Saelde und Ere - Arbeiten an Texten

Schreibung und Aussprache mittelhochdeutscher Texte - Teil 4

Der künec geht jagen - klingt hart, nicht nur für das Federvieh - König Konrad, aus der Manesser Liederhandschrift, frühes 14. Jhdt.

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Zum zweiten Mal: die Aussprache

Da habt ihr es nun geübt - viele Stunden lang, Tage, ja Wochen gar, dass nämlich die erste Silbe im mittelhochdeutschen Wort hauptbetont sein müsse. Schüchtern leise vorerst, dann stets lauter werdend habt ihr eure Sätze gesprochen. Und also habt ihr dann die heimischen Halle verlassen und den ersten besten Wanderer, der euren Pfad gekreuzt, die schwielige Rechte an die machtvolle Schulter gelegt und ihn so zum Verweilen bewegt. Erst wird Erschrecken sein Gesicht, dann Erstaunen es gezeichnet haben. Und voller Stolz und mit viel Freude teiltet ihr ihm folgendes mit, dass nämlich 'Kámel und Élefant fróhlocken wegen der Bánanen im Pálast!'

Aber was wurde euch zum Lohn für all die liebe Müh? Bewunderung, ob der so hart erlernten Aussprache dieser wundersamen Wörter? Lob gar? Mitnichten! 'Das glaube ich euch gern, ...' mag er nämlich - nachdem das Erstaunen aus seinem Antlitz geschwunden - erwidert haben, '... aber eine gute mittelhochdeutsche Aussprache habt ihr darum noch lange nicht erworben. Denn, merkt an, es gibt der Vorschriften mehrere, die ihr zu beachten habt - nicht bloß die eine. Und - merkt an - Bananen gab's damals in den Palästen nicht!'

'Élendiges Pech,' habt ihr ihm zur Antwort gegeben, 'jetzt vérfällt mir gleich das Gésicht!', dann seid ihr umgekehrt, mit dem Schwur eure Klause nicht eher zu verlassen, nicht eher wieder unter die Menschen zu treten, bevor nicht alle diese Regeln, von denen der Wanderer gesprochen, eure Rede so süßlich klingen lassen, wie den Gesang der lieblichen Nachtigall.

Was also ist also die zweite Regel, die es für euch zu beachten gilt, wenn ihr in zukünftigen Tagen jene Aufmerksamkeit erregen wollt, nach der euch verlangt? Nun, nehmt erneut eure Hefte zur Hand und schreibt auf:

2. Im Mittelhochdeutschen sind kurze und lange Vokale deutlich voneinander zu unterscheiden. Alle Vokale, die in standardisierter Textausgaben nicht gesondert gekennzeichnet sind, sind kurz auszusprechen, insbesondere erhalten dann auch viele Wörter, ihren für die (normalisierte) mittelhochdeutsche Aussprache charakteristischen kurzen, 'abgehackten' Klang.
Lange Vokale werden in den modernen Textausgaben dabei durch Zirkumflexe (also z.B. â, î, û, usw.) oder durch Ligaturen über den Vokalen gekennzeichnet.*
Ebenfalls lang auszusprechen sind die Diphtonge (ei, ie, eu/öu, uo, ou, üe) sowie die 'langen' Umlaute æ, œ, iu (also langes ä, ö und ü).

Lange Ümlaute ... ähh, Umlaute? Somit muss es also auch kurze geben? Ja, genau, die gibt's im Mittelhochdeutschen: der künec ist also im Gegensatz zum neuhochdeutschen König, der allerdings mittlerweile eine aussterbende Spezies darstellt, mit kurzem erstem Vokal auszusprechen. Und wenn künec und künnegin den eber jagen, dann klingt das alles ziemlich zackig preussisch, wie die vielen Tätigkeiten auch, denen wir so gerne frönen, wie dem klagen, minnen und leben. Kurz nur klingen sie, diese Wörter ...

Das geht uns jetzt aber doch zu schnell; denn schließlich sollen die Momente der Liebe und das Leben nicht allzuschnell ver- streichen (was hätten wir denn von drei Minuten oder zwanzig Jahren - das Klagen, nun das könnten wir allenfalls kurz belassen). Was uns zu guter Letzt zu der Vermutung veranlasst, dass unseren seligen Vorfahren weiland in Ostarrîchi sich, wie die Menschen in manch anderen Gegenden auch, wohl kaum dieser normierten, akademischen Aussprache bedienten. Zumindest nicht vor 1365, alsda nämlich erst Herzog Rudolf IV die Wiener Universität gründete ...

(* ....wobei wir von Sælde und êre auf unserer Seite dem Zirkumflex den Vorzug geben - was geben gesprochen wird - also kurz - und nicht gêbên, wie dies in moderner Aussprache üblich ist.)

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