Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Schlüsselbegriffe

Hier mögt ihr nun einiges über Begriffe erfahren, deren Verständnis für die Interpretation mittelhochdeutscher Texte bedeutsam ist ...

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'jâ muget ir an der vrouwen daz schœniste wîp schouwen ...' - vrouwe und wîp

'Die Frau - ein seltsames Wesen - wer mag sie bloß verstehn ...!' Wie oft mag dieser Seufzer manch rat- losem männlichen Wesen bereits entschlüpft sein. Und doch sind wir alle uns einig, dass Frauen einen unverzichtbaren, oft sogar schwärmerisch verehrten und besungenen, jedenfalls aber nicht unwichtigen Teil der Menschheit darstellen ;-) Keine Rede von einer läppischen Rippe, die wir ja ohnedies nicht ver- missen - nein, wer würde denn schließlich auch Rippen besingen in unzähligen Versen und Gesängen. Im Gegenteil, wenn wir ehrlich sind, dann gestehen wir dem weiblichen Geschlecht gerne zu, die bessere Hälfte zu sein - zumindest manches Mal. Fußball, Autos und Bier sind eben doch nicht alles auf dieser Welt ...

Und dennoch bleibt die Frau ein geheimnisvolles, vieldeutiges Wesen, was sich nicht zuletzt auch in der Vielzahl an Begriffen ausdrückt, die wir in unsere Sprache für die holde Weiblichkeit finden: Da ist die Rede von der engelsgleichen Geliebten, dem zänkischen Weib, der verhärmten Frau, dem anmutigen Mädchen, der feinen Dame oder der schuftenden Magd; Frau (aber nicht nur die) kann dämlich sein oder sich damen- haft benehmen, von herrlicher Gestalt sein, weibliches Einfühlungsvermögen besitzen und vieles andere mehr.

Mit einer ähnliche Vielzahl an Begriffen wird die Frau auch in der mittelhochdeutschen Literatur bezeichnet. Uns begegnen wîp und vrouwe, maget und vrouwelîn, juncvrouwe und hûsvrouwe oder wirtinne, gemahel oder brût . Kein Problem, sollte man denken, denn fast alle dieser Begriffe lassen sich ohne Schwierigkeiten mit noch existierenden Begriffen in unserem modernen Deutsch in Beziehung setzen: Weib, Frau, Magd, Fräulein, Jungfrau, Hausfrau, Wirtin, Gemahlin und Braut.

Natürlich ahnt der erfahrenen Leser unserer Mittelhochdeutschartikel bereits Schlimmes - so einfach, wie sie sich im ersten Moment darstellt, ist die Sache nämlich nicht. Wie so oft, haben die Begriffe im Laufe der Zeit einen Bedeutungswandel beziehungsweise eine Bedeutungseinschränkung erfahren. Und genau darin besteht dann wiederum die Hauptschwierigkeit beim Verständnis eines mittelhochdeutschen Textes. Wir wollen daher an dieser Stelle versuchen, die urspüngliche Bedeutung zweier häufig auftretender Bezeich- nungen, vrouwe und wîp , zu ergründen.

Beginnen wir mit dem wîp . Damit sind in den Texten ganz allgemein die Vertreterinnen des weiblichen Ge- schlechtes gemeint, ohne Berücksichtigung von Standesunterschieden, so wie man dem Manne entspricht. Am ehesten entspricht das wîp somit unserem 'Frau', wie wir es in Sätzen verwenden wie: ' Die Frau stand mit ihrem Hund unter dem Baum und beide sangen ein Lied.' Das wîp kann also von hohem oder niedrigen Stande sein, während im Gegensatz dazu die Bezeichnung vrouwe für adelige Damen gebräuchlich war:

....
Ihr werdet an der Dame
die schönste Frau erblicken,
die wir je gesehen haben
Ihr sollt sie würdig enpfangen.
....

(Erec, Hartmann von Aue, Vers 3620ff)

Im angeführten Auszug aus Hartmann von Aues 'Erec' berichtet ein Knappe seinem Herren, einem Grafen, von der Begegnung mit Eric und seiner Gemahlin Enite. Wie es scheint, hat ihn vor allem die Schönheit der edlen Dame beeindruckt, die er nun seinem Herrn schildert; diese Schönheit, die in mittelalterlichen Erzähl- ungen zumeist auch einen hohen sozialen Rang impliziert, ist es vor allem, die ihn den Ratschlag geben lässt, Enite standesgemäß zu empfangen. Vrouwe kennzeichnet im Textausschnitt somit Erics Gemahlin als Dame von Rang, während wîp meint, sie sei die schönste aller Frauen - und damit das Kompliment noch mehr verstärkt. Nicht eigens erwähnt werden muss, dass die Neugier des Grafen damit entfacht ist, ein Umstand, aus dem im Fortgang der Geschichte noch mancherlei Verwicklungen resultieren ...

Ähnlich eingesetzt finden sich die Begriffe in der ersten Aventiure des Nibelungenliedes, als nämlich Kriem- hild in die Erzählung eingeführt wird. Hier findet sich auf engstem Raum eine Mehrzahl verschiedener Frau- enbezeichnungen:

....
Es wuchs in Burgunden ein edles Fräulein heran
...
Kriemhild geheißen: sie wurde später eine schöne Frau ...
Dieses liebenswerte Mädchen musste man gerne haben. ...
Die Vorzüge der Jungfrau ehrten auch alle anderen Frauen. ...
Die Dame war ihre Schwester; die Fürsten hatten sie unter ihrem Schutz.
....

(Nibelungenlied, 1. Aventiure)

Soll also der hohe Stand der adeligen Dame kenntlich gemacht werden, dann findet in den Texten vrouwe Verwendung, wîp kennzeichnet allgemein die Frau, ist also eine Geschlechtsbezeichnung und kann somit auch für die hochgestellte Dame verwendet werden. Umgekehrt ist dies hingegen nicht möglich, eine Frau oder ein Mädchen niedrigen Standes wird also nicht als vrouwe bezeichnet (Wenn man einmal von den Dis- kussionen absieht, welche der Ausruf 'hêre frouwe' in Walthers Lindenlied ausgelost hat ...).

Den negativen Beigeschmack, der dem Begriff 'Weib' in unserer modernen Sprache anhaftet, gab es im Mit- telalter noch nicht. (Allerdings muss auch heutzutage Weib nicht immer unbedingt diese negative Bedeu- tung haben; man denke da nur an das 'Vollblutweib' - wenn auch der Begriff nicht unbedingt von ausge- reiftem 'höfischen Denken' zeugt...).

Die Standesbezeichnung vrouwe , auch frouwe, frowe, scheint sich mit der Wende von 12. zum 13. Jahrhun- dert im Zusammenhang mit der Minnelyrik durchgesetzt zu haben und meint seit jener Zeit die hochgestell- te Dame beziehungsweise die 'Herrin' des minnedienstleistenden Ritters. Schließlich leitet sich vrouwe ja auch vom Althochdeutschen frouwa her, was wiederum die weibliche Form von fro , 'Herr' ist. Aber Achtung, solltet ihr, nach der exzessiven Lektüre mittelhochdeutscher Werke, eure Angebetete plötzlich als 'Herrin' titulieren, dann könnte auch dies zu gewissen Unklarheiten und Missverständnissen Anlass geben. Das Ausweichen zum lateinischen 'domina' hilft da übrigens auch nicht weiter. So ist das eben mit dem Bedeu- tungswandel ...

Was denn nun die geeignete Bezeichnung für die Dame von Rang ist, darüber war man sich aber selbst in Dichterkreisen nicht ganz einig, denn während etwa Frauenlob auf der Bezeichnung frouwe beharrt, finden sich bei Walter folgende Zeilen: 'wîp muoz iemer sîn der wîbe hôchste name, und tiuret baz dan frowe, als ichz erkenne'

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