Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Originaltexte

'... ob ich ein ros koufen solde, ...' - Thomasins Tipps zur Frauenwahl

Liebespaar, Illustration aus der Heidelberger Handschrift CPG 389 des Welschen Gastes, Mitte des 13. Jahrhunderts

Jetzt, wo viele unserer treuen und teuren Besucher und Leser im Urlaub weilen, ja, diese freudigen Tage vielleicht gar noch zur Gänze vor sich haben, meinen wir, es wäre wieder einmal an der Zeit, diese langjährige Treue zu belohnen. Belohnen, fragt ihr jetzt vielleicht? Wie denn? Mit Pfennigen Kreuzern oder gar Talern, damit wir uns der freien Tage umso mehr erfreuen können, an all den Vergnügungen, den braungebrannten Schönen und SchönInnen, die die fremden Strände erst ihre ganze Pracht verleihen? Wo doch manch Einer und Eine von uns erhofft, dort die Liebe seines Lebens zu finden ...?

Nein, auf die Denare kommt's nicht an, bei diesem Unterfangen (dies wird euch nach der Lektüre des in diesem Beitrag zitierten Textes zur Gänze verständlich sein). Vielmehr sind es andere Werte, auf die es zu achten gilt. Darum wollen wir euch etwas Besseres schenken als schnöden Mammon - Tipps nämlich, was Mann bei der Auswahl der richtigen Frau zu beachten habt. Und die stammen von einem nicht Geringerem als dem Experten für ein wohlgefälliges Leben schlechthin, von Thomasin von Zerklaere nämlich, der uns diese Tipps in (mittelhoch-)deutscher Sprache in seinem 'Welschen Gast' hinterließ ... vor etwa 800 Jahren zwar, aber was macht das schon. Schließlich war dieser Thomasin Italiener und die kannten sich bekanntlich schon damals bestens mit der Liebe aus ...

Also dann, lassen wir unseren Experten, der übrigens Kanoniker war, erst einmal zu Wort kommen. Achtet also gut, ihr Männer, wie ihr an den Stränden von Ipanema, der Costa Smeralda, Jesolos oder Pichlings eure Auswahl trefft, denn es sollten mehr die inneren Werte, denn die äußeren ...

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Der welsche Gast
(IX. Kapitel, V.1304ff)

Ein törichter Mann sieht an an einer Frau (nur),
welchen Schmuck sie am Leibe trägt.
Er sieht nicht, was sie Innen besitzt
an guten Eigenschaften und Gedanken.
Ein trefflicher, guter Mann achtet hingegen auf
ihr Benehmen und ihre Gesinnung.
Trägt ein Ross keinen Sattel,
ist es darum dennoch nicht wertlos.
Ist eine gute Frau nicht vermögend,
reicht doch niemals heran
irgendeine eine begüterte Frau an sie,
die unredlich lebt.
Sollte ich ein Ross kaufen,
sähe ich das Zaumzeug nicht genauer an
als das Pferd; ich würde
sehen wollen, wie seine Statur ist
und welche Beine und Füße
es hat. Genau das muss tun,
wer eine gute Frau wählen will.
Er soll nicht zu viel darauf achten,
was sie besitzt. Zu prüfen,
ob sie gut ist, daran tut er besser,
denn mit einer armen, jedoch guten Frau
kann man sehr wohl glücklich sein,
mit einer reichen, bösen Frau dagegen
wird man ein unglückliches Leben führen.

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Anmerkungen:

'Der Welsche Gast' also ist es, aus dem wir die angeführten versgeformten Lebensweisheiten zitierten. Wir wollen an dieser Stelle gar nicht mehr auf dieses, zu Beginn des 13. Jahrhunderts geschriebene Lehrgedicht eingehen - finden sich doch einige Hinweise dazu bereits an anderer Stelle, nämlich in jenem Beitrag, in dem uns Thomasin über die rechte Tischzucht belehrt.

Tischmanieren, Liebe, die Erziehung Jugendlicher und manches mehr ... unser geistlicher Gelehrter offenbart sich in seinem Werk als wahrer Fachmann in vielerlei Umfeld. Auch wenn es bei Tisch heutzutage (hoffentlich) nur noch selten so martialisch zugeht wie einstens. Und auch die handfesten Vergleiche, die er heranzieht, um seine Empfehlungen für die Wahl der geeigneten Frau zu untermauern, dürften der einen oder anderen fortschrittlichen Dame sauer aufstoßen ...

Doch, so wollen wir Thomasin an dieser Stelle verteidigen, ist seine Aussage zum Thema im Kern zumindest eine richtige - wer würde schon abstreiten wollen, dass der wahre Wert eines Menschen nicht an Äußerlichkeiten festzumachen ist. Pfui, ihr oberflächlichen Kerle, die ihr am Strand nur auf ... und auf ... allenfalls noch auf ... nun eben dorthin seht! Für Langfristiges ist das Augenmerk auf ganz Anderes zu richten ... wobei, auf Ipanema ... gut, lassen wir das ...

Vom angesprochenen Vergleich distanzieren wir uns natürlich aufs Schärfste. Wobei doch zu erwähnen wäre, dass das Ross dem mittelalterlichen Fürsten und Adeligen, und an solchen war das Lehrgedicht gerichtet, ein äußerst wertvolles Gut war, ungleich wichtiger als uns Heutigen. Stets geeignet, die Aufmerksamkeit der Zuhörer wach zu halten. Manch junger, mit den Wirrungen der Liebe noch unerfahrener Gecke mag damals zudem besser geübt im Umgang mit dem Pferd gewesen sein als in jenem mit der Weiblichkeit. Was also lag für unseren Experten näher, anschauliche Vergleiche dort zu suchen, wo er Kenntnisse und Verständnis der 'Jungherren' voraussetzen konnte?

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