Sælde und êre - Mittelhochdeutsche Originaltexte

'... dâ bî von swerten clingâ clinc' - Das Turnier vor Kanvoleis 3

Turnierstechen vor dem Kaiser, Abbildung aus einer Lohengrinhandschrift, um 1470

Zurück zum ersten Teil und zum zweiten Teil der Turnierschilderung ...

Nachdem Gachmuret mit derartigem Pomp in Kanvoleis eingeritten ist, dass es sogar die Schlafenden aus dem Bett gerissen hat, erfährt nicht nur die Königin sondern auch sein Vetter Kaylet, der König von Spanien von seinem Eintreffen. Hocherfreut ist er, dass sein Verwandter angekommen ist. Doch es sind nicht nur die verwandtschaftlichen Bande, die in Kaylet diese Gefühle hervor- rufen. Wir erfahren (in einem Textabschnitt, der hier der erforderlichen Kürze wegen nicht widergegeben wird), dass bei diesem Turnier zahlreiche Herrn von hohem Range anwesend sind. Darunter auch Persönlichkeiten, die sich in persönlicher Fehde mit Kaylet befinden und geschworen haben, ihn im Kampfe zu besiegen und gefangenzunehmen ...

Zurück zur Übersicht Mittelhochdeutsch, zum Anschlagbrett, oder zur Hauptseite

Kleiner Zwischenraum

Parzival (Ausschnitte aus Buch 2)

...
Ein Kampfgeschrei erhob sich
um zwei stolze Helden:
Schyolarz von Poitou
und Gurnemanz von Graharz,
die hatten auf dem Turnierplatz zu tjosten begonnen;
dies war der Auftakt zum Vorabendturnier.
Hier ritten sechs, dort wohl drei:
denen sich bald eine kleine Schar anschloss.
Sie begannen nach rechter Ritter Art zu kämpfen,
was hätten sie denn sonst machen sollen?
Es um die Mittagszeit,
während Herr Gachmuret noch in seinem Zelte lag.
Da erfuhr der Herr von Zacamanc,
dass die Reihen der Kämpfer lang und weit
auf dem Feld geworden waren,
wie es sich für Ritter geziemte.
Daraufhin machte auch er sich auf
und manch buntes Banner zog mit ihm.
Er kümmerte sich nicht, wild herumzufahren,
er wollte in aller Ruhe beobachten,
was auf beiden Seiten geleistet wurde.
Seinen Teppich breitete man auf das Feld,
da wo sich die Haufen ineinanderwühlten
und die Pferde unter den Sporen aufwieherten.
Seine Knappen bildeten einen schützenden Ring,
davor jener Klingklang, den die Schwerter erzeugen.
Während sie nach Ruhme rangen,
klangen ihre Klingen!
Die Speere krachten laut,
er brauchte nicht zu fragen woher.
Kampf das waren die Wände seines Lagers,
von Ritterfäusten errichtet.
Das ritterliche Treffen war so nahe,
dass die Frauen vom Palas herab
gut beobachten konnten, wie sich die Helden plagten.
...
Es wurde da Beachtliches geleistet
von manch Kühnem,
wenn er auch nicht von so hohem Ansehen war,
dass er sein Begehr nach dem Siegespreis der Königin richtete,
ihren Leib und ihr Land.
Sie trachteten nach anderem Gewinn.
...

Kleiner Zwischenraum

Anmerkungen:

Und während Kaylet noch die beeindruckende Liste seiner Gegener aufzählt (was hat er bloß angestellt?), erfahren wir dabei eini- ges über die Turnierpraxis - zumindest wie sie in der zeitgenössischen Literatur repliziert wurde. Zwei Gruppen sind es, die sich ge- genüberstehen werden - wir haben also einen Gruppenkampf zu erwarten - und jeder Kämpfer hat sich einer dieser Gruppen anzu- schließen. Ihre Zusammensetzung ergibt sich dabei wie von selbst; es sind verwandtschaftliche und freundschaftliche Bande, ebenso lehnsrechtliche. Offensichtlich kann es dabei schon vorkommen, dass dabei eine Seite ein deutliches Übergewicht aufweist. Egal, umso größer ist die Aussicht, einen verhassten Widersacher im gegnerischen Haufen zu besiegen und um ein saftiges Löse- geld zu erleichtern.

Persönliche Feindschaften scheinen also im Rahmen eines solchen Turniers durchaus eine Rolle gespielt zu haben. Dass dann nicht immer die Regeln gewahrt wurden, das kann man sich gut vorstellen. In Kaylets Fall trifft aber gerade noch rechtzeitig Vestärkung ein. Mit Gachmuret an seiner Seite rechnet er sich nun gute Chancen aus, auf der Siegerseite zu stehen. Doch der geht es vorerst eher gemächlich an. Während auf dem Turnierfeld die ersten Grüppchen aufeinandertreffen, ruht der Herr in seinem Zelt. Immerhin wir befinden uns in Frankreich, im mediterranem Gebiet und dort weiß man offensichtlich gut zu leben - und zu rasten.

Schließlich wird das Hauen und Stechen so intensiv, immer mehr Ritter stoßen zu den kämpfenden Parteien, dass es mit der Ruhe vorbei ist. Doch unser Held hat nicht die Absicht, sich schon ins Getümmel zu werfen. Immerhin befindet man sich erst am Vortag des eigentlichen Turniers. Was jetzt am Feld stattfindet ist ein Vorabendturnier. Eine Aufwärmveranstaltung sozusagen, Gelegen- heit der Langeweile und dem Lagerkoller mit ein wenig Bewegung zu begegnen und bereits verfrüht dreinzuhauen. Doch Achtung, man weiß aus Berichten, dass bei solch einem Vesperturnier das Temperament manches Recken im Eifer des Gefechtes durchgehen kann - und dann bleibt es nicht bei einem Probewaffengang.

Gachmuret hingegen hält sich zurück und lässt sich eine komfortable Liegestatt direkt am Kampffeld errichten. Inmitten eines Walls aus schützenden Knappen, welche allzuangriffslusige Herren zurückhalten sollen, kampiert er auf bequemer Unterlage und beob- achtet klugerweise die Kampfeskünste seiner potentiellen Gegner. Gleiches tun die Damen, die vom Palas der nahen Burg - der Kampfplatz ist so angelegt, dass die edlen Frauen und vor allem die Königin, die zusammen mit ihrem Land der Hauptpreis des Tur- niers sein wird, alles gut beobachten können.

Ob hohe Herren oder arme ritterbürtige Schlucker, alle messen sich im Kampf. Gleichheit? Nicht ganz! Es gibt Rangunterschiede, wie wir erfahren: Die armen Ritter dürfen wegen ihres geringen Standes nicht hoffen den verführerischen Hauptpreis erringen; für sie bleiben andere Preise zu erringen: Waffen, Pferde oder Lösegelder ...

Die Königin hingegen hofft, dass der eben eingetroffene Gachmuret der Gewinner sein wird. So wie wir fragt sie sich, wann er end- lich in den Kampf eingreifen und alles ordentlich aufmischen wird. Nun, ihr möget euch noch ein wenig gedulden, dann werdet ihr erfahren, ob ihm denn das gelingen werde ..

Weiter zum vierten Teil der Turnierschilderung ...

Zurück zur Übersicht Mittelhochdeutsch, zum Anschlagbrett, oder zur Hauptseite

© 2008, Gestaltung und Inhalt: H. Swaton - alle Rechte vorbehalten