Saelde und Ere - Arbeiten an Texten

Übersetzen mittelalterlicher deutscher Texte - Teil 3

Der Iwein des Hartmann von der Aue; Ausschnitt aus der Handschrift B, um 1200

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Was spricht gegen zweisprachige Übersetzungen?

Im heutigen Artikel wollen wir uns neuerlich der Frage zuwenden, wie man sich den Inhalt mittelalterlicher (deutschsprachiger) Texten aneignen kann. Wir haben darüber bereits mehrfach gesprochen und sind zu der Ansicht gelangt, dass für den Laien, der kein perfektes Mittelhochdeutsch beherrscht - und wer von uns tut dies denn? -, ein erster vernünftiger Schritt sicherlich in der Verwendung von zweisprachigen Ausgaben besteht. Einem mittelhochdeutschen Text, der so aufbereitet ist, dass offensichtliche Schreibfehler beseitigt sind und auch die Zeichensetzung unseren Gewohnheiten angepasst ist, steht eine neuhochdeutsche Übersetzung gegenüber.

Mit zunehmender Praxis sollte dann die neuhochdeutsche Übersetzung, so unsere Meinung, nur noch zum Querlesen und zur Ver- ständlichung unklarer Textstellen verwendet werden (wobei es interessant sein kann, mehrere Übersetzungen derselben Textstelle vergleichend heranzuziehen). Dies deshalb, da jede Übersetzung vorerst eine Entscheidung darstellen muss, eine Entscheidung, ob der Originaltext möglichst sinngemäß oder oder möglichst stilgerecht übertragen werden soll. Das eine Extrem führt dazu, dass der Rythmus und die Sprachmelodie des Originals unwiederruflich verloren gehen, das andere dazu, dass allzuoft Kompromisse inhalt- licher Natur getroffen werden müssen, um die Reimung und Satzmelodie in der gewünschten Form zu erhalten, etc.

Wer nun eine solche neuhochdeutsche Übertragung vor sich hat, hat auch den Kompromiss des Übersetzers vorliegen, eine Über- tragung, in die neben der obgenannten Grundsatzentscheidung vielfache Interpretationen eingegangen sind, die auch anders hätten ausfallen können. Ja vielleich spiegelt sich an manchen Stellen darin die spezielle Weltsicht des Übersetzers mehr als der originale Text.

Was aber spricht gegen die zweisprachige Ausgabe, in der dem 'Originaltext' eine gut lesbare Übersetzung beigelegt ist? Warum gibt es Philologen, die gegen deren Verwendung spricht?. Nun, von dieser Seite ist des Öfteren die Meinung zu hören, das eine flüssig zu lesende Übertragung eher vom mittelhochdeutschen Text wegführt, denn zu ihm hin. Schließlich steckt in der Übertra- gung bereits wieder der Übersetzter als Zwischenglied - und wie wir vom beliebten Kinderspiel, der 'stillen Post', wissen, erhöhen solche Zwischenglieder die Gefahr, dass der Sinn einer Botschaft verfälscht wird.

Welchen Vorschlag hat denn nun diese Fraktion für uns übrig, wenn wir uns mit mittelhochdeutschen Texten beschäftigen wollen? Erst einmal sagen sie, dass es schade wäre, einen Text in Übersetzung zu lesen (das kennen wir spätestens dann, wenn wir Büch- er beispielsweise im englischen Original mit der deutschen Übersetzung vergleichen - ich denke da etwa an James Joyces Finnigans Wake - irgendwas geht immer verloren), vor allem dann, wenn man dessen Originalsprache verhältnismäßig einfach erlernen kann. Denn eins sollte man nicht vergessen: Mittelhochdeutsch ist nun einmal eine - wenn auch alte - Form des Deutschen, von der wir immer noch einen relativ großen Teil verstehen.

Die Schwierigkeit dieses Ansatzes liegt aber wie immer im Detail: Relativ viel zu verstehen bedeutet nun einmal nicht alles zu ver- stehen, ja im Mittelhochdeutschen sogar manches misszuverstehen, weil sich Wortinhalte gewandelt haben. arebeit und hôchgezît bedeuteten nun einmal vor 800 Jahren etwas anderes als wir heute vermuten würden. Nun, so ganz ohne Hilfe lassen uns die Pur- isten zum Glück nicht stehen. Sie bieten als Ersatz für die flüssig lesbare Übersetzung, die dazu führt, dass wir den Originaltext links liegen lassen, eine 'schlechte' Übersetzung an, wobei Übersetzung in diesem Sinne eher einen sprachlichen Kommentar miss- verständlicher Begriffe denn eine wirkliche Übertragung meint. Damit, so der böse Hintergedanke dieser Leute, müssten wir uns rasch wieder dem Originaltext zuwenden, denn Kommentare lesen kann nun einmal nicht den literarischen Genuss ersetzten. womit sie zweifelsohne nicht Unrecht haben ...

Allerdings ist es mit einem sprachlichen Kommentar alleine wohl noch lange nicht getan. Denn anders als bei der oben angesproch- enen Übersetzung des (relativ) zeitgenössischen englischsprachigen Werkes, müssen wir bei mittelalterlichen Texten nicht nur eine in vielen Bereichen gänzlich anders geartete Denkweisen berücksichtigen, andere Grundeinstellungen, Wertevorstellungen sondern natürlich auch eine vollständig andere Sachkultur. Was wiederum nach einem Kommentar solcher Begriffe und Gegenstände ver- langt, wie sie in der Ritterkultur gebräuchlich waren, etc. Lange Rede kurzer Sinn: Je mehr Wissen man über die Lebensumstände einer bestimmten Zeithat, umso besser wird man Werke verstehen können, die in dieser Zeit entstanden sind. Dies gilt natürlich im besonderen maße auch für mittelhochdeutsche Werke. Dabei kann uns die Beschäftigung mit den Quellen (in gewissem Ausmaß) helfen, zu einem besseren Verständnis der Zeit zu führen, das bessere Verständnis der Zeit zu einem tieferen Verstehen der Tex- te. Irgendwie ist das Ganze aber ein Zirkelschluss ...

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