen Feste, weitum wohl bekannt,
...

(Ausschntte aus dem Nibelungenlied, 2. Âventiure)

Als Substantiv verwendet, nimmt rîche die Bedeutung 'das Reich', das Herrschaftsgebiet an, es kann aber auch für 'Herrscher, König' stehen (wobei die Verwandtschaft mit dem lateinischen rex und dem gotischen reiks unverkennbar ist). Erstere Bedeutung findet sich in unserm 'Ostarrîchi' ebenso wie neuerlich im Nibe- lungenlied, wo es heißt:

....
Siegfried hieß der der ausgezeichnete Held,
der viele Abenteuer in fremden Reichen suchte, dazu trieb ihn sein Mut.
...

(Ausschntte aus dem Nibelungenlied, 2. Âventiure)

Übrigens wird in den zitierten Ausschnitten, wie immer in mittelalterlichen Texten, ein ganzer Kanon von Eigenschaften für den Edlen, Mächtigen vorausgesetzt: Der hat, damit er sich Ansehen, êre , erwirbt auch reich zu sein, damit er seine Gefolgsleute standesgemäß beschenken kann und sich ihre Treue, triuwe und staete sichern kann. Dass er daneben auch noch körperliche Stärke besitzt und ein glänzendes Äußeres versteht sich fast von selbst. Ob dieses Ideal wohl immer ganz der Wirklichkeit entsprach?

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