Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Originaltexte

'... die in enpfiengen künicliche' - Der Empfang fahrender Ritter

Ein fahrender Ritter wird willkommen geheißen. Abbildung aus einer Handschrift 'Lancelot du Lac, Poitierst, 15. Jhdt.

Durchforstet man die mittelalterliche Romanliteratur, dann wimmelt es dort nur so von Rittern, die auf Aventiurenfahrt sind. Lo- gisch, denn andernfalls würde in all den Werken wenig Spektakuläres passieren. Doch solch ein Recke muss auch nächtigen, muss sich verpflegen und verproviantieren und er sollte tunlichst nicht nach 'acht Wochen ohne Wäschewechsel' riechen, wenn er dann endlich seine holde Minnedame aus den Klauen eines lüsternene Bösewichtes befreit. Wie gut, dass da häufig am Wegesrand eine Burg herumsteht, deren Herren man um Aufnahme bitten kann.

Wie denn nun eine solche Begrüßung für einen willkommenen Gast verlaufen sollte und was da im einzelnen zu passieren hat, damit der Etikette Rechnung getragen wird, darüber geben die mittelalterlichen Texte ebenfalls ausführlich Auskunft. Der folgende Aus- zug aus dem bereits mehrfach zitierten 'Wigalois' des Wirnt von Grafenberg verdeutlicht dies:

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Kleiner Zwischenraum

Wigalois (3/680ff)

So ritt er vor das Burgtor;
davor standen Edelknappen,
Ritter und Knechte,
die ihn, wie es ihm gebührte,
königlich empfingen.
Er nahm freundschaftlich
Herrn Gawain bei der Hand.
Man band ihm dem Helm ab
und führte ihn an einen bequemen Platz.
Darauf sprach er (Joram) zu seinen Knappen:
'Nun badet den Ritter sorgfältig,
auf dass ich es euch stets danke.'
Er (Gawein) schüttelte sein Kettenhemd ab.
Sogleich führten sie ihn hinweg
und badeten ihn, wie es einem Ritter ziemt.
Der Gastgeber war reich,
das zeigte sich an seinem Gesinde.
Herr Gawein kleidete sich
in weißes Leinen.
Eine Jungfrau nähte ihn
in einen seidenen Rock;
mit einem Pelz aus Härmelin
war dieser gefüttert;
so wurde er herausstaffiert.
Herr Gawein war ein schöner Mann.
Er zog einen aus derselbenSeide gefertigten
weiten Mantel an.
Nun kam ein Bote - dafür war es an der Zeit -
der hieß ihn, sich zum Essen hinauf zu begeben.
Der König bestand darauf,
ihn zum Tischgenossen zu haben.
...

Kleiner Zwischenraum

Anmerkungen:

Von wegen 'schmutziges Mittelalter': Zu den größten Annehmlichkeiten, die ein Fahrender bei Gewährung der Gastfreundschaft erwarten durfte, gehörte ohne Zweifel ein ausgiebiges Bad. Das wird nach mehrtägigem Ritt wohl auch von Nöten gewesen sein. In unserem zitierten Textbeispiel sind es ja nur die Knappen, welche Herrn Gawain baden, doch findet sich manch Glücklicher auch schon mal von den Damen des Hauses umsorgt ...

Doch mit dem Bad alleine hat es sich nicht. Zuvor wird dem Ankömmling in einer symbolischen Geste der Helm abgebunden. Auch (obwohl in unserem Ausschnitt nicht erwähnt) wird sein treues Reittier versorgt und seine Ausrüstung an einen sicheren Platz ver- bracht. Nach dem Bade erhält er eine passende und seinem Stand angemessene, sehr wertvolle Gastbekleidung für die Zeit des Aufenthaltes. Um den Sitz dieser zweifelsohne mehrfach verwendeten Kleidungsstücke zu gewährleisten, werden sie dem Gast angepasst: Er wird eingenäht, vielleicht darf man sich dies als Art Schnürung vorstellen. Dass dies von einer Jungfrau (über die genaue Bedeutung des mittelhochdeutschen Begriffes juncvrouwe wird diskutiert; manche meinen er bedeute einfach 'junge Frau') übernommen wird, dürfte dem Helden, der möglicherweise wochenlang nichts anderes als Ungeheuer, diverse Schuppentiere und alte, unattraktive Einsiedler zu Gesicht bekommen hat, jedenfalls eine angenehme optische Abwechslung bedeutet haben.

Danach ging es zum Mahl, bei dem in unserem Beispiel Herr Gawain wegen seines hohen Standes und Ansehens den Ehrenplatz direkt am Tisch des König Joram einnehmen darf. Ein Ritter niederer Herkunft hatte wahrscheinlich an einer weniger bevorzugten Stelle im Hause des Gastgebers seinen Platz gefunden, verdeutlichte doch die Platzierung beim Mahl für gewöhnlich Wichtigkeit und gesellschaftliche Stellung ...

Auffällig bei all diesen mittelalterlichen Texten ist, dass die Handelnden wenig Scheu vor Körperkontakt haben. Da wird umarmt, geküsst oder - wie im zitierten Auszug - zumindest bei der Hand gefasst. Der Kuss, soviel sei verraten, der wird noch folgen, doch ist es glücklicherweise nicht König Joram, der ihn dem Herrn Gawein verpassen wird ...

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