Sælde und êre - die Chronik

Hier nun mögt ihr manches erfahren, dass sich einstmalen zugetragen hat ....

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Der Friedensschluss von Jaffa

Der Nahe Osten ist nicht erst heute Brennpunkt stetiger Unruhen und blutiger Auseinandersetzungen. Schon hethitische und ägyptische Schriftzeugnisse, schon die Bibel wissen von zahllosen Schlachten und von manch grausamen Gemetzel zu berichten und Josephus Flavius gibt uns in seinen 'Jüdischen Kriegen' den Beleg dafür, wie schwer es selbst für das mächtige Rom war, den Frieden in der Region dauerhaft zu wahren.

Das Heilige Land, seit 638 unter muslimischer Herrschaft, musste, mit Jerusalem im Zentrum, mit den bedeutungsgeladenen Orten Bethlehem und Nazareth, ein steter Hort des Begehrens und der Sehnsucht für die mittelalterliche Christenheit bleiben. Hier, im Schnittpunkt von Judentum, Christentum und Islam befanden sich - insbesondere in Jerusalem - wichtige Andachtsstätten, deren Besuch durch Pilger zu manchen Zeiten recht unkompliziert, zu manchen durch Repressionen nur schwer oder nicht möglich waren.

Übergabe Jerusalems duch Sultan al-Kamil an Friedrich II., Abbildung aus der Chronica des Giovanni Villani, 14. Jhdt.

Es ist hier nicht der Ort, die Ursachen zu untersuchen, die schließlich zu der Bewegung führten, die wir als die Kreuzzüge zu bezeichnen pflegen, die aber von den Teilnehmern und Zeitgenossen stets als 'bewaffnete Pilgerfahrten' artikuliert und von vielen wohl auch so empfunden wurden.

Soviel sei an dieser Stelle jedoch angemerkt: Die Ursachen lassen sich keinesfalls in die heutzutage häufig geäußerte Aussage simplifizieren, wilde Haufen grobschlächtiger 'Franken' seien unvermittelt ohne weitere Grundlage denn ein päpstliches 'Deus lo vult' aufgebrochen. Vielmahr war es ein Geflecht komplizierter Beziehungen zwischen östlicher Kirche und Papsttum, dem Wunsch des Papstes, die Kirche durch diese Bewegung zur zentralen Ordnungsmacht der Christentums werden zu lassen, der zunehmenden Bedrängnis Byzanz durch die vordringenden Seldschuken, der Erschwernis des Zuganges der Heiligen Stätten für christliche Pilger durch die muslimischen Herrscher Jerusalems ...

Keine einfach überschaubare Situation, die auch und vor allem nach der von zahlreichen Gräueltaten begleiteten Eroberung der christlichen Kreuzfahrerstaaten, der Fürstentümer Edessa und Antiochia und des Königreiches Jerusalem bestehen blieb: Zu unterschiedlich waren die Interessen der europäischen Eroberer, zu unüberschaubar auch die Konflikte in stets wechselhaften Konstellationen zwischen den muslimischen Dynastien.

Da Interessen europäischer Herrscher; Normannen im Gegensatz zu Byzanz, Franzosen, Deutsche, Lombarden! Religiöse Eiferer und 'Realpolitiker'. Templer und Hospitaliter! Der Deutsche Orden. Dazwischen die italienischen Seefahrerstädte, stets und vor allem auf ihre Gewinne bedacht. Die bei den Lateinern verhassten Griechen, die wann immer es ihre Verhältnisse erlaubten, die Kreuzfahrer an gebrochene Gelöbnisse zu erinnern suchten. Päpstliche Legaten, die meinten, Einfluss nehmen zu nehmen müssen ...

Dazu noch die Übermacht der muslimischen Staaten, deren Herrscher sich nicht selten selbst bekriegten und in Erbfolgestreitigkeiten verzettelten, die jedoch immer dann, wenn es einer energischen Persönlichkeit gelang, sie zu einigen, zur tödlichen Bedrohung für die lateinischen Eroberungen wurden.

So auch 1187, als Sultan Salah ad-Din (Saladin) nach der Vereinigung Syriens und Ägyptens in der Schlacht von Hattin die Armee des Königreichs Jerusalem vernichtend schlug und in Folge auch Jerusalem selbst einnahm und von den lateinischen Gebieten nur noch ein schmaler Küstenstreifen um Akkon verblieb. Die als Reaktion einsetzenden weiteren Kreuzzüge vermochten die Situation zwar mit mehr oder weniger Erfolg stabilisieren, Jerusalem verblieb jedoch unter muslimischer Herrschaft.

Umso bemerkenswerter ist der Erfolg einzuschätzen, denn der Stauferkaiser Friedrich II. mit dem 6. Kreuzzug zu erzielen vermochte, als er 1229 Jerusalem letztmalig der Christenheit zurück gewann - und das nicht unter Einsatz von Waffengewalt, sondern durch Verhandlungsgeschick! Was wiederum vielen Zeitgenossen, nebst dem Umstand, dass sich Friedrich just in diesem Augenblick durch einen päpstlichen Bann belegt sah, ein gewaltiger Dorn im Auge war.

Dazu ist zu sagen, dass in jenen Jahren, der Kampf um die Vorherrschaft zwischen Papsttum und Kaisertum erneut verstärkt entflammt war und Friedrich, im arabisch-normannisch Umfeld Palermos aufgewachsen, sich mit seiner Art zu herrschen, die mit sarzenischer Leibwache und (angeblich) Harem mehr einem orientalischen Despoten denn einem mittelalterlichen europäischen Fürsten glich, längst vom Papstmündel zum Ärgernis und Konkurrenten entwickelt hatte, den die päpstliche Propagande später sogar zum Antichristen hochstilisieren sollte.

Mehrerer Sprachen mächtig, hat er wohl schon bald nicht nur den Kontakt mit bedeutenden Gelehrten seiner Zeit, sondern auch mit muslimischen Herrschern gepflegt, ein Umstand, der im bei seinem Zug nach Outremer zugute kommen sollte. Doch bis es tatsächlich dazu kam, brauchte es eine gute Weile - was mehreren Päpst großen Ärger verursachte ...

1215 hatte sich Friedrich anlässlich seiner Königskrönung nämlich Papst Innozenz III gegenüber zum Kreuzzug verpflichtet, sein Antreten jedoch mehrfach verschieben müssen(?); so hatte der nicht zuletzt durch interne Streitigkeiten in einer Niederlage endene Kreuzzug von Damiette bereits ohne ihn stattgefunden - was manche Zeitgenossen dazu veranlasste, ihm die Schuld für den Misserfolg zuzuschreiben.

1225 erneuerte Friedrich gegenüber Papst Honorius III sein Kreuzzugsgelübde, verschob 1227 den Aufbruch erneut, als eine Seuche innerhalb des bereits aufbruchbereiten Kreuzfahrerheeres zu wüten begann, worauf Papst Gregor IX den Kirchenbann über ihn sprach.

Dessen ungeachtet brach Friedrich 1229 mit einer kleinen Streitmacht ins Heilige Land auf, wo er von der Mehrheit der christlichen Bevölkerung feindselig empfangen wurde. Ebenso distanziert standen ihm die einheimischen Adelsgeschlechter gegenüber. Die einzig Unterstützung vor Ort fand er im Deutschen Orden unter seinem Hochmeister Hermann von Salza, umso bemerkenswerter darum der Erfolg, den er ohne Blutvergießen erzielen konnte:

Am 18. Februar 1229 vollführten er und Ägyptens Ayyubiden-Sultan al-Kamil den Friedensschluss von Jaffa, der nebst einem zehnjährigen Waffenstillstand den Christen zurückzugeben vermochte, was zahlreiche kriegerische Operationen nicht vermocht hatten: Jerusalem, Bethlehem, Lydda, möglicherweise auch Sidon, Nazareth und die Burg Toron fiel an die Kreuzfahrer zurück, wobei bemerkenswerter Weise die Muslime in Jerusalem eine eigene Gerichtsbarkeit und den Tempelberg behielten (was wiederum die Templer erzürnte, wurde doch über ihre Interessen hinweggegangen).

Ein sehr humaner Ansatz zur Problemlösung möchte man meinen - sicherlich erleichtert durch die gegenseitige und wohl schon längerfristig durch schriftliche Korrespondenz aufgebaute Wertschätzung der Handelnden als auch durch deren Interesse, sich durch den Vertrag den Rücken für lokale Streitigkeiten freizuhalten beziehungsweise rasch die Rückkehr ins heimatliche Unteritalien antreten zu können (bezeichnenderweise hatte der Papst Friedrichs Abwesenheit dazu genützt, um seine Truppen in Sizilien einfallen zu lassen).

Recht lang hielten die Erfolge Friedrichs nicht vor: Nachdem er als König von Jerusalem (einen Titel, der auf seiner Eheschließung mit Isabella von Brienne, der Erbin des Königreichs Jerusalem zurückführte) Outremer wieder verlassen hatte und er sein Augenmerk wieder zunehmend auf die nie gänzlich abgeklungenen inneritalienische Auseinandersetzungen mit dem Papsttum richten musste, flammten in den Kreuzfahrerstaaten die schwelenden Konflikte zwischen den Parteien der einheimischen Barone und den Kaisertreuen zum offenen Krieg auf, was eine weitere Schwächung der Kreuzfahrerstaaten zur Folge hatte, die im endgültigen Verlust Jerusalems 1244 und im Ende der Kreuzfahrerstaaten 1291 gipfelte.

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Das Pfingstfest und der Hof des guten Königs Artus

In der Absicht, unseren Lesern denkwürdige, staunenswerte, einmalige oder (wenn's denn gar nichts von dem Vorgenannten zu erzählen gibt) zumindest skurile Ereignisse aus vergangenen Jahrhunderten zu präsentieren, bemühen wir uns (wenn auch in letzter Zeit ein wenig vernachlässigt), in der vorliegenden Rubrik solche Geschehnisse auszuwählen, welche einen Bezug zum aktuellen Datum besitzen. Und damit es sich bei besagten Ereignissen nicht immer nur um Todestage oder Gräuelereignisse und Schlächtereien handelt (wodurch wir letztendlich wieder beim Thema Todestag angelangt wären), sollen hier endlich auch einmal Feierlichkeiten zur Sprache kommen!

Eben darum muss es heute um Pfingsten gehen, Pfingsten, das bekanntlich ein Hochfest im Festzykus des christlichen Jahres darstellt. Welches die historischen Anbindungspunkte, welches die Inhalte des Festes sind, welche Gebräuche man daran knüpft, all das wollen wir hier nicht näher erläutern, schließlich haben wir uns bereits an anderer Stelle damit befasst, wie mit den unmittelbar nachfolgenden Trinitatissonntag.

König Artus mit seinen Rittern beim Kirchgang, Abbildung aus einer nordfranzösischen oder flandrischen Handschrift, um 1320

Theologische Inhalte Inhalte und Brauchtum wurden also bereits erwähnt, zwei Punkte, die man der Geistlichkeit und dem (gemeinen) Volke zuorden könnte. Was noch fehlt, wäre das typische Gebaren des weltlichen Herren, der Fürsten, Ritter und Hochwohlgeborenen, die im Standesdenken jener vergangenen Zeiten die zweite Gesellschaftsstand, jenen der Krieger nämlich, bildeten.

Wie die Edlen das Pfingstfest begingen? Was hat das alles mit einer Chronik zu tun, werdet ihr jetzt vielleicht fragen? Nun, soviel, dass just zu Pfingsten vor ungefähr recht genauen 1500, vielleicht 1600 Jahren sich ein bestimmtes Ereignis zutrug, das ein recht genaues Bild auf dieses Verhalten zu werfen vermag! Aber halt, was schreiben wir da? Ein Ereignis? Nein, mehrere. Viele! So viele, dass ganze Bücher mittelalterlicher Autoren nicht ausreichten, um nur ein Siebtel eines Siebtels all der unerhörten Geschehnisse und reichlich bestaunenswerten Wunder zu beschreiben, die da zu Pfingsten ausgelöst und erlebt wurden!

Längst schon ahnt ihr es, treue Leser! Dass wir uns nämlich auf eine Zeitreise zurück begeben, zurück an den legendären Hof des guten König Artus, der berühmt war, ist und es immer sein wird und somit keinesfalls als Erfindung besagter Autoren gedacht werden darf. Schließlich weiß die Forschung genauestens darüber Bescheid, dass es in Camelot war, vieleicht auch in Camlann oder gar in Karidol, wo derart Hof gehalten wurde. Und dort, dort treffen wir auf so unerhört Einmaliges, das in regelmäßiger Präzision, wie von einer Schweizer Uhr ausgelöst, jedes Pfingstfest seinen Ausgang nimmt!

'Ez hete der küne Artûs
ze Karidôl in sîn hûs
zeinen pfingesten geleit
nâch rîcher gewonheit
eine alsô sch?ne hôchzît
daz er vordes noch sît
deheine sch?ner nie gewan.'

('Iwein' 31 - 38
Hartmann von Aue),

Hier also, in Camelot, kommen sie zusammen, die Fürsten und Könige, die Ritter und Abenteurer des dies- oder jenseitigen Britanniens, um ihr doch recht anspruchsvolles und anstrengendes Programm abzuspulen. Nein, abzuspulen wäre nicht das richtigen Wort, um das begeisterte Treiben in dieser 'Hochgezit' zu beschreiben. Denn nach dem Kirchgang, der dem christlichen Herrn, zumal an einem so hohen Feiertage, so selbstverständlich ist wie das Atmen selbst, wird turniert und getjostet, wird getafelt und gebechert, werden die Damen hofiert, wird flaniert und parliert und wohl, wenn auch ein wenig nur, fabuliert und geflunkert ...

Wie alles am Hofe des guten Königs uns Heutigen überlebensgroß erscheinen muss, so müssen uns auch die Leistungen der Herren Ritter vom Tafelrund und auch der hinteren Reihen an solchen Festtagen mächtig beeindrucken! Dann anders als der schwächlichen Gegenwartsjugend, die schon nach durchgefeierter Freitag- und Samstagnacht (ohne Turnei!!) den Rest der (Schul-)Woche zur Erholung benötigt, überstehen die britannischen Edlen auch schon mal gut und gerne zwei Wochen solcher Anstrengungen ohne merkliche Abnützungserscheinungen. Allerdings darf man sich als gestandener Recke eine derartige Schwäche auch nicht leisten, gilt es doch die so zahlreich anwesenden Damen zu beeindrucken (ein Verhalten, das immerhin eine Ähnlichkeit mit Gegenwart herzustellen vermag).

Ja, die Frouwen - ach, denkt nur an all die schönen Frouwen auf den Zinnen und in den, vom Saitenspiel erfüllten Lauben der Gärten! (Fast) immer stehen sie im Mittelpunkt, fast immer sucht man sie zu beeindrucken - wenn nicht gerade eine Botin eintrifft oder ein zwar ehelicher, aber noch unbekannter Sohn, ein wilder Kerl oder ein absonderlich hässliches Weib, und Kunde mit sich bringt, eine Forderung oder Beleidigung in die Runde schleudert oder einen tränenfeuchten Hilfsappell haucht! Dann endlich - juchheissa! - gibt es Anlass zu einer neuen, begierig herbeigesehnten Aventiure auszureiten.

Denn eines darf ob all der Belustigungen nicht vergessen werden: Manchmal kann das Hofleben schon auch ein wenig Langeweile mit sich bringen. Begleitet von unerfreulichem Bauchgrinnen; dann etwa, wenn sich lange Zeit nichts Neues mehr begeben hat und der alte König just darauf darauf besteht, mit dem Mahl erst nach einem ersten frischen Abenteuerbericht zu beginnen. Warten, gähnen, schlafen ... warten, bis - bis endlich wieder eine Forderung an die Herren ergeht!

Das alles (oder fast alles, schließlich steht auch seltener Ostern und vereinzelt auch Weihnachten zur Auswahl) begibt sich jedes Jahr punktgenau - richtig! - zu Pfingsten, wiewohl wir nicht garantieren können, dass es sich um dasselbe Pfingsten handelt, wie wir es heute kennen. Zuerst ist es zu Artus Pfingstfest nämlich immer strahlend schön und der Frühling schlägt stets unbeeindruckt von nicht existentem Schlechtwetter und regnerischen Kälteeinbrüchen an allen Bäumen und Sträuchern aus - Unterschiede, die sich wohl durch den zwischenzeitlich erfolgten Klimawandel recht einfach erklären lassen.

Zudem ersteht in uns nach Zählung all der unerhörten Begebenheiten der Verdacht, es hätte besagtes Hochfest zu Zeiten des guten Königs wohl mehrmals im Jahre stattgefunden, andernfalls die Herren Gawein, Lanzelot, Kai, und wie sie sonst noch alle hießen, mancher Aventiure samt verführerischer Feenschar wohl bereits im biblischen Alter begegnen hätten müssen - und um das wär's dann ja wohl recht schade gewesen ...

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Geburtstag des 'göttlichen' Dante

Es ist schwierig, denjenigen, dem unser heutiger Beitrag in der Chronik gewidmet ist, den 'göttlichen Dante', wie er recht bald schon genannt wurde, gebührend zu würdigen: Immerhin finden sich viele Stellen - Bücher und Internetseiten -, die dies in viel ausführlicherer und profunderer Weise zu tun vermögen als wir dies könnten; zudem wären wohl selbst hundert Beiträge zu wenig, des berühmten Florentiners Leben und sein einzigartiges Werk ausreichend zu würdigen und zu besprechen.

Dante mit seiner Dichtung, im Hintergrund Florenz und die drei Reiche Inferno, Purgatorium und Himmel; Fresko des Domenico di Michelino, 1465

Was war das auch für ein Leben, das dieser Dante da Alighiero di Bellicione d'Alighiero inmitten der Wirren späten 13. und frühen 14 Jahrhunderts, im von ärgsten politischen Wirren und Auseinandersetzungen zerissenen Oberitalien, geführt hat - oder sollten wir besser schreiben, erleiden musste! Bis in die Jetztzeit bekannt blieb er, der stets auch politisch stets aktiv sein wollte, aber vor allem durch seine Dichtung, mit der er uns unbestritten eines der großen Werke der Weltliteratur hinterließ ...

'Nel mezzo del cammin di nostra vita
mi ritrovai per una selva oscura,
ché la diritta via era smarrita.'

Ahi quanto a dir qual era è cosa dura
esta selva selvaggia e aspra e forte
che nel pensier rinova la paura!'

('Als unser Lebens Mitte ich erklommen,
Befand ich mich in einem dunklen Wald,
Da ich vom rechten Wege abgekommen.

Wie schwer ist's, zu beschreiben die Gestalt
der dichten, wilden, dornigen Waldeshallen,
die, denk ich dran, erneun der Furcht Gewalt.

Die 'Comedìa' ist es, die große mittelalterliche Vision einer Wanderung durch die drei Jenseitsreiche Hölle, Läuterungsberg und Himmel, die später vom bewundernden Boccaccio mit dem Adjektiv 'divina' zur 'Göttlichen Komödie' ausgezeichnet wurde, die uns den Dichter Dante unsterblich werden ließ.

Doch es ist nicht das einzige Werk, das uns der große Florentiner, der irgendwann zwischen dem 18. Mai und dem 17. Juni in der Nähe der Kirche San Martino del Vescovo das Licht der von Wirren erschütterten toskanischen Stadt erblickte, hinterließ. Sicher aber das mit Abstand bedeutendste!

Zwischen Parteien, da die kaisertreuen Ghibellinen, dort die Guelfen, die nach dem Untergang der Staufer endgültig dabei waren, die Oberhand zu gewinnen und die sich später, nach ihrem Sieg in eine schwarze und eine weiße Partei aufspalten sollten, wuchs er als Sproß einer adeligen, wenn auch vermutlich nicht übermäßig wohlhabenden Familie auf, erfuhr dabei die klassische Ausbildung des vornehmen Jünglings seiner Zeit.

Er erfuhr die Ausbildung in den sieben freien Künsten, erlernte neben Latein - was ihm die Gelegenheit gab, sich schon früh an den lateinischen Klassikern, vornehmlich seinem späteren Führer durch die Jenseitsreiche, Vergil, zu begeistern - zudem noch Französich und Provenzalisch; Sprachen, die ihm erlaubten die französische (Minne-)Dichtung seiner Zeit kennenzulernen.

Ausbildung erfuhr unter anderem auch bei dem Philosophen und Dichter Brunetto Latini, der in Florenz wohl eine Schule der Rhetorik leitete. Stark wirkten auch die Schulen der jungen Bettelmönchsorden, der Franziskaner und der Dominikaner, mit der Gestalt ihrer Gründer, mit ihren herausragenden Theologen und Philosophen der Zeit - Thomas von Aquin, Bonaventura - auf den Heranwachsenden ein.

Zudem ergab sich - wie wir aus seinem 'Vita nuova' erfahren - eine weitere, reale Begegnung, die sein (gesamtes spätere) Leben beeinflussen sollte: Im Alter von neun Jahren traf er erstmalig auf jenes Mädchen, das in der 'Komödie' als Beatrice seine himmlische Führerin sein wird. Neun Jahre später, bei ihrem Wiedersehen, ist er längst vom Vater mit der Gemma de' Donati verheiratet - dieser Ehe werden zumindest drei Söhne und eine, vielleicht auch zwei Töchter entstammen.

Die angebetete Beatrice (handelt es sich um einen Decknamen für die Tochter des bedeutenden Bankiers und Handelsherrn Folco Portonari?) wird kurze Zeit später selbst vermählt sein, doch dies ändert nichts an Dantes bereits vergeistigter Liebe, die es ihm erlaubt - ganz in der Tradition der Minnedichter - eine einem Anderen verheiratete Frau anzubeten. Zum Idealbild wird sie ihm erst recht nach ihrem frühen Tod, mit kaum 25, einen Vorfall den er so sehr fürchtete und den er durchs Schreiben zu verarbeiteten suchte ...

Zu jener Zeit ist er, nachdem er sich in die Zunft der Ärzte und Apotheker eintragen ließ, wodurch ihm als Adeligen eine aktive Mitteilhabe an den öffentlichen Ämtern erst möglich wurde, längst ins politische Geschehen seiner Heimatstadt verwickelt, ja driftet als bedeutender Vertreter der weißen Guelfen immer mehr ins Zentrum der Auseinandersetzungen hinein. Die verschiedensten Interessen stehen gegeneinander, Gerichtsurteile erfolgen, Verstümmelungen geschehen, gegenseitige Verbannungen werden ausgesprochen, je nachdem welche der Parteien gerade Oberhand besitzt, Todesurteile in Abwesenheit ...

Der Papst, Bonifaz VIII, den Dante später ob seiner Daten in der Hölle schmoren lässt, setzt es sich in den Kopf, die Toskana mit Hilfe der französischen Anjou zum päpstlichen Lehen zu machen; die in der Defensive befindlichen Ghibellinen und die später mit ihnen verbündeten Weißen hoffen auf den Kaiser - kurzum es ist ein blutiges Durcheinander, das herrscht! In dessen Folge wird auch Dante auf Todesandrohung verbannt. Trotz aller Bemühungen gelingt es ihm, der in vielen anderen Städten am Hofe der Herrschenden als angesehener, doch stets auf Wohlwollen und Unterstützung angewiesener Gast aufgenommen wird, nicht mehr, in seine Heimatstadt zurückzukehren.

Endlich erfüllt sich seine große Hoffnung: 1310 überquert der frisch gekrönte deutsche König Heinrich VII die Alpen und lässt sich in Rom zum Kaiser krönen. Doch anstatt, wie von Dante erhofft, dem Kaiser zu huldigen, widersetzen sich viele italienische Städte dem gekrönten Herrscher. Und noch während seines Italienzuges verstirbt Heinrich, wie so viele fremde Eroberer, an der Malaria, noch bevor er den erhofften Frieden bringen kann. Immerhin schafft er es mit seinen Taten unmittelbar in Dantes Himmel, während seine Widersacher in die Hölle verbannt werden ...

Einmal noch bekommt Dante ein Angebot zur Rückkehr - doch ist es ein unehrenhaftes! Er, der sich als unschuldig Verbannter sieht, müsste sich öffentlich vorführen und demütigen lassen, seine Schuld eingestehen, hohes Bußgeld zahlen, ein Ansinnen, das ihn zur entrüsteten Ablehnung bewegt und seinen (leiblichen) Tod im Exil - im September 1321 in Ravenna - besiegelt. Seine Werke indess haben ihn ohnehin unsterblich werden lassen ...

'... Was tut's auch? Kann ich nicht überall den Glanz der Sonne und der Sterne erblicken? Kann ich nicht unter jedem Himmel die süßesten Wahrheiten durchdenken, wenn ich mich wenigstens nicht zuvor vor den Augen des Volkes und der Stadt Florenz in Ehrlosigkeit und Schmach bringe? An Brot wird es mir wahrlich auch nicht fehlen.'

(Auszug aus einem Brief Dantes an einen florentinischen Freund)

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Gedenktag des Heiligen Demetrius von Thessaloniki

Der 8. November gilt als Gedenktag des heiligen Demetrius; ironischerweise trägt dieser christliche Heilige, dessen Wirken ins dritte und beginnende 4. Jahrhundert verortet wird, in eine Zeit also, in der alte und aufstrebende neue Religionen im römischen Reich noch um die Vorherrschaft stritten, einen Namen, der an eine der klassischen griechischen Göttinnen erinnert: Demetrius bedeutet nicht weniger als 'Sohn der Demeter'. Ein Römer also, vermuten wir, der christlichen Legende folgend, der während der großen Christenverfolgungen des Diokletian und Maximianus in Sirmium, Illyriens Hauptstadt oder aber auch in Thessaloniki, das Martyrium erlitten haben soll.

Doch halt - so einfach ist diese Sache nicht, genau so wenig wie manch anderes auch, das unseren Tagesheiligen betrifft. Finden sich doch erst 150 Jahre nach seinem Tod (dessen genaues Datum, ja nicht einmal dessen Jahr wir exakt benennen können - war es 303/304, oder doch erst 306?) erste Hinweise auf eine Verehrung: Die Basilika Hagios Demetrios in Thessaloniki, die bis in unsere heutigen Tage ein Zentrum der Demetriosverehrung darstellt, reicht ins 5. Jahrhundert zurück. Dort werden angeblich auch die Reliquien aufbewahrt, die man jedoch erst in viel späterer Zeit aufgefunden haben will.

Der heilige Demetrius als Soldat; orthodoxes Fresko, Berg Athos, um 1300

Schriftliche Überlieferungen treten gar erst mit 9. Jahrhundert auf. Gemäß dieser Schriftquellen soll er einer einflussreichen römischen Familie entstammen; getötet wurde er nach diesen Legenden, indem man ihn mit Speeren durchbohrte (eine immerhin relativ humane Methode - vergleicht man mit damals kolportierten anderen Bösartigkeiten, um die zu diesem Zeitpunkt bei den Kaisern noch unpopulären Christen zu Tode zu bringen). Dies deshalb, weil er sich weigerte, seine christlichen Brüder und Schwestern zu verfolgen. Folgerichtig ließ man ihn in späterer Zeit, als er bereits als Schutzherr der Soldaten angesehen wurde, in der Überlieferung selbst zum Soldaten werden.

Relativ unsichere Quellen also, die mancherseits gar zur Anzweifelung seiner historischen Existenz führen. Doch soweit wollen wir hier nicht gehen. Vielmehr gibt uns die Tatsache, dass Demetrius vor allem in Griechenland, dort besonders in Thessaloniki, und am orthodoxen Balkan, verehrt wurde und immer noch wird, einen Hinweis in dieser Sache: So wird vermutet, dass sich in der Überlieferung des Demetrius drei historische Personen ein Stelldichein geben.

Da wäre zuerst jener bereits erwähnte christliche Märtyrer, der zu Beginn des 4. Jahrhunderts unter Maximianus in Sirmium den Tod gefunden hat. Zudem glaubt man in den Legenden des Heiligen Taten eines christlichen Diakons aus Sirmium sowie eines weiteren, slawischen Diakons zu erkennen. Nachdem nämlich die Verehrung des Demetrius im 9. Jahrhundert mit den 'Slawenaposteln' Cyrillus und Methodius nach Mähren und Pannonien gewandert war, dürften dann manche Taten dieses slawischen Kirchenmannes in die Gestalt des Heiligen projeziert worden sein ...

Von Sirmium (dessen altserbischer Name Dimitrovce ebenso wie das ungarische Szava Szent-Demeter noch an ihn erinnern) kamen die angeblichen Gebeine des Demetrius nach Thessaloniki - was wohl die Hunnenplünderungen von 441/442 zur Ursache hatte.

Von Thessaloniki aus verbreitete sich seine Verehrung in den ganzen christlichen Osten und - im Gefolge zurückkehrender Kreuzfahrer - später auch in den lateinischen Westen. Schließlich galt er damals schon als Patron der Soldaten und Kämpfer und war als solcher auch für die fränkischen 'Besucher' des Heiligen Landes von Nutzen; war doch die bewaffnete Wallfahrt gen Osten nicht nur mit großartigen Gewinnaussichten für diesseitige Herrschaft und jenseitiges Heil der Seele, sondern auch mit enormen Risiken für Leib und Leben verbunden.

Demtrius ist nicht nur Patron der Soldaten, sondern er beschützte neben Thessaloniki auch Konstantinopel (wenn auch, wie wir wissen, nicht mit nachhaltigem Erfolg) - und Venedig; was nicht verwundert, wenn wir bedenken, wie viele der ehemals als bewaffnete Wallfahrten bezeichneten Züge nach Outremer hier ihren Ausgang nahmen. Wohl von Mähren aus gelangte seine Verehrung ins orthodoxe Russland, wo 1052 das erste Dimitrikloster gegründet wurde.

Dargestellt wird er stets als junger, bartloser Soldat in unterschiedlicher Gewandung (Panzerhemd, Panzerhose, Mantel, Chiton und Chlamys, usw. - auch in westlichen Kirchen, wie dem Halberstadter Dom oder im Straßburger Münster), dem die Attribute Lanze, Schwert und Pfeile zugeordnet sind, der manchmal auch zu Pferde sitzt und der (auf einem Fresko von San Biagio in Santu Vitu) sogar den bulgarischen Zaren Kolojan, während dessen Angriff auf Saloniki, mit der Lanze tötet. Was uns für einen Heiligen vielleicht etwas seltsam anmutet, erscheint aus griechischer Sicht plausibel, stellte doch das bulgarische Reich über lange Jahr einen gefährlichen Gegner für Byzanz dar.

Als volkstümlichster Kriegsheiliger der orthodoxen Kirche (allein in Griechenland sind ihm heute noch über 200 Kirchen geweiht!) eilt er immer zu Hilfe, wenn Not am schartig geschlagenen Schwert ist. Manchmal sogar den Lateinern! So können wir ihn uns neben den Heiligen Georg und Merkurius gut an der Spitze jener weißgewandeten, himmlischen Ritter vorstellen, die 1098 den christlichen 'Wallfahrern' in der entscheidenden Schlacht gegen das Entsatzheer Kerbogas, des Atabegs von Mosul, vor Antiochia zu Hilfe geeilt sein sollen ...

Am 8. November (und am 9. April) gedenken die Katholiken seiner; die Orthodoxen feiern ihn bereits einige Tage früher, nämlich am 26. Oktober. Aus seinem Grab, das (besonders auch im Mittelalter) einen bedeutenden Wallfahrtsort darstellte und darstellt, soll bis heute an den Tagen vor seinem Fest ein heilkräftigens, wohlduftendes Öl fließen, das Tag um Tag mehr duftet. Wenn dann am Festtag der Schrein geöffnet wird, soll die ganze Kirche innerhalb kürzester Zeit von diesem Wohlgeruch erfüllt sein - daher auch sein prosaischer Beiname im Griechischen, 'der Myrrhe Verströmende' ...

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Der Märtyrertod des Apostel Andreas

Der heilige Andreas, dessen griechischer Name 'andreios' soviel bedeutet wie 'der Mannhafte, Tapfere', war nach dem Johannesevangelium ursprünglich ein Jünger des Täufers Johannes. Wie sein promineter jüngerer Bruder Simon Petrus lebte er als Fischer in Kafarnaum am See Gennesaret, ehe er von Jesus zum ersten Jünger berufen wurde. Auch wird er in allen Apostellisten des Neuen Testaments immer in der ersten Viererreihe aufgelistet.

Frühe Kirchenschriftsteller nennen als seinen Geschäftsbereich Gebiete südlich und östlich des Schwarzen Meeres - Pontus, Bithynien, Skythien - aber auch die unteren Donaugebiete mit Thrakien, sowie Griechenland mit Epirus und Achaia, wo er Missionierung betrieb. Orientalische Überlieferungen verorten sein nicht ungefährliches Wirken auch nach Georgien, Armenien, in Kurdistan. Den standesgemäßen Märtyrertod hat er aber schließlich im Ursprungsland der Philosophie erlitten, in Griechenland, genauer in der Stadt Patras in Achaia, wo ihn der dortige Stadthalter Aegeas angeblich am 30. November 60 ans Kreuz hat nageln lassen.

Der Apostel Andreas, Abbildung aus dem Stundenbuch des Johann ohne Furcht, Herzog von Burgund, um 1410

Wenn nun einer ausrufen möchte: 'Ich weiß, ich weiß, dabei handelt es sich um jenes seltsame x-förmige Schrägkreuz, das die unbeschrankten Bahnübergänge behütet, das Andreaskreuz nämlich!', dann müssen wir ihm entgegnen, dass es sich dabei um eine Erfindung des Spätmittelalters handelt. Denn erst mit Beginn des 15. Jahrhunderts wird das bis dahin in den Darstellungen gebrauchte lateinische Kreuz durch dieses 'crux decussata' abgelöst.

Erfährt man in den Apostelgeschichten überraschend wenig über das Wirken dieses doch recht prominenten Jüngers, ist sein Nachleben - besser das Nachleben seiner Gebeine - doch sehr abenteuerlich anzuhören. 357 landeten seine Gebeine nämlich in der Apostelkirche in Konstantinopel. Mit der Trennung und in den Wirren der nachfolgenden Jahrhunderte entfremdeten sich Byzanz und der Westen immer mehr, insbesondere auch die östliche und die lateinische Kirche.

Der Hauptapostel Roms und des Westens war aber von Anfang an - wir erinnern uns mit Schaudern an seine Kopfüberkreuzigung - Petrus. Was lag also für die Ostkirche näher, als in der herrschenden Rivalität Andreas, seinen älteren Bruder, den 'Erstberufenen', als Gegenpart dazu aufzubauen? Eine besondere Andreasverehrung entstand - so ist das Andreasfest am 30. November bereits bei Gregor von Nazianz in der zweiten Hälfte des 4.Jahrhunderts bezeugt-, die Gründung des Bischofssitzes von Byzantium wurde ihm zugeschrieben. Aber auch im Westen erfuhr Andreas zunehmend Verehrung; sein Kult geht hier auf Bischof Ambrosius zurück.

Seit dem 5. Jahrhundert finden sich erste Patrozinien, etwa in Rom oder in Ravenna, also Kirchen, die der Schutzherrschaften des Apostels unterstellt wurden, Gregor der Große schrieb ein Buch über die Wunder, die Andreas zugeschrieben wurden, der Apostel wurde in die römische Messliturgie aufgenommen.

Was nun ein richtiger Heiliger ist, der lässt seine Gebeine auch nach seinem Dahinscheiden noch für den Glauben wirken - nämlich in Form von Reliquien. Ein Stück vom Arm, ein Knöcheln (zum Glück besitzt ein zerteilter Heiliger, besitzt jedes Stückchen von ihm immer noch ausreichend Wirkungsmächtigkeit), ein Stück Stoff, ein Splitter vom Kreuz - dem Mittelalter waren derartige heilbringende Utensilien Gegenstände höchster Begehrlichkeit, mehr noch als schnödes Silber oder Luxusgüter, die man legal erwarb, oder, wenn es nicht anders möglich war, gern auch räuberisch erbeutete.

Wir erinnern uns? Die Kreuzzüge? Der Vierte? Da waren doch die Schulden die die wackeren Streiter während ihre Aufenthaltes in Venedig angehäuft hatten. Schlimm, ja, aber, so der geschäftstüchtige Enrico Dandolo, man könne sie doch durch einen winzigen Gefallen abarbeiten. Da gäbe es noch das byzantinische Zara - und weil man schon dabei wäre, Konstantinopel selbst. Gut, das Weiter ist bekannt - Byzanz fiel den Kreuzfahrern in die Hände, was in der Folge dazu führte, dass manch wertvolles Gut in den Westen 'exportiert' wurde ... die Quadriga am Markusdom lässt grüßen.

Wertvolles? Wir ahnen es - Andreas Gebeine blieb nicht verschont von dieser Exportwut: 1208 landen sie im Gepäck Kardinals Petrus von Capua in der damals bedeutenden süditalienischen Handelsstadt Amalfi, deren Bürger den schmucken Dom Sant?Andrea zu ihrer Aufbewahrung erbauten und die seitdem am 9. Mai das Translationsfest feiern. Ja, ja, des einen Leid ist des anderen Freud. Da man - wie bereits erwähnt - Heilige ohne Reduzierung ihrer Wirksamkeit zerteilen kann, gelangte ein Teil desselben, nämlich Andreas Schädel, 1462 nach Rom, was seiner Popularität dort noch zusätzlich zuträglich war. (Fairerweise muss man den Päpsten zugestehen, dass sie den Kopf schließlich wieder nach Patras zurückerstatteten - wenn auch erst 1964).

Egal. Die angebliche Kreuzesreliquie befand sich übrigens bereits seit 1250 in der Abtei St. Victor, von wo Teile davon 1438 durch Herzog Philip dem Guten von Burgund nach Brüssel gelangten, wodurch das (falsche, nämlich x-förmige)) Andreaskreuz zum Emblem von Burgund, Andreas zu dessen Patron werden konnte. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle die Gründung des 'Ordens von Goldenen Fließ' durch den guten Herzog, zu dessem Schutzpatron nicht ein gewisser Iason, sondern - erraten - auch Andreas wurde.

Was aber haben Amalfi und Patras gemein? Was Brügge, Neapel, Ravenna, Mantua, Bordeaux, Brescia? Erraten, überall dort ist unser Apostel Stadtpatron. Zudem ist er noch zuständig für die Fischer, die Fischhändler, die Seiler, die Fleischer/Metzger, die Wasserträger und die Bergwerke. Da soll noch einmal einer behaupten, das Nachleben eines Heiligen wäre ohne Stress! Er hilft bei Halsweh, Gicht, bei Krämpfen und der sogenannten Andreaskrankheit (Rotlauf).

Man darf ihn um Heirat anrufen und um Kindersegen - wir werden in unserer Rubrik Brauchtum demnächst erklären, wie's geht -, sollte das aber nicht klappen, dann ist nicht weiter schlimm. Schließlich ist er auch, man möchte in diesem Zusammenhang fast von einem 'Rundumschutz' sprechen, der Patron der alten Jungfern. Seine Bedeutung und Popularität war so groß, dass der Dezember zeitweise als 'Andreasmonat' bezeichnet wurde.

Es gäbe noch so viel zu besprechen über diesen Heiligen: Dass er Schutzpatron der russischen, griechischen und sizilischen Kirche ist, aber auch der Schottlands; dass ein reiches Brauchtum an seinem Todestag (der ja bis ins neunte Jahrhundert hinein mit dem Ende des Kirchenjahres zusammenfiel) besteht. Seine Darstellung als langhaariger alter Mann mit zweizipfeligem Vollbart, dessen Attribute (neben Buch und Schriftrolle) seit dem Spätmittelalter Fisch, Fischernetz Strick und Diagonalkreuz sind. Manchmal erscheint er aber auch im Typus des Greises mit fanstischem Gesichtsausdruck, wirrem Haar und kurzem Vollbart ...

Zumindest auf die Gebräuche wollen wir im Zusammenhang mit unserer Reihe über Brauchtum und magische Praktiken demnächst genauer eingehen. Beibt also wachsam, als dass euch nicht verborgen bleibt, wie ihr zuverlässig eines Ehegespons habhaft werden könnt, um nicht als alte ... ihr wisst schon ...

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Todestag des Geoffrey Chaucer, des Autors der 'Canterbury Tales'

Auf dem Grabmal des Geoffrey Chaucer findet man den 25. Oktober 1400 als Todestag angegeben - Grund genug, dem Schöpfer der berühmten 'Canterbury Tales' eine Notiz an dieser Stelle zu widmen. Schließlich gilt Geoffrey als Begründer der modernen englischen Literatur, was unserer Meinung ausreichend Grund sein sollte, um ihn hier zu würdigen und seiner zu gedenken und nicht etwa der Schlachten von Tours und Poitiers oder Azincourt, die ebenfalls um oder an einem 25. Oktober stattfanden.

Wie kommt man in den Ruf, der Begründer der modernen englischen Literatur zu sein? Nun, Geoffey hat seine Werke in Mittelenglisch verfasst, und als einer der ersten, die nach einer langen Phase, in der auf der Insel Anglonormannisch beziehungsweise Französisch die Sprache der gehobenen und gebildeten Stände und somit auch Schriftsprache war, wieder das einheimische Idiom als Sprache für seine Werke benutzt. Wenn auch als Sprache, die gegenüber dem Altenglischen starke Veränderungen erfahren hatte - etwa durch die Verwendung einer großen Anzahl französischer Lehnwörter, wie dies unsere lieben Scholaren beim Fremdsprachenbüffeln heutzutage leidvoll zur Kenntnis nehmen müssen.

Geoffrey Chaucer als Pilger, Abbildung aus dem Ellesmere-Manuskript der Canterbury Tales, Anfang 15. Jhdt.

Dabei hat Geoffrey nicht unwesentlich zur Ausbildung dieses 'neuen' Englisch beigetragen, findet sich doch eine nicht unerheblische Anzahl von Begriffen erstmalig in seinen Werken. Und wir sprechen von Werken - nicht nur von den Canterbury Tales; denn unser Dichter und Schriftsteller hat um einiges mehr verfasst als diese berühmte Novellensammlung, die er dem Vorbild von Boccaccios Dekameron nachempfunden hat.

Oder nachempfinden wollte, denn von den 120 Erzählungen, die sich die 30 Pilger zu erzählen gelobten, bei ihrer Pilgerfahrt durch England nach Canterbury zum Grab der Heiligen Thomas Becket, von diesen Erzählungen fanden nur 22 Vollendung, zwei weitere bestehen als Fragmente. Schade, denn Geoffrey verstand es, den Teilnehmern der bunten Gesellschaft die jeweils standeseigene Sprache in den Mund zu legen und sehr unterschiedliche Themen zum Besten geben zu lassen.

Da findet sich, ganz dem Anlass der Pilgerfahrt entsprechend, der Ritter neben dem Freisassen, der Kaufmann neben der Nonne, der Müller neben dem Gelehrten, die Witwe neben der Priorin, und viele andere noch. Und jeder von ihnen hat seine Geschichten zu erzählen, die von Gewagt-Anstößigem berichten, anderesmal wiederum dergestalt waren, dass sie später sogar einem William Shakespeare zum Vorbild werden konnten. Jedenfalls schuf der Autor, der selbst auf dieser literarischen Reise mit zwei Geschichten zugegen ist, ein lebendiges Bild der englischen Gesellschaft seiner Zeit.

Wie er das vermochte? Nun der gute Mann hat zeitlebens eine Menge erlebt; alleine um seiner Lebensgeschichte wegen, würde sich die Beschäftigung mit seiner Person schon lohnen. Dichter und Schriftsteller war er bei all seinen Beschäftigungen allenfalls nebenberuflich. Als Sohn eines reichen Londoner Weinhändlers findet er sich in jungen Jahren als Soldat bei der Invasion Frankreichs wieder, in den Diensten des Lionel von Antwerpen, eines der englischen Heerführer und Sohnes des englischen Königs. Von den Franzosen gefangengenommen, wurde er gegen Lösegeld wieder ausgelöst und als Kurier im Einsatz.

Aber nicht nur im Kriege zeigte er sich tüchtig: Nach England zurückgekehrt, heiratete er 1366 eine der Hofdamen der Königsgemahlin. Die Schwester seiner Frau wurde erst Mäträsse, später die dritte Frau des John of Gaunt, des Herzogs von Lancaster und Sohn des Königs. Diese Heirat brachte ihm also neben mindestens zwei Söhnen und zwei Töchtern auch die Nähe zum Königshaus ein. Eine Verbindung, die ihm über die meiste Zeit seines Lebens erhalten blieb.

Als Mitglied des königlichen Haushaltes - als Kammerdiener oder Knappe - hatte er für das Wohlbefinden der königlichen Herrschaften zu sorgen - und nebenbei noch die Gelegenheit, sympathiestiftende Gedichte für seine Wohltäter zu schreiben. In königlichen Diensten hatte er auch mehrmals das Ausland zu bereisen - Flandern, Frankreich und Italien, wo er auch die Sprache erlernte und mit seinen antiken und zeitgenössischen Vorbildern - Petrarca, Boccaccio, Dante, Froissart - in Kontakt kam. Sei es nun in direkter Begegnung oder über die Kenntnisnahme ihrer Werke.

Vom bewegten Leben, das viel zu erzählen weiß, berichtet auch ein Gerichtsdokument, das Geoffrey davon freispeicht, eine Bäckerstochter entweder entführt oder vergewaltigt zu haben. Unschuldig also! Oder?

Als Zollinspektor für den immens wichtigen Export von Fellen, Leder und vor allem Wolle bezog er ein beträchtliches Einkommen, kassierte nebenbei auch Zuwendungen seines langjährigen Gönners John of Gaunt und - von König Edward III auf Lebenszeit bewilligt und nicht unwesentlich für einen Liebhaber weltlicher Genüsse - eine Gallone Wein täglich (was etwa 4 Liter Wein bedeuten müsste). Na dann Prost! Jedenfalls wundert es bei solchen Zuwendungen nicht, wenn nicht alle 120 Erzählungen der 'Tales' zu einem Ende fanden ...

Vertreter im englischen Unterhaus, Aberkennung aller Ämter als sich die parlamentarische Opposition gegen König Richard II durchsetzte, Forstaufseher über die königlichen Wälder, Aufseher über königliche Bauvorhaben, in dieser Funktion er einmal ausgeraubt wurde - ein fingierter Raub, wie manche vermuten, um mit den Geldern seine immer mehr auswuchernden Schulden bezahlen zu können - es tat sich etwas in seinem Leben.

1399 endlich, als Heinrich IV, der Sohn seines verstorbenen Gönners John of Gaunt, den Thron bestieg, wurde von diesem sein Jahresgehalt bedeutend erhöht - aber nie ausbezahlt, wie sein Gedicht 'Chaucers Klage an seinen Geldbeutel' vermuten lässt.

Ein Jahr später starb er in London; seine Grabstätte fand er in der Westminster Abbey, wo sein Grab den Ausgangs- und Mittelpunkt der sogenannten 'Poets' Corner' bildete, in der traditionell die berühmtesten englischen Dichter begraben wurden.

Neben der Erschaffung der Canterbury Tales hat der bereits zu Lebzeiten Gepriesene unter anderem Werke aus dem Französischen, Italienischen und Lateinischen ins Englische übersetzt (zum Beispiel den 'Rosenroman'), und uns außerdem eine Reihe von Lob- und Traumgedichten hinterlassen (so etwa 'Das Parlament der Vögel', in dem der Dichter einen Traum erlebt, der ihn in den Garten der Minne führt, wo sich die Vögel zur Balz versammelt haben. Interessant dabei die verschiedenen Ansichten der Anwesenden zur Minne: Die Tauben sprechen für die ewige Liebe, der Kuckuck - na, wofür wohl? - für reichlich Abwechslung ...), in denen sich immer wieder Anspielungen auf seine Vorbilder finden.

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Verbrennung der Jeanne d'Arc, der Jungfrau von Orleáns

Am 30. Mai 1431 wurde Jeanne d'Arc, die Jungfrau von Orleáns ('la Pucelle') auf der Place de Vieux Marché in Rouen verbrannt, nachdem ihr ein Inquisitionstribunal unter Pierre Cauchon, dem englandfreundlichen Bischof von Beauvais, im dortigen Schloss den Prozess gemacht hatte.

Jeann kam als Kind wohlhabender Bauern um 1412 im ländlichen Domrémy zur Welt, zu einer Zeit also, in der Frankreich bereits seit einem endlos langen Dreivierteljahrhundert von den Wirren des Hundertjährigen Krie- ges erschüttert wurde, drei Jahre vor der für das französische Rittertum so katastrophal verlaufenen Schlacht von Agincourt. Das französische Königtum war bis auf die Grundfesten erschüttert, das französische Heer hatte über Jahrzehnte hinweg in keiner größeren Auseinandersetzung mehr gesiegt.

Statue der Jeanne d'Arc, Notre-Dame, Paris

Auseinadersetzungen mit den mächtigen Herzögen von Orleans und Burgund hatten die Handlungsfähigkeit der Könige wesentlich eingeschränkt, der gesamte französische Norden, einschließlich der Hauptstadt Paris, sowie große Teile des Südwestens des Landes befanden sich in englischer Hand. Burgund machte gemeinsa- me Sache mit den Engländern und kontrollierte Reims und der Glaube an einen Sieg des Königs war im eigen- en Land geschwunden.

In diese Zeit fällt das Aufwachsen der Jeanne in einem durch burgundische Kriegszüge verwüsteten Land- strich Lothringens. Sie soll fromm und mildtätig gewesen sein, und um 1425 hatte sie erstmals das Erlebnis, dass ihr die Stimme einer Heiligen, der heiligen Katharina, eunen Auftrag erteilte, nämlich den, 'ein gutes Mädchen zu sein und Gott zu gehorchen'. Zur Stimme der heiligen Katharina gesellten sich später jene des Erzengels Michael und der heiligen Margarete, die ihr alle auftrugen, in die 'France' zu gehen um die Englän- der zu vertreiben und dem Dauphin Karl VII zur Königsweihung in Reims zu verhelfen.

Mit den Zeiten ändern sich auch die Einschätzungen: Was damals den Zeitgenossen als himmlische Einflüs- terungen durchaus plausibel erschien, würde unsere heutige, sehr häufig nur dem Materiellen verpflichtete Epoche bestenfalls als Verrücktheit abtun, andernfalls wohl als Fall für die Psychiatrie klassifizieren. Doch egal, ob die Auditonen ('Stimmerscheinungen') Jeannes in einem übersteigertem, überhitzten religiösen Eifertum ihren Ursprung hatten, wie dies unserer Zeit annehmen würde, oder tatsächlich von himmlischen Boten stammten, wie dies frühere Zeitgenossen glaubten - unbestritten müssen die unglaubichen Erfolge sein, die das Mädchen aus einfachen Verhältnissen bewirken konnte.

Wenn nicht zuvor schon, dann passierten die wahren Wunder nämlich spätestens, nachdem sich Jeanne 1428 entschlossen hatte, dem göttlichen Auftrag zu folgen. Denn wer hätte allen Ernstes erwarten können, dass es dem etwa sechzehnjährigen Bauernmädchen tatsächlich gelingen könnte, bis zum Dauphin ins ferne Chinon vorzudringen. Doch mit ihrer Hartnäckigkeit gelang es ihr, nach mehreren Versuchen endlich beim Festungskommandanten von Vaucouleurs, Robert de Baudricourt, vorzusprechen und diesen von der Echtheit ihre Visionen zu überzeugen. Mit einer kleinen Eskorte ausgestattet, konnte sie weite Landstriche, die von den gegnerischen Burgundern kontrolliert wurden, unbeheligt passieren .

In Chinon empfing sie Karl. Wie sie es allerdings schaffte, den Dauphin zu überzeugen (man bedenke nur die Situation: ein Bauernmädchen vor dem Thronfolger!)), muss ein Rätsel bleiben. Die beiden zogen sich jeden- falls zur Unterhaltung zurück. Manche Quellen behaupteten später, Jeanne hätte den Dauphin bei dieser Ge- legenheit an einer ihrer Vision teilhaben lassen.

Sei es wie es sei. Jeanne erhielt jedenfalls Rüstung und Waffen und den Oberbefehl über eine bewaffnete Schar (der sich später auch manch Gesetzloser anschließen sollte), um damit einen Versorgungskonvoi ins bedrängte Orleans zu begleiten. An Selbstvertrauen mangelte es ihr jedenfalls nicht, denn bereits bei dieser Gelegenheit ließ sie Botschaft an die englischen Heerführer senden, diese mögen sofort die Belagerung der Stadt abbrechen. Das anfängliche Amusement der britischen Gentlemen über dieses Ansinnen des ungebil- deten Bauernmädels musste wohl bald Erstaunen und Ärger Platz machen, denn Johanna gelang es tatsäch- lich ins bedrängte Orleáns vorzudringen und die Belagerer zum Abzug zu zwingen.

Mit neuem Selbstvertrauen ausgestattet und in der Gewissheit, dass es Gottes Wille sei, ging das königliche Heer wieder in die Offensive und erzielte einige Erfolge. Am 17. Juli 1429 wurde dann der Dauphin in Reims tatsächlich zum König, fortan Karl VII, geweiht. Jeanne hatte eines ihrer Ziele erreicht und befand sich auf dem Gipfel ihres Ruhms. Ihr Versuch freilich, Paris von der englisch-burgundischen Allianz zurückzuerobern scheiterte (nicht zuletzt, weil die Mehrheit der Bewohner die Verteidiger unterstützte). Karl wandte sich mehr und mehr von ihr ab und versuchte stattdessen (vergeblich) zu einer friedlichen Verständigung mit Burgund zu gelangen.

In dieser Situation wurde Jeanne während der Verteidigung von Compiègne bei einem Ausfall von Johann von Luxemburg, einem Lehensmann des Herzog Philipps von Burgund gefangengenommen. Nach zwei Fluchtver- suchen 'verkauften' sie die Burgunder an die Engländer, die sie schließlich dem erwähnten Inquisitionstribunal überstellten. Dort hatte sie sich ohne Beistand dreier Hauptanklagepunkte zu erwehren: dem Umgang mit Dämonen (wegen der Stimmerscheinungen), dem anstößigen Tragen von Männerbekleidung (einmal mehr sieht man, wie sich die Zeiten geändert haben - heutzutage würde allenfalls noch das Tragen keiner Kleidung als anstößig empfunden!), sowie des Vorwurfs des mangelnden Gehorsamss gegen die Kirche. Die Anklage- schrift beinhaltete aber insgesamt 70 schwerer vergehen und Sünden - etwa Zauberei und Hexerei, Schamlo- sigkeit, Blasphemie und so vieles andere mehr, dass es wohl einfacher gewesen wäre, jene Punkte aufzu- zählen, derer sie nicht angeklagt wurde ...

Wen verwundert's, dass bei diesem Prozess eine Verurteilung zum Tod erfolgte. Johanna widerrief und wurde zu immerwährender Haft verurteilt. Allerdings legte sie nur wenige Tage danach wieder Männerbekleidung an (wenn auch, wie manche Quellen behaupten, notgedrungen, da man ihr einzig solche zur Verfügung stellte - war da vielleicht gewissen Kreisen ein vollstrecktes Urteil wichtig?). So wurde sie schließlich am 30 Juni 1431 in Rouen verbrannt und ihre Asche in die Seine gestreut um dadurch das Entstehen eines jeglichen Reliquien- kultes zu verhindern. Doch bereits 24 Jahre später, nachdem der Hundertjährige Krieg endgültig zugunsten Frankreichs geendet hatte, entschloss sich Karl VII doch noch - wenn auch, dieser kleinliche Einwand sei er- laubt, reichlich spät - seine Jungfrau zu unterstützen: Am 7. Juli 1456 wurde der entsprechende Prozess mit der Rehabilitation von Jeanne beendet.

Wer nun meint, dass dies der guten Johanna nichts mehr genützt hätte, der sei auf die gewisse Theorien verwiesen, die in alternativen 'Wissenschaftskreisen' vor allem im französischen Raum kursieren: Nach denen wäre nämlich Jeanne damals gar nicht verbrannt worden - und hätte somit ihre spätere Rehabilitierung als gesetzte Mitvierzigerin zufrieden zur Kenntnis nehmen können. Unabhängig von solchen Spekulationen, die ihr etwa auch eine adelige Abstammung und Verwandtschaft zu Karl VII zuschreiben, dauerte es doch immerhin bis 1920, bis ihre Heiligsprechung erfolgte ...

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Dorothea von Kappadokien,

Der 6. Februar ist sowohl in der katholischen als auch in der orthodoxen Kirche der Gedenktag der Heiligen Dorothea, die .... Doch halt, mag vielleicht die eine oder andere Frage laut werden, was führt eine Heilige, die doch noch klar der Antike zuzurechnen ist, auf diese Seite, die sich doch vorwiegend mittelalterlichen Themen widmen sollte? Dafür gibt es nun gar vielerlei Gründe.

So sind es gerade die christlichen Märtyrer aus der Zeit der Christenverfolgungen, aus denen die Kirche einen großen Anteil ihrer Heiligen bezieht. Mit ihrem Glaubenseifer und Standhaftigkeit mussten sie ja gerade auf den mittelalterlichen Menschen mit seiner starken Religiosität eine starke Wirkung ausüben beziehungsweise als ideale Vorbilder dienen. Wen wundert es also, dass sich derartige Heiligenlegenden in Form zahlreicher Vi- ten und Matyrologien großer Beliebtheit erfreuten, so etwa in Jacobus de Voragines berühmter Legenden- sammlung Legenda aurea über die Heiligen des Kirchenjahres, einem der meistgelesenen Bücher der Epoche. Aber auch die Bildende und Darstellende Kunst des Mittelalters nimmt die Heiligen immer wieder zum Vorbild - man denke nur an die Steinmetzarbeiten, die wir immer noch an Kathedralen und Kirchen bewundern können.

Die Heilige Dorothea, Darstellung von Matthias Grünewald, um 1503

Gründe genug, den Heiligen auf unserer Seite Raum zuzugestehen. Vor allem, da es auch uns von Sælde und êre eine gewisse Hinwendung zum Heiligen nicht schaden könnte (man denke nur an unsere Völlerei in den vergangenen Weihnachtsfeiertagen zurück, an deren Folgen wir immer noch - schwer - leiden ...). Und - wer sie gelesen hat, wird es zugestehen - es handelt sich bei den aufgezeichneten Legenden häufig um reichlich harten Stoff, der durchaus einiges an Dramatik, manchesmal auch an erzählerischer Rafinesse zu bieten hat. Nicht umsonst hat man den Jacobus de Voragine ja auch als den 'Herodot der Christenheit' bezeichnet.

Wo waren wir? Ach ja - die Heiligen Dorothea: Historisch belegte Daten über sie existieren nicht. Dafür eine Menge an Legenden, die schon bald nach ihrem Tod zu zirkulieren begannen und erstmalig um 400 aufge- zeichnet wurden. Geboren soll sie um 290 sein, das Matyrium erlitt sie um 305 in Cäsarea.

Ihr Vater Dorus, ein römischer Senator flüchtete mit seiner Frau Thea und den beiden älteren Töchtern, Calliste und Christe, zur der Zeit der Christenverfolgung unter Diokletian nach Cäsarea in Kappadokien. Dort wurde der christlichen Familie die dritte Tochter geboren - Dorothea. Zu einem schönen Mädchen erblüht, wollte sie der Statthalters der Provinz, Fabricius, heiraten. Sie lehnte sein Antrag ab, indem sie offenbarte, dass sie Christin sei und nur Christus als 'himmlischem Gemahl' angehören wolle. Der zurückgewiesene Fabricius klagte sie daraufhin als Christin an und ließ sie zum Tod verurteilen.

So weit, so schlimm! Aber was nun folgt, ist noch härterer Tobak. Wir sehen uns an dieser Stelle somit be- müßigt, allen Kindern und Jugendlichen dringlich vom Weiterlesen abzuraten, soferne sie noch nicht das ... (andererseits, was sehen die lieben Kleinen heutzutage nicht alles im Vormittagsfernsehen, also was soll's ...)
Die erste Marter, das Bad im siedenden Öl überstand Dorothea schadlos, ja, sie entstieg dem Kessel 'als wie mit edlem Balsam gesalbt'. Wer nun glauben möchte, ihre Peiniger hätten abgelassen ob dieses Wunders, irrt gar gewaltig. Unter dem Motto 'dann probieren wir eben etwas anderes' wurde sie neun Tage und Nächte ohne Wasser und Essen in einen finsteren Kerker geworfen. Zwecklos, denn sie trat strahlender als je daraus herbvor. Als sie in ihrer Bedrohung Christus um ein Zeichen bat, wurde sie prompt erhört. Ein Götterbild kipp- te von seiner hoher Säule, von Engeln gestürzt, und zerbarst am Boden. Viele Menschen, die bei dieser Gele- genheit Teufel toben hörten und Engel sahen, bekehrten sich.

Der Richter beschwor sie, doch von ihrem Glauben abzulassen, doch sie wegerte sich. Also ließ er aufs Folter- pferd binden, und dort wurde sie gegeißelt, ihre Brüste mit Fackeln verbrannt. Dem Tode nahe, wurde sie in den Kerker zurückgebracht. Doch siehe da, über Nacht waren ihre Wunden genesen. Nun hatten die Schwes- tern ihre Unverwüstlichkeit und Unbeugsamkeit zu büßen. Öffentlich bekannten sie sich wieder zum Christen- tum, dem sie doch schon abgeschworen hatten, ehe sie ins Feuer gestoßen und verbrannt wurden.

Solcherart an Leib und Seele gequält, beharrte Dorothea darauf, dass sie gerne leiden wolle aus Liebe zu ihrem Herrn, in dessen Garten sie sich ewiglich erfreuen, Rosen und Äpfel brechen werde. Der Prozess- schreiber Theophilus, der dies zu hören bekam, verhöhnte sie: Sie möge ihm doch von den schönen Rosen und süßen Äpfeln schicken, wenn sie zu ihrem himmlischen Gemahl in den Garten komme. Als Dorothea an der Richtstätte betete, wo sie endgültig hingerichtet werden sollte, erschien ein Knabe mit einem Korb voller Rosen und Äpfeln. Sie schickte ihn zu Theophilus, dann endlich fiel ihr Kopf.

Der Knabe brachte indess Rosen und Äpfel zum erbleichenden Theophilus und entschwand vor dessen Augen. Theophilus verstand das Zeichen, verstand dass die Gabe, im Winter empfangen, als weder Apfelbäume Frucht noch Rosensträucher Blüten trugen, vom himmlischen Garten stammen mussten. Unverzüglich be- kehrte er sich und bekannte dies mit lauter Stimme. Klar, dass das gleiche Spielchen nun auch bei ihm be- gann, Rom ließ nicht mit sich spaßen: Gemartert, aber getauft, wurde er ebenso enthauptet, wie die, die er noch kurz zuvor verhöhnt hatte und sein Leichnam diente Tieren zum Fraß.

Nichts für schwache Nerven, wie man sieht und keinesfalls ein Stoff, der arm an Dramaturgie ist. Klar dass Dorothea mit einer solchen Lebens- oder besser Leidensgeschichte bald schon einen bevorzugten Platz im Pantheon christlicher Heiliger einnahm, als eine der beliebtesten Nothelferinnen, als bevorzugte Gestalt in der mittelalterlichen Kunst und darüber hinaus. Häufig dargestellt mit einem Körbchen, gefüllt mit Äpfeln und Blumen (die Rosen versinnbildlichend) wurde sie - wie treffend - zur Patronin der Gärtner. Aber auch zur Helferin bei Todesnöten und Geburtswehen, gegen falsche Anschuldigungen, für Bräute, gegen Armut, ... Nicht zuletzt zeugen aber auch zahlreiche Bauernregeln von ihrer Beliebtheit ('Dorothea mit einem Korb voll Rosen lässt den Winter nochmals tosen', ...).

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Tod der Adelheid, der einflussreichen 'mater regnorum' des ottonischen Reichs

Mit der Kaiserinwitwe Adelheid verstarb im Dezember 999 im Bendiktinerkloster Seltz eine Persönlichkeit, die ein halbes Jahrhundert lang die Geschicke ihrer Zeit mitgeprägt hatte. Als zweite Gemahlin des sächsischen Kaisers Otto I., der mit der gewonnen Schlacht am Lechfeld die Einfälle der Ungarn ins Reich ein für allemal beendete und damit zum 'Großen' avancierte, nahm sie ebenso Einfluss auf die zeitgenössische Politik wie als Regentin für den unmündigen Sohn und später den unmündigen Enkel.

Kaiser Otto I. und seine zweite Gemahlin, Kaiserin Adelheid, Meißner Dom, Mitte des 13. Jhdt.

Doch nicht nur deshalb machte sei Eindruck auf ihre Zeitgenossen. Nach dem Tod des kaiserlichen Gemahls mehrmals vom Hofe verdrängt, gründete sie einige Kloster und war auch sonst durch ihre fromme Freigebig- keit berühmt. Klarerweise waren es vor allem kirchliche Kreise, die sie darob priesen. So bezeichnete sie ihr Chronist, der einflussreiche Abt Clodilo von Cluny, gar als die 'kaiserlichste aller Kaiserinnen' und schon bald nach ihrem Tode wurde sie als Heilige verehrt. Schließlich sprach sie Papst Urban II - jener Papst, der für den ersten Kreuzzugsaufruf in Clermont sorgte - 1097 heilig.

Der folgende Auszug aus den Quedlinburger Annalen, welche uns wichtige Erkenntnisse der Zeit aus ottonischer Sicht schildern, mag diese Verehrung verdeutlichen:

Kurze Zeit nur lag dazwischen, als Adelheid starb, die Mutter der oben genannten Mechtild, die berühmte und erhabene Kaiserin der Römer, welche den Bestand des ihr und ihrem Gemahle, dem erhabenen, großen, Frieden stiftenden Otto, zu Lande und zur See unterworfenen Reiches durch ihre Verdienste und trefflichen Tugenden nicht weniger geziert, als dieser durch seine Kraft und herrlichen Siege befestigt hatte. Nach seinem Tode starb sie selbst gänzlich dem Irdischen ab, und als wenn sie nicht für sich geboren, sondern nur für die Pflege der Armen von Gott bestimmt gewesen wäre, ließ sie unter anderen hervorragenden Tugenden nicht ab, alles was sie bekommen konnte, namentlich den Reichszins, welchen sie im ganzen Reiche als Tribut oder als Geschenk einforderte, heiteren Sinnes und Antlitzes den Händen der Armen zu überantworten, um es in den himmlischen Schatz zu bringen. Wir sahen sie nämlich häufig, aber im Verborgenen, nach Art der Bäuerinnen zu diesem ihr so erwünschten Werke geschürzt, damit die Länge der Kleider auch nicht den geringsten Verzug veranlassen könnte, mit beiden Händen statt mit der Rechten sich so lange in dieser frommen Mühe beschäftigen, bis sie schwankenden Schrittes, indem nicht ihre Milde, sondern ihr Körper sie im Stiche ließ, sich zur nöthigen Ruhe, wenn gleich nur kurz niederlegte; das aber gehörte zu ihren Gelübden, niemals weder vom Sitzen noch vom Stehen noch von irgend einer Beschäftigung abgehalten, in den ihr beliebtesten Werken des Erbarmens nachzulassen. Mit Hintansetzung dessen, was zu sein scheint, nicht weil es ist, denn es vergeht, sondern weil es uns, die wir nach Beschaffenheit der Sinne auffassen, zu sein scheint, wandte sie sich nach jenem edlen Vorzuge des Menschen, wie ich sagte, mit aller Kraft dem zu, was in Wahrheit ist, weil man weder seinen Anfang noch sein Ende sieht, und indem sie mit dem besseren höheren Auge immer darauf blickte, ging sie in wohlverdientem hohem Alter am 17. Dezember endlich zu ihm heim, nach dem sie im Herzen gedürstet, ruhmvoll und geleitet von der himmlischen Schaar, um ihrer Mühen hundertfältigen Lohn zu empfangen, und wurde in der Basilika zu Seltz, welche sie selbst als frommes Werk zur Ehre des heiligen Apostelfürsten Petrus erbaut hatte, mit Pracht bestattet.
(Auszug aus den Quedlinburger Annalen)

Adelheid, um 931 geboren, war als Tochter des burgundischen Königs Rudolf II. von Burgund von hochadel- iger Abstammung. Nach dem Tod des Vaters wurde sie vom Stiefvater, Hugo bereits im Alter von sechs Jahren mit dessen Sohn Lothar von Italien verlobt, den sie 947 schließlich ehelichte. Doch die Ehe brachte nicht die gewünschte Stabilisierung der italienischen Verhältnisse mit sich, da Lothar bereits 950 überraschend (als Opfer eines Giftanschlages?) verstarb. Er hinterließ Adelheid eine Tochter, Emma.

Nach abenteuerlichen Umständen - Adelheid wurde zeitweilig vom Thronursupator Berengar II gefangenge- halten, der sie zur Ehe mit seinem Sohn zwingen wollte, und konnte schließlich entfliehen - vermählte sie sich zu Weihnachten 951 in zweiter Ehe mit dem deutschen König Otto I., der gerade dabei war, Oberitalien durch einen Feldzug unter seine Herrschaft zu zwingen.

Aus der gemeinsamen Ehe sollten vier Kinder hervorgehen, darunter der nachmalige Kaiser Otto II. 962 er- folgte die Kaiserkrönung Otto I. durch den Papst in Rom. Dabe wurde Adelheid ebenfalls gekrönt und gesalbt. In der Folge begleitete sie ihren Gatten auf seinen Reisen und galt auch als jene Person, an welche sich Bitt- steller zu wenden hatten, wenn sie Vergünstigungen durch den Kaiser erhalten wollten. Zahlreiche Urkunden belegen diesen ihren Einfluss. Ihre Sprachkenntnisse sollen dem Kaiser bei vielen Verhandlungen mit auslän- dischen Gesandten zugute gekommen sein.

An der Erziehung ihres Sohnes Otto II. war sie maßgeblich beteiligt, dessen wichtige und einflussreiche Bera- terin sie auch nach dem Tod ihres Gemahls bis 978 blieb. danach kam es zum Zerwürfnis, an dem möglicher- weise ihre Schwiegertochter Theophanu nicht unbeteiligt war. Kurz vor dem Tod des Sohnes kam es zur Ver- söhnung und Adelheid übernahm 983 zusammen mit Theophanu noch einmal die Regentschaft, diesmal für den Enkel Otto III.

994, bei der Machtübernahme durch den Enkel zog sie sich dann endgültig vom Hofe zurück und verbrachte ihre letzten Lebensjahre vorwiegend in ihre Eigengründung Seltz.

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Bis in den Himmel ... - Grundsteinlegung für den Kölner Dom

'Wenn der Dom fertig ist, geht die Welt unter!'
(Altes Kölner Stichwort)

Am 15. August des Jahres 1248 legte der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden den Grundstein zum Neu- bau des Doms im gotischen Stil. War auch die Errichtung einer Kathedrale zur damaligen Zeit ein extrem auf- wändiges Vorhaben, welches einer langen Bauzeit bedurfte, so wird wohl dennoch niemand geahnt haben, dass der Dom erst mehr als 600 Jahre später vollendet werden sollte. Zwischenzeitlich hatten sich die Kölner so mit ihrer Baustelle angefreundet, dass sie sogar Anlass zur Entstehung von Sprichworten wurde ...

Der Dom, Wahrzeichen Kölns, vom jenseitigen Rheinufer aus gesehen ...

Die Bedeutung Kölns, im Hochmittelalter größte deutsche Stadt, führt bis in römische Zeit zurück. Agrippina, Gattin des römischen Kaisers Claudius, deren Geburtsort am Rhein lag, ließ um 50 n.Chr eine vormalige Sied- lung der germanischen Ubier zur Stadt erheben. Förderlich dabei war sicherlich die günstige Lage am Schnitt- punkt mehrerer Fernstraßen mit der Rhein-Wasserstraße sowie die unmittelbaren geografischen Verhältnisse. Als Colonia Claudia Ara Agrippinensium wurde die bedeutende Stadt zum Sitz des Statthalters der römischen Provinz Germanior Inferior. Aus dem lateinischen Colonia entwickelte sich schließlich - über das mittellaterliche Coellen - schließlich der heutige Name Köln.

Anders als dies bei vielen römischen Siedlungen der Fall war, blieb Köln auch während der Völkerwanderungs- zeit und im Frühmittelalter ein bedeutendes Zentrum, aus der die romanischen Volksteile nicht vollständig verschwunden waren. Dadurch war eine gewisse Kontinuität gegeben. Es kam zu einer Vermischung der eingesessenen Bevölkerung mit den neuen Herren, den Franken. Im sechten Jahrhundert wurde Köln Teil ders merowingischen Reichs des Chlodewig, konnte dabei jedoch stets den Status als bedeutendes Zentrum behalten und war zeitweise sogar Residenzstadt.

Die ersten christlichen Zeugnisse in der römischen civitas gehen bis ins 2. Jahrhundert zurück, während die erste Bischofsnennung frühestens mit 313 n.Chr. zu datieren ist. Die Stadtübernahme durch die Franken bedingte eine Unterbrechung in der Bischofsfolge, doch bereits in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts beginnt die von Trier aus vorgetragene und von den fränkischen Herrschern unterstützte kirchliche Erneu- erung Kölns. Seit dieser Zeit besitzt Köln wiederum Bischöfe beziehungsweise Erzbischöfe, die fortan eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Stadt und auch des Reichs spielen werden.

Erste Kirchenbauten lassen sich an der Stelle des heutigen Doms bis ins späte 4. Jahrhundert zurückverfol- gen. 795 wurde auf Betreiben Karl des Großen das Bistum Köln von Pabst Leo III. zum Erzbistum erhoben und damit der damalige Bischof Hildebold, Kanzler der Reichskanzlei und Freund Karls, eine einflussreiche Persön- lichkeit im karolingischen Reich, zum Erzbischof. Dieser veranlasste den Ausbau der kirchlichen Bauten zum sogenannten 'alten Dom', einem Kirchenbau im romanischen Stil, der für viele europäische Kirchen zum Vorbild werden sollte und der auch bedeutende Kunstschätze wie etwa das Gerokreuz oder den Kölner Domschatz beinhaltete.

In der Folge gelang es den Bischöfen, Köln als geistiges Zentrum des Reiches und auch als bedeutenden Wallfahrerort zu etablieren. Zu Letzterem trug ganz wesentlich Rainald von Dassel bei, der neben seiner spä- teren Funktion als Erzbischof von Köln auch Erzkanzler von Italien und enger Vertrauter Friedrich Barbarossas war und als solcher bei dessen Italienfeldzügen eine bedeutende Rolle spielte. Rainald brachte 1164 eine un- bezahlbare Kriegsbeute vom italienischen Schauplatz nach Köln - die Gebeine der Heiligen Drei Könige, als Kriegsbeute aus dem eroberten Mailand.

Der Dreikönigenschrein im Kölner Dom

Um der steigenden Bedeutung Köln als Wallfahrtsort Rechnung zu tragen, wurde 1225 der Plan geboren, ei- nen neuen, größeren Dom im Stile der Zeit als gotische Kathedrale zu erricheten. An das Vorbild der Kathe- drale von Amiens angelehnt, sollte dieser Bau an Größe jedoch alle bestehenden christlichen Gotteshäuser übertreffen. Ein ehrgeiziges Unterfangen - vorerst zu ehrgeizig, wie sich weisen sollte.

1248 war es schließlich soweit: Mit dem Bau unter Aufsicht des Dombaumeisters Gerhard von Rile wurde be- gonnen. Der Versuch, den Abriss des alten Dom dem Baufortschritt des neuen anzupassen, um so den kirch- lichen Betrieb aufrechtzuerhalten, endete mit dem vollständigen Abbrand der Vorläuferkirche. Der weitere Baufortschritt gestaltete sich langwierig, wurde jedoch von politischen Ereignissen, wie etwa der Schlacht von Worringen, in welcher sich Erzbischof und aufstrebende Bürgerschaft Kölns auf unterschiedlicher Seite gegenüberstanden, vorerst nicht beeinflusst.

1322 erfolgte die Weihe des Chors, erst 1410, 162 Jahre nach der Grundsteinlegung, hatte der Südturm das zweite Geschoß erreicht. Immer wieder bestand die Aufgabe die Unsummen aufzubringen, welche für die Fort- führung des gigantischen Unternehmens notwendig waren. Dann trat ein, was im Mittelalter zwar langsamer vor sich ging als heutzutage, aber dennoch geschah: Der Geschmack änderte sich und die Gotik war aus der Mode gekommen, die dauernden Finanzierungsprobleme taten ein Übriges. Dazu kammen noch die sich an- kündigenden großen religiösen Umbrüche. Die Bautätigkeit verlangsamte sich und wurde 1510 schließlich ein- gestellt, die letzten Zahlungen des Domkapitels versiegten ein halbes Jahrundert später. Über 300 Jahre be- stimmte nun der unfertige Dom, an dessen Südturm der mittelalterlicher Baukran verblieben war, das Stadt- bild Kölns. Irgendwie hatte man sich an das Provisorium gewöhnt, dessen Inneres, durch bauliche Maßnah- men vor dem Wetter geschützt, Verwendung fand. Nicht immer als Gotteshaus, sondern in schlimmen Zeiten - wie etwa in den Wirren der französischen Besetzung während der napoleonischen Kriege - auch als Lager, Stall oder Gefängnis.

Doch just in jener Zeit entwickelte sich auch nach und nach wiederum der Wille, den Bau fortzusetzen und zu vollenden. Es war die Epoche der Romantik, mit ihrer Glorifizierung des Mittelalters und die Zeit der Entsteh- ung einer deutschen Nationalbewegung. Der Kölner Dom sollte als Symbol für diese werdende Einheit dienen. Hilfreich für diese Pläne zur Fortsetzung war die Widerentdeckung der Originalbaupläne zu Beginn des 19. Jahrhunderts. So kam es schließlich, dass 1842 der zweite Grundstein für den Weiterbau vom damaligen Erz- bischof und dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV gelegt wurde.

1880 war es dann soweit: 632 Jahren nach Baubeginn war der Kölner Dom vollendet - getreu nach Original- plänen, soferne sich diese erhalten hatten. Nur dort, wo solche fehlten, wurde im neugotischen Stil ergänzt. Allerdings waren es modernste technische Verfahren die zur Fertigstellung eingesetzt wurden, so etwa wurde das Dach als Stahlkonstruktion ausgeführt. Obwohl mit einer Verspätung von Jahrhunderten vollen- det, war der Dom mit einer Turmhöhe von 157,38 Metern immer noch das höchste Bauwerk der Welt - für immerhin vier Jahre.

Neben seiner imponierenden Höhe mögen auch einige andere Daten vom Ausmaß des Baus zeugen: So bietet er, bei einer verbauten Masse von rund 300000 Tonnen Gestein, 20000 Personen Platz, die Fläche seiner Fenster beträgt ca. 10000 Quadratmeter. Die Baukosten abzuschätzen ist natürlich ein schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen, zu sehr haben sich die Verhältnisse geändert. Dennoch liest man hier und da von Summen im Bereich von 10 Milliarden Euro ... (Naja, bei den derzeitigen Inflationsraten würde das mittlerweise wohl auch nicht mehr ausreichen ...)

Bleibt nur noch zu erwähnen, dass die Beschädigungen durch Fliegerbomben während des zweiten Welt- krieges und Schäden durch Umweltverschmutzungen, Stichwort 'saurer Regen', weiterhin laufende Instand- setzungs- und Restaurierungsmaßnahmen notwendig machen. Das zu Beginn angeführte Kölner Sprichwort mag also immer noch seine Berchtigung haben ...

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1. Kreuzzug - Bei Doryläum erkämpfen sich die Franken den Weg durch Anatolien

Schon eine Woche nach der Übergabe von Nicäa brachen die ersten Einheiten des Kreuzfahrerheeres der by- zantinischen Hauptstraße durch Kleinasien folgend wiederum auf. Dieser erste Erfolg hatte die Stimmung im Heer nachhaltig angehoben, wenn auch ein bitterer Nachgeschmack geblieben war. Obwohl die Führer der Franken sich eidlich verpflichtet hatten, zurückerobertes byzantinisches Eigentum zu schonen und dem Reich zurückzuerstatten, fühlte man sich vom Kaiser um die Gelegenheit betrogen reiche Beute zu machen.

Adhemar, Bischof von Le Puy, trägt die Heilige Lanze während einer Schlacht des ersten Kreuzzuges

Die Hauptstreitmacht folgte der Vorhut innerhalb der nächsten beiden Tage. Bei der Brücke über den Blauen Fluss, dort wo die Heeresstraße das Sangariostal verlässt um zur Hochebene aufzusteigen, versammelte sich das Heer wiederum. Die Führer beratschlagten über das weitere Vorgehen. Die Situation hatte sich gegen- über der vorangegangenen Belagerung grundlegend geändert: War man vor Nicäa noch vom Kaiser mit Pro- viant und allen notwendigen Hilfsmitteln versorgt worden, sah man sich dieser Unterstützung nun zum Groß- teil beraubt. Zudem befand man sich jetzt im feindlichen Gebiet der Rum-Seldschuken, die das byzantinische Kernland Kleinasien seit etwa zwanzig Jahren besetzt hielten. Immerhin begleitete eine kleine Abteilung by- zantinischer Truppen unter dem Feldherrn Tatikios den Vormarsch und so entbehrte es dem Heer zumindest nicht an erfahrenen Führern.

Das nächste Ziel des Vormarsches musste jedenfalls Doryläon sein, hinter einem Gebirgspass gelegen. Dort gabelte sich die Straße in drei Zweige auf und dort konnte man dann entscheiden, welchem Weg man weiter folgen wollte. Bei der Versammlung wurde ein folgenschwerer Entschluss gefasst: Das Heer sollte in zwei Teilen weiterziehen, wobei die zweite Säule der ersten im Abstand von einem Marschtag folgen sollte. Wahr- scheinlich hoffte man dadurch die Versorgung leichter sicherstellen zu können, vielleicht wollte man aber auch die Marschkolonnen nicht unnötig lange und somit Angriffen gegenüber weniger verwundbar machen.

Dass mit der Eroberung Nicäas schwerlich alle Probleme aus dem Weg geräumt waren, darüber war man sich im Lager der Kreuzfahrer einig. Der Seldschukensultan Kilidsch Arslan hatte zwar seine Hauptstadt verloren, doch seine Macht war nicht wirklich geschmälert: Im Herzen waren die Türken immer noch ein Nomadenvolk - ihre Macht bedurfte nicht der Rückhalt von Städten. Die erste Aktion des Sultans war es gewesen mit seinen Feinden im Osten Anatoliens Frieden zu schließen und mit ihnen ein Bündnis gegen die Aggressoren aus dem Westen einzugehen. Bei Doryläon sollte die Falle zuschnappen, welche die vereinten Türkenheere den Kreuz- fahrern gelegt hatten. Die Franken mussten nur noch in den Hinterhalt tappen und das würden unvermeidbar sein, da die einzige passierbare Straße hier vorbeiführte.

Am Abend des 30. Juni erreichte der erste Teil des Kreuzfahrerheeres eine Ebene unweit von Doryläon. Es waren die Normannen Süditaliens und Nordfrankreichs, die Abteilungen der Grafen von Flandern und Blois sowie die byzantinischen Hilfstruppen, welche die Führer stellten, die hier ihr Feldlager aufbauten. Die zweite Heeressäule aus Südfranzosen, Lothringern und Truppen des Grafen von Vermandois lagerte einen Tages- marsch zurück.

Am folgenden Morgen des 1. Juli quollen unermesslichen Heerscharen der Türken unter lautem Kampfesge- schrei den Berghang herab. Die Kreuzfahrer waren jedoch nicht unvorbereitet - bereits zwei Tage zuvor hat- ten ihre griechischen Späher Anzeichen eines bevorstehenden Angriffes bemerkt und so waren die Franken in Alarmbereitschaft. Der Normanne Bohemund leitete die Verteidigungsmaßnahmen: Die nichtbewaffneten Pil- ger wurden in die Mitte des Feldlagers befohlen, wo sich glücklicherweise auch einige Quellen befanden. Den Rittern wurde der strikte Befehl gegeben von ihren Pferden zu steigen und sich auf die Verteidigung zu be- schränken, während unverzüglich ein Bote in gestrecktem Galopp zum nachfolgenden Heerteil jagte.

Die Türken wandten inzwischen die bewährte Kampftaktik aller Nomadenvölker an: Ihre berittenen Bogen- schützen stießen kurz vor, schossen ihre Pfeile ab und zogen sich, bevor sie noch von den Verteidigern attackiert werden konnten, auch schon wieder zurück. Die Pfeile der Angreifer sollen, glaubt man den Erzähl- ungen der Chronisten, den Himmel verdunkelt haben. Den schwergepanzerten Rittern konnten sie nicht viel anhaben, doch richteten sie großes Unheil unter den Nichtgewappneten und unter den Pferden an. Das Feld- lager war nun von allen Seiten umzingelt und die Scharen der Angreifer erschienen den Kreuzfahrern unüber- sehbar. Doch lassen wir einen Augenzeugen zu Wort kommen:

'... Währenddessen heulten die Türken wie Wölfe und verschossen ungestüm eine Wolke von Pfeilen. Wir waren davon wie gelähmt.
...
Wir waren wirklich alle so zusammengedrängt wie Schafe im Pferch, zitternd und in Schrecken versetzt, auf allen Seiten von Feinden umgeben, so daß wir uns nach keiner Richtung wenden konnten. Uns war klar, daß uns dies wegen unserer Sünden widerfuhr.
...'
(Auszug aus der Historia Hierosolymitana des Fulcher von Chartres)

Unter der heißen Julisonne senkte sich ein unablässiger Hagel von Pfeilen auf die Verteidiger nieder. Und ob- wohl die Frauen des Trosses die Ritter in der vordersten Reihe unablässig mit Wasser versorgten, Trost und Mut spendeten und sie zum Letzten anspornten, schien es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis der Wi- derstand unter der Last der angreifenden Übermacht zusammenbrechen musste. Gegen Mittag schien es so- weit zu sein, die Verteidiger wurden Schritt für Schritt ins Feldlager zurückgedrängt. Da - endlich - nahte die so dringlich ersehnte Hilfe!

Gottfried von Lothringen mit den Seinen zuvorderst, dahinter die Truppen Hugos und Raimunds - sie stürmten auf das Schlachtfeld. Die Türken zeigten sich überrascht. Ihnen war entgangen, dass nicht die gesamte frän- kische Streitmacht in ihre Falle getappt war. Doch noch waren sie sich nicht entscheidend geschlagen und die Chronisten der Franken sollten ihren Gegenern für deren Mut später hohe Achtung zollen. Dennoch vermoch- ten sie die Vereinigung der beiden Heerhaufen der Kreuzfahrer nicht verhindern. Jetzt endlich konnten diese eine lange Front bilden und zum Angriff übergehen. Das Schlachtenglück wendete sich:

'... Denn als wir unsere Kameraden uns von hinten zu Hilfe kommen sahen, lobten wir Gott und formierten uns zu Scharen und Kohorten und rangen damit, dem Feind standzuhalten. O wie viele der Unseren, die auf der Straße hinter uns her bummelten, töteten die Türken an jenem Tag. Von der allerersten Stunde des Tages an bis zur sechsten waren wir, wie ich erzählt habe, in Schwierigkeiten verstrickt. Jedoch erwachten unsere Lebensgeister nach und nach wieder zum Leben, als uns unsere Kameraden Verstärkung brachten und als göttliche Gnade wundersamerweise gegenwärtig war, und dann, wie durch einen plötzlichen Anstoß, ergriffen die Türken sämtlich die Flucht. ...'
(Auszug aus der Historia Hierosolymitana des Fulcher von Chartres)

Genau in diesem Augenblick, als die türkischen Massen ins Wanken gerieten, fiel ihnen eine Abteilung von Südfranzosen unter der Führung des Bischofs Adhemar von Le Puy von der Berghöhe herabstürmend in den Rücken. Der Legat des Papstes hatte sich von einigen ortskundigen Führern den Weg über schmale Gebirgs- pfade hinter die feindliche Front weisen lassen. Nun brachte sein Auftauchen die Entscheidung. Unter den Türken breitete sich Panik aus, ihre Linien lösten sich auf und bald war das gesamte Seldschukenheer in heil- loser Flucht begriffen. So vernichtend war ihre Niederlage, dass sie ihr gesamtes Feldlager zurücklassen mussten; die Zelte des Sultans und der verbündeten Emire mit all ihren Schätzen fielen in die Hände der siegreichen Franken.

Damit war der Weg durch Anatolien freigekämpft. Kilidsch Arslan hatte eingesehen, dass es unmöglich war die Kreuzfahrer aufzuhalten und so zog er sich mit den Seinen ins unwegsame Gebirge zurück - nicht ohne zuvor noch das umliegende Land zu verwüsten, um in einer Politik der verbrannten Erde die Versorgungsmöglich- keiten der Franken einzuschränken. Diese hatten einen großen Sieg errungen, der Kampf war jedoch lange Zeit auf des Messers Scheide gestanden und auch die Verluste an Mensch und Tier waren groß.

Zwei Tage lagerte das Heer in Doryläum, um sich von der Schlacht zu erholen, während seine Führer über die weitere Vorgehensweise beratschlagten. Am 3. Juli schließlich wurde der Vormarsch fortgesetzt. Diesmal ge- meinsam ...

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1. Kreuzzug - Die belagerte Seldschukenhauptstadt Nicäa ergibt sich dem Belagerungsheer

Am Morgen des 19. Juni 1097 muss das belagernde Kreuzfahrerheer erkennen, dass sich die türkische Garni- son der Stadt Nicäa nächtens den byzantinischen Truppen ergeben hat. Obwohl dieser erste Erfolg erst die Voraussetzungen für die Durchquerung Anatoliens schafft, fühlen sich die fränkischen Ritter von den Griechen hintergangen und um die erhoffte Beute geprellt. Das Verhältnis zwischen dem byzantinischen Kaiser und den westlichen Kriegern, ohnehin durch zahlreiche Ereignisse der Vergangenheit und manchen Vobehalt belastet, erfährt eine weitere Belastung.

Belagerung einer mittelalterlichen Stadt; Abbildung um 1300

Im Oktober 1097 waren die zusammengewürfelten Horden Peter des Einsiedlers in der Schlacht von Civetot durch die Truppen des Seldschukenemirs Kilidsch Arslan vernichtet worden. Während der türkische Beherr- scher Kleinasiens über den leichten Sieg frohlockte, wurden die militärisch ernstzunehmenden christlichen Rit- terheere im fernen Westen von ihren Befehlshabern gerade erst zusammengestellt oder befanden sich just auf dem Weg in den Osten.

Die Züge aller dieser Heerhaufen, die aus verschiedenen Gebieten Frankreichs, der Normandie, Lothringens und des normannischen Süditaliens aufbrachen, führten über Konstantinopel. Beim griechischen Kaiser Alexios, dessen Hilferuf nach militärischer Unterstützung mit ausschlaggebend für den Kreuzzugsaufruf Papst Urbans auf dem Konzil zu Clermont gewesen war, lösten diese zahlreichen Züge durch das oströmische Ge- biet keine große Begeisterung aus. Er hatte sich Söldner aus dem Westen erhofft, doch nun, in der Zeit zwischen Oktober 1096 und April 1098, trafen nach und nach Heere unter der Führung verschiedenener Für- sten vor Konstantinopel ein: Gottfried und Balduin von Lothringen, die Normannen Bohemund und Tankred, Raimund von Toulouse, dessen Südfranzosen den zahlenmäßig größten Anteil ausmachten, Robert von Flan- dern und noch viele andere mehr, wobei es bei der Anreise immer wieder zu Reibereien zwischen den durch- marschierenden Franken einerseits und Bevölkerung und byzantinischen Geleittruppen andererseits gekom- men war. Tunlichst vermieden es die Griechen, die westlichen Krieger in die Stadt einzulassen; vielmehr wur- den die einlangenden Haufen rasch über den Bosporus gesetzt, während ihre Führer die Ladung vor den Kaiser erhielten.

Alexios, der ahnte, dass die Ankömmlinge sehr wohl eigene Interessen verfolgten, sah es als seine vordring- lichste Aufgabe an, den ungebärdigen Männern aus dem Westen den Lehenseid abzunehmen. Alle ehemals byzantinischen Besitzungen, die in Folge des bevorstehenden Feldzuges erobert würden, sollten umgehend an das Reich zurückgegeben werden. Mit reichen Geschenken, Drohungen, Druck und Versprechungen gelang es ihm, Eid und Zusage von allen wichtigen westlichen Führern zu erlangen, von denen sich jeder Vorteile aus dieser Abmachung erhoffte und von denen später, wie sich zeigen sollte, keiner seine Versprchen einhalten würde. Einzig Raimund weigerte sich mit dem Hinweis, auf dem bevorstehenden Zug könne nur Gott sein Lehnsherr sein. Gerade er aber sollte dem Kaiser die Treue halten ...

Über die erste Aktion des Feldzuges war man sich auf christlicher Seite einig: Wollte man durch Kleinasien nach Jerusalem ziehen, musste zuerst die starke, jenseits des Bosporus gelegene Festungsstadt Nicäa von den Türken zurückerobert werden, da eine feindliche Garnison von hier aus jederzeit alle Nachschubwege hätte abschneiden können. Nicäa, die Stadt am Askarischen See, war seit dem vierten Jahrhundert stark be- festigt, die etwa sechs Kilometer lange Umfassungsmauer wurde durch 240 Festungstürme geschirmt, wobei eine Seite der Befestigungsanlage unmittelbar an den See grenzte. Unglücklicherweise war diese mächtige Festung nun im Besitz Kilidsch Arslans, der sie zur Hauptstadt seines Reichs gemacht hatte.

Schuld daran, dass sich das Herrschaftsgebiet der Seldschuken in den letzten Jahren beinahe bis vor die Tore Konstantinopels hatte ausdehnen können, waren die militärische Katastrophe des byzantinischen Heeres 1071 gegen die Türken bei Mantzikert und die nachfolgende Schwäche Konstantinopels gewesen, das stets einen Mehrfrontenkrieg zu führen hatte - nicht zuletzt gegen die süditalienischen Normannen unter Beteili- gung jenes Bohemund, der nun als Gast im Kaiserpalast weilte.

Als die letzten Heerhaufen aus dem Westen eintrafen, hatten die Kreuzfahrer mit Unterstützung einiger by- zantinischer Abteilungen die Belagerung der Stadt bereits aufgenommen. Hier befanden sich der Schatz des Kilidsch Arslan, seine Frau und seine Familie. Er selbst, der die Gefahr durch die Kreuzzugheere gering ein- schätzte - wie leicht hatte man sich doch der Haufen Peter des Einsiedlers erwehren können - weilte im Osten Kleinasiens, wo er Streitigkeiten mit konkurrierenden Herrschern auszutragen hatte. Auf die Nachricht des Herannahens der Franken, schickte er eilendst einen Teil seiner Streitmacht nach Nicäa zurück, während er selbst trachtete zu einer Einigung mit seinen Konkurrenten zu kommen und ein Bündnis gegen die Invasoren zu schließen.

Inzwischen war Nicäa von den drei Landseiten eingeschlossen, die Truppen Raimunds hatten das letzte land- seitige Loch im Süden gerade gestopft, als die türkischen Entsatztruppen eintrafen und erkannten, dass sie zu spät gekommen waren. Nach einem erfolglosen Gefecht zogen sie sich vorerst zurück, um das Eintreffen der Hauptstreitmacht ihres Herrn abzuwarten.

Am 21. Mai griff der Sultan selbst mit seinen gesammelten Heerscharen die Belagerer an, doch in einer verbis- senen, den ganzen Tag über währenden Schlacht wurden die Türken, die sich im Kampf Mann gegen Mann am freien Feld den Franken unterlegen zeigten, geschlagen und mussten zurückweichen. Kilidsch Arslan überließ die Stadt ihrem Schicksal und zog sich, auf Rache sinnend, ins östliche Anatolien zurück. Dennoch hatten auch die Kreuzfahrer bedeutende Verluste erlitten.

Immer noch ergab sich die starke Garnison der Stadt nicht. Immerhin war die Blockade keine vollkommene, konnte die Versorgung doch nach wie vor über den See erfolgen. Versuche der Belagerer, Mauern und Türme durch Stollen zum Einsturz zu bringen scheiterten trotz der Unterstützung durch byzantinische Pioniertrup- pen. Erst nachdem der Kaiser auf Bitten der fränkischen Fürsten eine Bootsflottille über Land in den See hat- te schaffen lassen, wurde die Lage für die Verteidiger aussichtslos.

Am 19. Juni schließlich sollte der finale Sturmangriff des gesammelten Kreuzfahrerheeres erfolgen. Doch die Franken trauten ihren Augen nicht, als sie am Morgen des festgesetzten Tages die Befestigungen hochblick- ten: Von den Türmen wehte die kaiserliche Standarte. In Geheimverhandlungen hatten sich die Garnison byzantinischen Truppen ergeben, welche während der Nachtstunden die Stadt von den seeseitigen Zugän- gen aus besetzt hatten. Die Kreuzfahrer sahen sich um die Aussicht auf die erhoffte Beute geprellt, wurde doch durch diese Maßnahme die Plünderung der, vorwiegend von christlicher Bevölkerung bewohnten, Stadt verhindert. Die westlichen Krieger sahen sich jedenfalls dadurch in ihrer Meinung bestätigt, den Griechen jede denkbare Niedertracht und Heimtücke zuzutrauen.

Alexios wusste jedoch vorerst den Unmut seiner Verbündeten zur dämpfen; wertvolle Geschenke aus dem Schatz des Sultans, der in Nicäa erbeutet worden war, halfen dabei. Die Nachrichten jedoch, wie der Kaiser mit den gefangenen Seldschuken der Garnison verfuhr, erboste die Franken: Die hohen Würdenträger erhiel- ten die Gelegenheit sich frei zu kaufen, während des Sultans holdes Eheweib gar unversehrt und ganz kos- tenlos zurückerstattet wurde - im Gegensatz zum Schatz.

Trotz aller Unstimmigkeiten mit dem Kaiser überwog im Lager des Kreuzfahrerheeres doch die Freude über den errungenen Erfolg: Nicäa und das westliche Kleinasien waren aus den Händen der Seldschuken befreit, die Auswirkungen von Mantzikert zumindest teilweise rückgängig gemacht und damit viel Druck von Byzanz genommen. Und vor allem, der Weg nach Jerusalem war nun frei, so dachten zumindest die wackeren Ritter aus dem Westen: 'In fünf Wochen werden wir in Jerusalem sein, es sei denn, wir werden vor Antiochia auf- gehalten ...', schrieb Staphan von Blois seiner Gemalin.

Am 26. Juni, nur eine Woche nach der Übergabe von Nicäa, brach das Kreuzfahrerheer zur langen Reise quer durch Anatolien auf. Es sollten mehr als fünf Wochen werden, und Antiochia hatte seinen Anteil daran. Wie auch immer, Kaiser Alexios war froh, als er seine gefährlichen Verbündeten in Richtung Süden abziehen sah ...

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Fränkisches Reich - Die Nordmannen (Wikinger) brandschatzen Trier

Regino, der siebte Abt des Klosters Prüm, weiß in seiner Chronik für den 5. April des Jahres 882 davon zu be- richten, wie Trier, das ehemalige Augusta Treverorum der Römer, die älteste Stadt auf deutschem Gebiet, von skandinavischen Scharen erobert und verwüstet wurde:

Die Porta Nigra, das noch aus römischer Zeit stammende Wahrzeichen der Stadt Trier ...

'Als die Nordmannen den Tod des Königs (Anm. Ludwig des Jüngeren) vernahmen, überlassen sie sich ungemessenem Jubel und denken jetzt nicht mehr an den Kampf, sondern nur an die Beute. Sie brechen also mit allen ihren Streitkräften aus ihrem befestigten Lager hervor und erobern Trier, die angesehenste Stadt von Gallien am 5. April, am Tage des heiligsten Abendmahles des Herrn, von dem an bis zum heiligen Ostertage sie die vom Marsche ermüdeten Glieder ausruhten und das ganze Gebiet der Stadt ringsumher von Grund aus verwüsteten; dann überliefern sie die Stadt den Flammen und führen ihre Schaaren nach Mediomatricum. Als dies der Bischof dieser Stadt erfahren hatte, vereinigte er sich mit dem Bischof Bertulf und dem Grafen Adalard und rückt jenen aus eigenem Entschlusse zur Schlacht entgegen. In dem Handgemenge blieben die Nordmannen Sieger. Jener Bischof Wala fiel in der Schlacht, die übrigen flohen. Die Heiden verlassen die Straße, welche sie eingeschlagen hatten und kehren mit unermeßlicher Beute in größter Schnelligkeit zu ihrer Flotte zurück. ...'
(Auszug aus der Chronik des Regino von Prüm, Das Jahr 882)

(Siehe dazu auch den Auszug aus den Annales Fuldenses zum selben Ereignis)

Das Kloster Prüm, dem der Autor der Chronik für sieben Jahre vorstand, wurde in jener Zeit selbst zweimal Opfer der plündernden Streifscharen, eben im Jahre 882 und dann nochmals 892, und dies mit verheerenden Folgen, wie der Chronist zu berichten weiß:

'Den Arduennawald durchstreifend, dringen sie gerade am Tage der Erscheinung des Herrn in das Kloster Prumia ein, wo sie sich drei Tage aufhalten und die ganze umliegende Gegend ausplündern. In diesem Landstrich sammelt sich eine unzählige Menge von Fußvolk von den Äckern und Landgütern in einem Haufen und rückt wie zum Kampfe gegen jene vor. Aber die Nordmannen, als sie dies Bauernvolk nicht sowohl waffenlos als vielmehr von aller Kriegszucht entblößt sahen, fallen mit Geschrei über sie her und strecken sie unter einem solchen Gemetzel nieder, daß unvernünftiges Vieh, nicht Menschen geschlachtet zu werden schienen. Nachdem dies also vollbracht war, kehren sie beutebeladen in ihr Lager zurück. Als sie abzogen, verzehrte das Feuer, welches in verschiedenen Gebäuden brennend zurückgeblieben war, das Kloster, weil Niemand zum Löschen da war.'
(Auszug aus der Chronik des Regino von Prüm, Das Jahr 882)

Vorbei war es mit Reichtum und Pracht der karolingischen Familienstiftung. Wie überall im Frankenreich be- klagte man auch hier die Untätigkeit der schwachen fränkischen Könige. Und so wie hier hatten zahllose andere Städte und Klöster Schlimmes zu erdulden. Doch wie hatte es dazu kommen können, dass sich das einstmals so mächtige Staatsgefüge der Plündererscharen aus dem Norden nicht zu erwehren wusste?

Im Jahre 814 war Karl der Große gestorben und hatte das riesenhafte Frankenreich seinem Sohn Ludwig (dem Frommen) hinterlassen. Doch schon unter dessen Söhnen Lothar, Pippin, Ludwig und Karl erfolgte eine Aufteilung der Herrschaft, kannte doch das fränkische Erbrecht keinen automatischen Erbanspruch des Erst- geborenen. Ab diesem Zeitpunkt kam es fortlaufend zu Streitereien unter den jeweiligen Erben, ja zu krieger- ischen Auseinandersetzungen zwischen den Karolingersprößlingen, die vor allem dann vakant wurden, wann immer es galt eine Erbfolge zu treffen.

Bei derartigen Gelegenheiten suchten die Mächtigen des Reiches ihren Einfluss auf Kosten der königlichen Macht zu steigern. Gelingen konnte dies auch deshalb, da das karolingische Geschlecht keinen Herrscher mehr vom Format eines Karls oder Pippins hervorbringen konnte. Zudem häuften sich schwere Krankheitsfälle innerhalb der Familie, vermutlich Formen von Epilepsie, was mach einem Herrscher verhängnisvolle Tatenlo- sigkeit aufzwang. In diese Situation der inneren Zerrüttelung des Reiches hinein begannen die Einfälle frem- der Völker. Schon seit längerer Zeit bdrängten die Sarazenen Italiens Küsten und der Papsthatte sich mit den stets widerspenstigen lombardischen Fürstentümer herumzuschlagen. Doch dazu erstanden den Franken neue Feinde an den Reichsgrenzen.

Während der Druck der Slaven von Osten her wuchs, begannen die noch gefährlicheren Raubzüge skandina- vischer Völker, welche in der zeitgenössischen fränkischen Literatur als Nordmannen bezeichnet wurden. Überfälle dieser Völkerschaften hatte es bereits in merowingischer Zeit gegeben, doch seit dem Ende des 8. Jahrhunderts häuften sich diese Unternehmungen. Den ersten Schlag bekamen die Klöster und Ortschaften Englands ab, doch schon bald erschienen die Nordmannen auch vor den Küsten des westfränkischen Reiches und brachten Brandschatzungen und Plünderungen mit sich.

Vorerst nur mit der Absicht Beute zu machen, befuhren sie mit ihren wendigen, flachen Booten auch die wich- tigen Flüsse und trugen Angst und Panik bis weit ins Landesinnere. Die fränkischen Könige, untereinander häufig zerstritten, zeigten sich gegenüber den Seeräubern machtlos. Abwehrerfolge wurden gegen die ge- fürchteten Scharen, wenn überhaupt, zumeist nur von lokalen Machthabern errungen. Dem zeitgenössischen Beobachter erschienen die heidnischen Nordmänner, die auch davor nicht zurückscheuten, Kirchen und Klös- ter zu plündern und zu brandschatzen, ähnlich schrecklich wie jene wilden Reiterhorden, die immer wieder aus den östlichen Steppen nach Europa einbrachen.

Mit einigen Jahrzehnten Verspätung erschien die nordische Plage auch an den Küsten des östlichen Reichteils. Von nun an war kein Strand mehr sicher und auch viele Teile des Binnenlandes wurden heimgesucht. Immer dann, wenn die Verteidigungsmaßnahmen der fränkischen Verteidiger in einem Reichsteil wirksamer wurden, wenn ein Erfolg errungen werden konnte, fielen die Nordmänner in ein anderes Gebiet ein. Wie schlimm sich die Lage gegen Ende des 9. Jahrhunderts darstellte, zeigen die Klagen der ostfränkischen Bischöfe über das schlimme Treiben der Seeräuber aus dem Jahre 888:

'Wer vermöchte, so hieß es dort, mit trockenen Augen die Leiden unseres Volkes und der Heiligen aufzählen? Sehet hin und betrachtet, was für herrliche und berühmte Bauwerke der Diener Gottes zerstört und verbrannt und gänzlich zu Grunde gerichtet sind. Die Altäre herausgerissen und zerschlagen, der kostbarste und wundervolle Schmuck der Kirchen Gottes geraubt und vom Feuer verzehrt. Bischöfe und Priester und geistliche Personen jeden Ranges mit dem Schwerte verstümmelt und durch verschiedene Martern dem Tode überliefert. Jegliches Alter, beide Geschlechter durch Schwert und Feuer und jedwede Todesart hingerafft. Alles wünschenswerthe und köstliche ist uns entrissen.
.... Vor den Gefahren der Zerstörung zitternd schweifen die Bewohner der Klöster beiderlei Geschlechtes ungewiß umher, von allem Troste völlig verlassen setzen sie auf ihren Irrfahrten ihr Gelübde aufs Spiel und wissen ohne Hirt nicht was sie thun oder wohin sie sich wenden sollen. Doch während wir die Bitterkeit dieser Leiden kosten und betrübt sind bis zum Tode, ängstigt und bedrängt uns ein anderes Übel aus der Nähe, um so schwerer und für uns, die wir Hirten heißen, um so gefährlicher je näher es uns ist. Denn siehe an unserer Seite wütet die Schar der Räuber und Abtrünnigen, welche die Armen und Demüthigen in Christo unterdrücken und morden, ohne vor Gott Ehrfurcht zu hegen oder sich vor irgend einer Person zu scheuen. Von ihnen nämlich würde, wenn auch die Wildheit der Heiden nicht hinzukäme, das Land in eine Einöde verwandelt werden, weil sie weder irgend ein Alter oder Geschlecht noch die Armut zu verschonen wissen, sondern alle, soviel sie vermögen, ohne Achtung vor Gott und Erbarmen berauben und grausam mit Feuer oder Schwert oder auf irgend eine andere Weise ums Leben bringen und dies für nichts achten und geringschätzen"

Mehr als ein Jahrhundert sollte die skandinavische Heimsuchung fortdauern und erst mit Landnahme und der Christianisierung der Eindringlinge ebbte die Wucht der Überfälle ab. Doch schon drohte mit der Ankunft der Magyaren eine weitere Gefahr - diesmal wieder aus dem Osten - die Europa neuerlich für mehr als fünf Jahr- zehnte in Atem halten sollte. Wahrlich, kein Zeitalter für empfindsame Gemütsmenschen ...

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1. Kreuzzug - Ein Volksaufstand macht Balduin von Boulogne zum Alleinherrscher von Edessa

Zur Vorgeschichte: Durch Adoption wird Balduin von Boulogne zum Mitregenten in Edessa

Mit Beginn des Februars 1098 hatten die sich die Anstrengungen und Risiken, die der lothringische Grafen- sohn Balduin von Boulogne auf sich genommen hatte, bezahlt gemacht: In einer dem armenischen Brauch folgenden Zeremonie, die sich eher für ein Kleinkind denn einen erwachsenen Mann eignete, war er vom kin- derlosen Thoros von Edessa und dessen Gattin adoptiert worden. Dabei hatte der Adoptivvater dem ange- nommenen Sohn sein Hemd überzustülpen und beide anschließend ihre nackten Oberkörper aneinander zu reiben; ein Vorgang, der sich anschließend zwischen Sohn und angehender Adoptivmutter wiederholte.

Die Huldigung Balduins durch seine armenischen Untertanen

Nachdem er nun Mitregent und zukünftiger Erbe von Edessa war, nahm Balduin tatkräftig erste Schritte in An- griff. Die Stadt war allzeit von seinen seldschukischen Nachbarn bedroht und nur deren Uneinigkeit hatte es Thoros erlaubt, die Unabhängigkeit zu erhalten. Nun war das ganze Land mehrheitlich von christlichen Arme- niern bewohnt, die sich beim Eintreffen der westlichen Ritter gegen ihre türkischen Besatzer erhoben und deren Garnisonen aus den Städten der Region vertrieben hatten. Einzig Baldak, der Emir des benachbarten Samosata hatte erfolgreich Widerstand leisten können. Nun sah Balduin den Zeitpunkt gekommen, das Emir- at, das seine Verbindung nach Westen bedrohte, anzugreifen und zu vernichten.

Begeistert unterstützten die Einwohner Edessas seinen Plan, hatten sie doch in der Vergangenheit oft unter den Überfällen der Soldaten des Emirs auf ihre Felder und Herden zu leiden. Der Feldzug selbst schlug jedoch fehl und die Streitmacht der Armenier erlitt eine empfindliche Niederlage. Balduin konnte jedoch ein Dorf in der Nähe der Hauptstadt des Feindes erobern und befestigen. Fortan hielten seine Ritter, die er dort stationiert hatte, die Türken in Schach. Mit einem Schlag ließen die Raubüberfälle auf armenisches Gebiet nach, ein Um- stand, der das Ansehen des neuen Mitregenten unter den Einwohnern Edessas weiter erhöhte.

Thoros war unter der Einwohnerschaft der Stadt wegen seiner Konfessionszugehörigkeit, aber auch wegen seines Naheverhältnisses zu Byzanz, seiner Steuerpolitik, die der Bevölkerung hohe Lasten auferlegte, und dem Umstand, dass er die feindlichen Überfälle und Streifzüge zu keiner Zeit unterbinden konnte, niemals be- liebt gewesen. Jedoch war er auch dafür verantwortlich, dass die Unabhängigkeut der Stadt überhaupt erhal- ten geblieben war. Nun schien Vielen der richtige Zeitpunkt gekommen, sich des Ungeliebten zu entledigen.

Kurz nach Balduins Rückkehr vom Feldzug gegen das Emirat von Samosata schlugen die Verschwörer los: Das Volk wurde aufgewiegelt und die Aufständischen zogen vor den Palast des Fürsten in der Zitadelle. Wer denn nun bei diesem Aufstand seine Finger wirklich im Spiel hatte, lässt sich im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit beantworten, rivalisierende Herrscher benachbarter armenischer Kleinfürstentümer wohl ebenso wie edes- sische Würdenträger. In welchem Ausmaß Balduin beteiligt war, ob überhaupt, kann nicht beantwortet wer- den - die vergangenen Ereignisse, etwa jene, bei den Auseinandersetzungen mit dem rivalisierenden Tankred, hatten jedoch gezeigt, dass er keine allzugroßen Skrupel besaß, wenn es darum ging seine eigenen Interessen zu wahren. Seine Anhänger stritten eine jegliche Beteiligung ab, nach armenischen Chronisten soll er jedoch von den Verschwörern in ihren Absichten, ihn an Thoros Stelle zu setzen, informiert gewesen sein.

Thoros jedenfalls wurde von seinen Truppen in Stich gelassen und Balduin kam ihm ebenfalls nicht zu Hilfe. Er riet ihm vielmehr, sich den Aufständischen zu ergeben, was Thoros unter der Zusicherung freien Geleites für sich und seine Gemahlin akzeptierte. Dennoch wurde er festgesetzt. Ein Fluchtversuch misslang und die Menge tötete den Verhassten bei seiner Wiederergreifung. Am 10. März schließlich, einen Tag nach dem Tod des Thoros, wurde Balduin von den Einwohnern Edessas aufgefordet, die alleinige Regierungsgewalt zu übernehmen. Er sah sich am Ziel seiner Wünsche - einer eigenen Herrschaft. Fulcher von Chartres berichtet über die Ereignisse nur kurz:

Nachdem wir dort fünfzehn Tage geblieben waren, schmiedeten die Bürger bösartig ein Komplott, um ihren Fürsten zu töten - weil sie ihn haßten und um Balduin auf den Thron zu heben, damit er das Land regiere. Dies wurde vorgeschlagen und es wurde ausgeführt. Balduin und die Seinen waren sehr erbittert, weil sie keine Gnade für ihn erwirken konnten. Sobald Balduin von den Bürgern die fürstliche Stellung dieses Mannes, der auf schlimme Art umgebracht worden war, als Geschenk angenommen hatte, begann er gegen die Türken, die im Land waren, den Krieg.
(Auszug aus der 'Historia Hierosolymitana' des Fulcher von Chartres )

Balduin, der den Titel eines Grafen von Edessas annahm, sah keinen Anlass, sich an seinen in Byzanz geleis- teten Eid zu halten, dem Kaiser zurückeroberte, ehemals byzantinische Gebiete zu übergeben. Vielmehr ge- dachte er, alleine zu regieren. Allerdings besaß er vorerst nur eine geringe Anzahl eigener Truppen und so war er darauf angewiesen einheimische Armenier in seine Dienste zu nehmen. Dass er in der Zitadelle gewal- tige Reichtümer entdeckte, die großteils noch aus byzatinischen Tagen stammten und durch Thoros' Einhe- bungen zusätzlich noch aufgestockt worden waren, erleichterte ihm seine zukünftigen Aufgaben.

Als nämlich der Emir von Samosata von der Machtübernahme und einem weiteren bevorstehenden Feldzug gegen sein Herrschaftsgebiet erfuhr, bot er Balduin sein Emirat zum Kauf an. Mit Hilfe des Thoros-Schatzes war der neue Graf in der Lage, das Anerbieten anzunehmen und triumphierend in Samosata einzuziehen. Die dauerhafte Beseitigung der türkischen Bedrohung steigerte seine Beliebtheit nochmal, ebenso die Tatsache, dass er aus der Festung der erworbenen Stadt zahlreiche, bei frühreren Streifzügen verschleppte, christliche Gefangene befreien konnte, die er unverzüglich zu ihren Familien zurückschickte.

Als seine Erfolge in den Kreisen der Kreuzfahrer bekannt wurden, schlossen sich ihm mehr und mehr west- liche Ritter an, um an seinen Eroberungen teilzuhaben. Die gefüllte Schatzkammer ermöglichte es ihm, Neu- ankömmlinge reich zu beschenken und für seine Dienste zu gewinnen. Er ermunterte sie, sich fest in seiner Grafschaft anzusiedeln und einheimische, armenische Erbinnen zu heiraten, wobei er ihnen selbst mit gutem Beispiel voranging. Regierungsgewalt und alle Schlüsselposten hielten er selbst und seine fränkischen Le- hensleute fest in der Hand, doch konnten sowohl christliche Armenier als auch Mohammedaner am Staats- leben teilnehmen. Diese Duldsamkeit brachte ihm in der Folge viel Kritik aus den Reihen der Kreuzfahrer ein, half ihm jedoch, seine Herrschaft rasch zu festigen.

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1. Kreuzzug - Durch Adoption wird Balduin von Boulogne zum Mitregenten in Edessa

Am 08. Februar 1098 macht der armenische Machthaber von Edessa, Thoros, Balduin von Boulogne durch Adop- tion zu seinem Mitregenten und Nachfolger. Der armenische Fürst, der selbst kinderlos war, und der seinen Machtbereich in den vergangenen wirren Jahren mit großem Geschick vor türkischer Herrschaft bewahrt hatte, sah in diesem Bündnis mit dem fränkischen Kreuzfahrer die einzige Chance, seine Macht zu erhalten. Doch diese Verbindung wird Thoros nicht zum Glück gereichen - nur wenige Wochen später fällt er einer Verschwörung ein- flussreicher Armenier zum Opfer, was Balduin zum alleinigen Herrscher in Edessa macht ....

Die Ruinen der Burg von Edessa ....

Das armensische Volk sah sich im 11. Jahrhundert durch die zunehmenden Einfälle der türkischen Seldschu- ken dazu gezwungen, seinen ursprünglichen Stammsitz um den Van-See und im Araxes-Tal aufzugeben und nach Südwesten auszuweichen. Die katastrophale Niederlage der Byzantiner bei Mantzikert im Jahre 1071 öffnete den Türken die Tore nach Anatolien und so hatten sich die Machthaber der vielen kleinen armeni- schen Fürstentümer, die sich zur Zeit des ersten Kreuzzuges vom mittleren Euphrat bis zum Taurusgebirge erstreckten, ständiger seldschukischer Angriffe und Raubzüge zu erwehren.

Einer dieser Fürsten war Thoros, der die bedeutende, ehemals byzantinische Stadt Edessa in seinem Besitz hielt. Erst vor kurzem war es ihm gelungen, die türkische Besatzung aus der Zitadelle zu vertreiben, doch musste er jederzeit mit einem Gegenschlag der Seldschuken rechenen, ungeachtete der Tatsache, dass der- en Emire untereinander uneins waren und in steter Fehde zueinander standen. Erschwerend war für Thoros der Umstand, dass er sich bei der armenischen Bevölkerung Edessas keinerlei Beliebtheit erfreuen konnte und er von den Großen nur darum geduldet wurde, da bislang niemandem sonst das Geschick zugetraut wur- de, die Unabhängigkeit des Fürstentums zu erhalten.

Wie so häufig in der mittelalterlichen Geschichte waren Kirchenstreitigkeiten eine Mitursache für die verwor- rene Lage: Bereits zu Beginn des 4. Jahrhunderts war das Christentum zur Staatsreligion des damaligen Staates Armenien erklärt und Armenien somit zum ersten christlichen Staat überhaupt geworden. Das Volk gehörte der armenischen Kirche an, die im Gegensatz zur orthodoxen byzantinischen Kirche stand. Thoros jedoch war orthodoxen Glaubens, trug immer noch den byzantinischen Titel eines curopalates und war somit formal immer noch dem Kaiser in Byzanz untergeben. Nicht zuletzt die Kirchenstreitigkeiten hatten aber dazu geführt, dass die Armenier die byzantinische Oberherrschaft ebensosehr hassten wie eine türkische. Und so hatten viele die Hoffnung, in den Franken aus dem Westen die benötigte Hilfe gegen die Seldschuken zu fin- den, ohne sich neuerlich dem Kaiser unterwerfen zu müssen.

Balduin von Boulogne, der Bruder Gottfrieds, hatte als nachgeborener Sohn des Grafen von Boulogne keine Aussicht auf einen bedeutenden Besitz in seinem Heimatland. Auch aus diesem Grund dürfte er dem Kreuz- zugaufruf Papst Urbans gefolgt und sich mit seinem Bruder dem Unternehemen angeschlossen haben. Ziel- strebig verfolgte er dabei das Ziel, sich eine Herrschaft im Osten zu erwerben.

Einem ersten Versuch in Kilikien war noch kein bleibender Erfolg beschieden, hatten doch Balduin und der Normanne Tankred, der Neffe Bohemunts in ihren Bemühungen nach Eroberungen versucht, sich gegenseitig auszustechen. Sogar die Waffen hatten zwischen ihnen gesprochen - ein unerhörtes Geschehen, dass sich nämlich christliche Fürsten auf diesem Zug bekriegten. Dass die Weigerung Balduins, einen Trupp Normannen Schutz zu gewähren, wodurch diese nächtens prompt von türkischen Truppen hingemetzelt wurden, zwar eine große Empörung unter den Kreuzfahrern ausgelöst, aber sein Ansehen nicht nachträglich zerstört hatte, lag wohl nur an seinen anschließenden Erfolgen.

Bereits frühzeitig, nämlich noch vor Nicäa, hatte Balduin Interesse an den armenischen Verhältnissen gezeigt und in seinem Gefolge befand sich auch ein Armenier namens Bagrat, durch den er Verbindungen zu den ar- menischen Fürstenhäusern gewann. Nach dem Kilikienabenteuer war er wieder zum Hauptheer der Kreuz- fahrer gestoßen, bei dem sich auch seine Frau Godevere mit ihren Kindern befunden hatte, die aber zwi- schenzeitlich an einer Krankheit verstorben war.

Doch dieser Schicksalsschlag konnte Balduin in seinem Tatendurst nicht hemmen und so verließ er mit einem Trupp Getreuer das Heer, als dieses sich nach Antiochia zu wälzen begann. Wahrscheinlich war es eine di- rekte Botschaft Thoros an ihn, die ihn zu seiner Trennung von der Hauptstreitmacht veranlasste.

Was nun folgte, war eine abenteuerliche Unternehmung: Die Armenier erhoben sich bei der Ankunft der frän- kischen Ritter allenortens und begrüßten die Neuankömmlinge als Befreier; türkische Garnisonen flohen oder wurden niedergemacht. Am Ende des Jahres 1097 hatte Balduin die bedeutenden Festungen Ravendel und Turbessel erobert, das Land bis zum Euphrat besetzt und bedeutende armenische Edle hatten sich ihm angeschlossen.

Schließlich erreichte ihn eine neuerliche, ungeduldige Botschaft aus Edessa: Thoros, der Nachrichten darüber besaß, dass Kerbogha, der mächtige türkische Emir von Mossul ein riesiges Heer zusammenzog, um das von den Kreuzfahrern belagerte Antiochia zu entsetzen, fürchtete um seine Unabhängigkeit. Schließlich wäre die- se Streitmacht jederzeit in der Lage, mit den armenischen Kleinfürstentümern aufzuräumen.

Doch Balduin war nur unter seinen eigenen Bedingungen bereit, Hilfe zuzugestehen. Und so musste der al- ternde und kinderlose Thoros, der den Franken ursprünglich als Söldner anwerben und mit Geschenken und Geld zu entlohnen gedachte, den Einsatz schließlich erhöhen: Er erklärte sich bereit, Balduin als Sohn und Er- ben zu adoptieren und ihn sofort zum Mitregenten in Edessa zu machen. Nun, da der Preis stimmte, machte sich der künftige Adoptivsohn von Turbessel aus auf den Weg - nur von wenigen Rittern begleitet. Doch las- sen wir dazu den Chronisten Balduins zu Worte kommen, Fulcher von Chartres, der ihn als Feldgeistlicher auf seinen Zügen begleitete:

Jene Stadt (Anm. Edessa) ist hochberühmt und ist in einem überaus fruchtbaren Gebiet gelegen. Sie befindet sich in Syrisch-Mesopotamien, ungefähr zwanzig Meilen hinter dem obenerwähnten Euphrat und ungefähr hun- dert Meilen oder mehr von Antiochien entfernt. Balduin wurde vom Herzog gebeten, dorthin zu kommen, damit sie gegenseitig Freunde werden könnten wie Vater und Sohn, solange sie beide lebten. Und wenn der Herzog von Edessa zufällig sterben sollte, sollte Balduin unverzüglich die Stadt sowie den gesamten Besitz des Herzogs als dauerhaftes Erbe in Empfang nehmen, so als ob er der eigene Sohn des letzteren wäre. Da der Herzog we- der Sohn noch Tochter hatte und weil er nicht dazu in der Lage war, sich gegen die Türken zu behaupten, wün- schte dieser Grieche, daß er und sein Gebiet durch Balduin verteidigt werden sollten. Er hatte erfahren, daß Balduin und seine Ritter gar gewaltige Recken seien. Sowie Balduin dieses Angebot aufgenommen hatte und von seiner Aufrichtigkeit durch die Eidesleistung der Gesandten aus Edessa überzeugt war, schickten er und sein geringes Heer von achtzig Rittern sich an, den Euphrat zu überschreiten.
(Auszug aus der 'Historia Hierosolymitana' des Fulcher von Chartres )

Nachdem sie einen türkischen Hinterhalt unbeschadet überstanden hatten (vermutlich waren Hinweise von gewissen armenischen Kreisen, welche die Machtergreifung Balduins verhindern zu suchten, an die Seld- schuken ergangen), erreichten sie am 6. oder 8. Februar Edessa. Unmittelbar nach seinem Eintreffen nahm in Thoros in aller Form an Sohnes Statt an. Balduin war Mitregent von Edessa und somit seinem Ziel einer ei- genen Herrschaft ganz nahe ...

Zur Fortsetzung: Ein Volksaufstand macht Balduin von Boulogne zum Alleinherrscher von Edessa

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Fränkisches Reich - Tod Karl 'des Dicken'

Am 13. Jänner 888 verschied mit Karl III., der von späteren Chronisten mit dem wenig schmeichelhaften Bei- namen 'der Dicke' versehen wurde, jener Karolinger, unter dessen Herrschaft sich die Teile des fränkischen Reiches ein letztes Mal zu einem Ganzen zusammengefügt hatten. Doch starb er nicht als Herrscher, sondern seiner Macht beraubt, verarmt und vom Wohlwollen seines Nachfolgers abhängig.

Wachssiegel Karl des Dicken - dessen Stempel nach dem Vorbild einer Gemme gearbeitet war - von einer Frankfurter Urkunde, 882

Das klägliche Ende dieses Kaisers, den das Glück solange mit seinen Segnungen überschüttet hatte, dem die Gesamtherrschaft über die fränkischen Teilreiche in den Schoß gefallen war, ohne dass ihn sein Ehrgeiz dazu getrieben hätte, und der danach so tief gefallen war, hatte bereits Mitgefühl und Phantasie seiner Zeitgenos- sen erregt. So schrieb der Chronist Regino von Prüm:

So wie zuvor das Glück, da es all' seine Gunst ihm in unglaublicher Menge zuströmen ließ, ihm so viele und so große Reiche ohne den Schweiß der Arbeit, ohne den Kampf des Krieges zuwarf, so dass er nach Karl dem Großen keinem der Frankenkönige an Hoheit, Macht, Reichtümern nachstand, so entriss ihm jetzt ein widriges Geschick, um die menschliche Gebrechlichkeit zu zeigen, unehrbietig in einem Augenblick alles, was das Glück aufgehäuft, was es freundlich lächelnd eins herbeigebracht hatte. Eine klägliche Gestaltung der Dinge, einen großmächtigen Kaiser nicht nur der Zierden des Glücks beraubt, ihn auch menschlichen Almosens bedürftig zu sehen.

Was war geschehen? Nach dem Tod Karl des Großen war das fränkische Reich schon in der übernächsten Generation in meherere Teilreiche zerfallen. Ursachen dafür waren das nach fränkischem Recht geltende Teilungsprinzip, das die Aufteilung des Besitztums auf alle legitimierten Söhne vorsah, aber auch die Schwier- igkeiten mit den vorhandenen technischen und administrativen Hilfsmitteln ein derartig riesiges Gebiet zu beherrschen. In der Folge war es immer wieder zu Streitigkeiten und sogar kriegerischen Auseinandersetz- ungen zwischen den karolingischen Herrschern gekommen, die mit schöner Regelmäßigkeit immer dann aufs Neue ausbrachen, wenn es galt Nachfolgefragen zu regeln.

Erschwerend kam hinzu, dass im 9. Jahrhundert das Reich durch äußere Einfälle zusätzlich beunruhigt wurde. In Italien bedrängten die Sarazenen den Papst, der wiederholt seinen Hilferuf erschallen ließ. Schwerer noch wogen die beginnenden Raub- und Plünderungszüge der heidnischen Normannen, die vorerst nur das west- fränkische Herrschaftsgebiet betrafen. Bald jedoch verheerten sie auch den östlichen Teil, indem sie mit ihren wendigen, schnellen Schiffe die großen Flüsse befuhren und das Land mit Feuer und Schrecken überzogen. Trotz vereinzelter Abwehrerfolge gelang es den fränkischen Herrschern nicht, dieser Gefahr Herr zu werden.

In diese Zeit wurde Karl 839 als dritter und jüngster Sohn des ostfränkischen Königs Ludwig II. 'des Deut- schen' geboren. Gemäß dem Teilungsprinzip erhielt er von seinem Vater Alemannien mit Churrätien zugesprochen, während sein Bruder Karlmann Bayern und die östlichen Marken, sein zweiter Bruder Ludwig (der Jüngere) Thüringen und Sachsen zugedacht war. Dies hatte erneut eine Aufsplitterung des Herrschaftsbereiches zu Folge, doch meinte es das Geschick vorerst gut mit Karl.

Anders als seine beiden Brüder, die ihren Einflussbereich zu mehren verstanden, verhielt er sich politisch passiv - doch nach dem Tod der beiden fiel ihm ihr Herrschaftsgebiet zu, nachdem er schon zuvor von Papst Johannes VIII. zum italienischen König und 880 zum Kaiser gekrönt worden war. Doch Karl enttäuschte die Erwartungen des Papstes, der sich von ihm Schutz gegen sarazenischen Überfälle und Bedrückung durch die lombardischen Fürstentümer erhofft hatte, da er in Italien weitgehend untätig blieb und bald in den Norden zurückkehrte.

Doch Fortuna hatte ihr Füllhorn immer noch nicht vollständig über den ehrgeizfreien Karl entleert. Er, der den Dingen gerne seinen Lauf ließ und gemeinhin als wenig entschlussfreudig galt, wurde nach dem erbenlosen Tod der beiden westfränkischen Könige Ludwig III. und Karlmann, 882 und 884, von den westfränkischen Großen auch die westfränkische Königskrone angetragen. So war das fränkische Reich noch ein letztes Mal geeint - wenn auch nur auf kurze Zeit.

Schon bald zeigte sich, das Karl den ungeheuren Herausforderungen, welche die Verwaltung eines derartig riesigen Herrschaftsgebietes stellte, bei weitem nicht gewachsen war - zumal unter den angesprochenen äußeren Herausforderungen. Wahrscheinlich hätte diese Aufgabe auch jeden anderen Herrscher überfordert, doch zeichnete sich Karl durch besondere Tatenlosigkeit aus. Er scheute Auseinandersetzungen und ließ die Dinge treiben - zum Teil wahrscheinlich auch eine Folge einer Krankheit, wahrscheinlich Epilepsie, deren Schwere mit zunehmendem Alter anwuchs. Den Heimsuchungen der Normannen wusste er nur durch die Leistung von Tributzahlungen zu begegnen, was ihm von den Zeitgenossen als Versagen angekreidet wurde: Der christliche Kaiser versagte beim Schutz seines Volkes gegen die heidnischen Brandschatzer, während lokale Machthaber, wie etwa Graf Odo von Paris zumindest zeitweilig Erfolge bei der Normannenabwehr er- zielen konnte. Klarerweise musste derartiges das Ansehen des Herrschers zutiefst beschädigen.

Flache, wendige Schiffe, wie dieses rekonstruierte Langboot, trugen die Normannen bei ihren Beutezügen im 9. Jahrhundert die großen europäischen Flüsse hinauf.

So entrüstet sich der Chronist der Fuldaer Annalen über ein Ereignis aus dem Jahre 882: Endlich hatte sich Karl, unter dem Zwang der Ereignisse und von allen Seiten dazu gedrängt, entschlossen, gegen die Nor- mannen ins Feld zu ziehen. Mit einem mächtigen Reichsaufgebot, dem sogar Kontigente aus Italien ange- hörten, waren die Nordmänner vor Elsloo in ihren Verschanzungen eingeschlossen worden und die Eroberung der Befestigungen schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Doch es kam anders:

Die Nordmannen zogen aus ihrer Verschanzung und drangen in die Stadt Trier ein, welche sie am 5. April gänzlich verbrannten, nachdem die Einwohner teils verjagt, teils getötet waren. Ihnen zog Walah, Bischof von Metz, unvorsichtig mit wenigen entgegen und wurde getötet.
....
Darauf nach Worms gekommen, beriet er (Anm. Karl) mit den überallher eintreffenden Seinigen, wie er die Nordmannen aus seinem Reich verjagen könne. Daher kommen zu der bestimmten und unter ihnen verab- redeten Zeit aus den verschiedenen Provinzen unzählige Männer zusammen: allen Feinden furchtbar, hätten sie einen geeigneten und ihnen gleichgesinnten Führer gehabt, Franken, Noriker, Alamannen, Thuringier und Sachsen, und in gleicher Absicht zogen sie kampfbegierig gegen die Feinde. Dorthin gekommen, belagerten sie die Festung jener, welche Ascloha heißt. Als bereits die Festung fallen mußte und die drinnen aus Furcht verzweifelten, dem Tod entrinnen zu können, ging Einer von den Räten des Augustus, Namens Liutward, ein Pseudo-Bischof, ohne Wissen der übrigen Räte, welche dem Vater des Kaisers gewöhnlich zur Seite standen, im Verein mit dem betrügerischen Grafen Wicbert den Kaiser an, und durch Geld bestochen, brachte er ihn von der Bezwingung der Feinde ab, und stellte ihren Führer Gotafrid dem Kaiser vor: diesen empfing der Kaiser nach Weise Achabs, wie einen Freund und machte mit ihm Frieden, für welchen von beiden Seiten Geiseln gegeben wurden; was die Nordmannen als Omen annahmen. Und damit kein Zweifel wäre, daß der Friede ihrerseits gültig sei, hängten sie nach ihrer Sitte einen Schild in die Höhe und öffneten die Tore der Festung. Die Unsrigen aber, unbekannt mit ihrer Hinterlist, kamen in diese Festung, teils um zu handeln, teils die Festigkeit des Ortes anzusehen. Aber die Nordmannen wandten sich zu ihrer gewohnten Hinterlist, nahmen den Schild des Friedens herab und alle unsere Leute, soviel deren innerhalb zu finden waren, töteten sie entweder oder bewahrten sie, mit eisernen Ketten gebunden, zum Loskauf auf. Aber der Kaiser achtete eine so große, seinem Heere zugefügte Schmach nicht einen Pfifferling wert, und hob den vorgenannten Gotafrid aus der Taufquelle, und den, welcher seines Reiches größter Feind und Verräter gewesen war, setzte er zum Genossen des Reiches ein. Denn die Grafschaften und Lehen, welche der Nordmann Rorich, ein Getreuer der Frankenkönige, in Kinnin gehabt hatte, vermachte er diesem Feind und seinen Leuten zum Wohnsitz; und worin noch größere Schuld liegt: von welchem er Geiseln empfangen und Tribut eintreiben mußte, diesem ist er nach dem Rat Schlechter, gegen die Gewohnheit seiner Vorfahren, nämlich der fränkischen Könige, Tribut zu zahlen, nicht errötet. Denn er nahm nun die Schätze der Kirchen fort, welche aus Furcht vor den Feinden verborgen waren, und gab von reinstem Gold und Silber 2412 Pfund zu seiner und des ganzen Heeres Schande, an dieselben Feinde. Überdies befahl er, daß jeder, wer von seinem Heere zur Verteidigung der heiligen Kirche aus Eifer für Gott, einen der Nordmannen tötete, die in das Lager zu dringen versuchten, entweder solle hingerichtet oder ihm die Augen ausgestochen werden. Worüber das Heer sehr betrübt war und beklagte, daß solcher Fürst über sie gekommen sei, welcher die Feinde begünstigte und ihnen den Sieg über die Feinde entzog; und gar sehr beschämt kehrten sie in ihre Heimath zurück. Die Nordmannen aber beluden mit den Schätzen und einer Anzahl Gefangener 200 Schiffe, die sie in ihr Vaterland schickten; sie selber aber hielten sich in dem sicheren Ort, eine gelegene Zeit zum Raub zu erwarten.
(Auszug aus den 'Annales Fuldenses', für das Jahr 882 )

887 war das Maß voll. Die Großen des ostfränkischen Reichteiles empörten sich gegen Karl. Sein engster Be- rater, der gehaßte Erzkanzler Liutward, dem auch der Verrat von Elsloo angelastet wurde, fiel einer Intrige seiner Gegner zum Opfer. Karls Versuche, die Ansprüche seines Neffen Arnulf von Kärnten zurückzudrängen und mit der Adoption Bosos von Vienne erst vierjährigem Sohn Ludwig, einem Enkel Kaiser Ludwigs II., einen Nachfolger zu installieren kamen zu spät. Der Unmut über seine Herrschaft war zu groß. Auf einer ostfrän- kischen Reichsversammlung im November 887 erschien Arnulf mit bayerischem Heergefolge und wurde von den anwesenden Großen zum König ausgerufen. Karl machte noch den Versuch zum Widerstand, sah jedoch, von allen Getreuen verlassen, bald die Hoffnungslosigkeit seiner Lage ein und entsagte dem Thron.

Schlagartig hatte das Glück den bisher so Begünstigten verlassen. Von allen verlassen litt er sogar Mangel an den nötigsten Lebensmitteln: vom mächtigen Kaiser war er zum schutzsuchenden Bettler geworden. Doch Arnulf verzichtete auf einen blutigen Thronwechsel und gestattete seinem schwerkranken Onkel den Rückzug nach Alemannien, wo er ihm einige Güter zur Sicherung seines Lebensbedarfes zur Verfügung stellte.

Kaum zwei Monate später verstarb dann Karl in Neidingen, bestattet wurde er in Reichenau. Den Beinamen 'der Dicke' erhielt er erst viel später. Damit war allerdings gar nicht sein Leibesumfang gemeint, sondern vielmehr seine mangelnde Tatkraft. Weder war er grausam noch besonders machthungrig, doch war er mit seiner Neigung zur Tatenlosigkeit nicht dazu in der Lage, die großen Probleme des Reichs auch nur annä- hernd zu lösen. Daher vermittelt die Geschichtschronik von ihm das Bild eines sehr schwachen Herrschers.

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Römisches Reich - Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen stirbt in Castel Fiorentino

'Lange genug war ich Amboss, jetzt will ich Hammer sein ...'

Am 13. Dezember 1250 stirbt der römische Kaiser, deutsche König und König von Sizilien und Jerusalem, Friedrich II. von Hohenstaufen in Castel Fiorentino, in der Provinz Foggia gelegen. Wie kein anderer Herrscher des Mittelalters hat er, der große Gegenspieler der Päpste, die Zeitgenossen polarisiert. Während ihn die päpstliche Seite als Vorläufer des Antichristen verteufelt, ist er für seine Anhänger der stupor mundi , das 'Staunen der Welt'. In seinem Bemühen, das Königreich Sizilien unter eine straffe zentralistische Verwaltung durch gutausgebildete Beamte zu stellen, vielbegabt in Kunst und Wissenschaften, interessiert in Philosophie und fremden Kulturen gegenüber, insbesondere der arabischen, aufgeschlossen, scheint sich in ihm bereits der Renaissancemensch anzukündigen.

Friedrich II. von Hohenstaufen, 'stupor mundi'

Friedrich wurde 1194 als Sohn des deutschen Kaisers Heinrich VI. und Enkel Friedrich Barbarossas geboren. Seine Mutter war Konstanze, die Tochter des letzten normannischen Königs von Sizilien, Roger II. Die Geburt des Thronfolgers erregte zu seiner Zeit großes Aufsehen bei Anhängern und Gegnern der kaiserlichen Partei, schließlich war Konstanze bereits knappe 40 Jahre alt und zuvor neun Jahre lang kinderlos geblieben. Sie brachte ihren Sohn in Jesi, einem Marktflecken in der Nähe von Ancona auf dem Festland, zur Welt. Um allen bösen Gerüchten, die von politischen Gegnern in den Umlauf gebracht worden waren, vorzubeugen, war vor der Kathedrale ein großes Zeit aufgestellt, in dem 19 Kardinäle und Bischöfe Zeuge der Geburt wurden.

Durch die Heirat mit der Erbin des süditalienischen Normannenreiches, konnte sich Heinrich in Besitz des Königreichs Sizilien setzen und verfügte damit über eine enorme Machtstellung. Doch alle hochfliegenden Eroberungspläne - das westliche und das östliche Reich sollten wieder unter Führung des römischen Kaisers vereint, ein großer Kreuzzug nach Palästina geführt werden - zerstoben mit dem frühen Hinscheiden Heinrichs 1197, erst 32 Jahre alt. Allerdings war es ihm zuvor gelungen, bei den deutschen Fürsten die Wahl seines kaum zweijährigen Sohnes, der vorerst noch auf den Namen Konstantin hörte, durchzusetzen. Erst später, bei seiner Taufe, erhielt er die Namen Friedrich und Roger, nach seinen Großvätern. Zur Krönung Friedrichs kam es allerdings nicht mehr, da die Delegation, die ihn nach Deutschland bringen sollte, bedingt durch Wirren und Aufständen nach dem Tod seines Vaters unverrichteter Dinge umkehren musste.

Papst Innozenz III. kam die Entwicklung nicht ungelegen, bestand doch nun die Aussicht, die kaiserliche Umklammerung der kirchlichen Länder zu beenden. Konstanze übernahm die Regentschaft für ihren Sohn, der 1198 in Palermo zum König von Sizileien gewählt wurde verzichtete aber faktisch für ihn auf dessen deutsches Königtum. Deutschland versank dadurch für Jahre in innere Kämpfe zwischen der staufischen Partei, die Philipp von Schwaben, den jüngsten Sohn Friedrich Barbarossas zum König wählte, und der päpstlichen Partei mit dem welfischen Gegenkönig Otto von Braunschweig. 1208 schien es, als hätte der Staufer die Oberhand behalten, doch seine Ermordung ließ schließlich doch Otto siegreich bleiben.

Währenddessen war in Sizilien Konstanze gestorben und der Papst hatte die Vormund- und Regentschaft für den noch nicht vierjährigen Friedrich übernommen. In den Wirren der folgenden Jahre, die gekennzeichnet waren durch Auseinandersetzungen zwischen deutschen und päpstlichen Truppenführern, einheimischen normannischen Baronen und sizilianischen Sarazenen, wuchs Friedrich in Palermo, im Schmelztiegel so vieler Kulturen auf. Diese Zeit, in der er höchstwahrscheinlich auch körperliche Not und Gefahren erleiden musste, scheint seine Persönlichkeit stark geformt zu haben.

Die Wende kam mit dem Einfall König Ottos in Italien 1210, der Friedrich aus seinem sizilianischen Reich zu verdrängen suchte. Der Papst, die Gefahr einer neuerlichen Umklammerung von Norden und Süden aus befürchtend, begann antiwelfische Kreise im Deutschland zu unterstützen. 1211 wurde Friedrich von diesen Parteien zum König gewählt, was Otto zum Abzug aus Italien zwang. 1212 zog Friedrich, nachdem er zuvor dem Papst den Lehenseid auf Sizilien geleistet hatte, nach Deutschland - als 'Sohn der Kirche' von seinen Anhängern bezeichnet, als 'Pfaffenkaiser' von seinen Gegnern beschimpft. Die Niederlage Ottos in der Schlacht von Bouvines 1214 gegen Philipp II von Frankreich entschied schließlich den Thronstreit zugunsten des Staufers.

Friedrich, der schon im Alter von fünfzehn Jahren Konstanze von Aragon geheiratet hatte, holte seine Sohn Heinrich nach Deutschland nach und ließ ihn 1120 zum deutschen König wählen. Danach kehrte er wieder nach Italien zurück, wo 1120 von Papst Honorius III. in Rom zum Kaiser gekrönt wurde. In der Folge setzte er zahlreiche Maßnahmen zum Ausbau eines straffen zentralistischen Herrschaftssystems im Königreich Sizilien, dem er bedeutend mehr Aufmerksamkeit zukommen ließ als den deutschen Gebieten. Die Macht der einheimischen Barone wurde gebrochen, die Aufstände der sizilianischen Sarazenen grausam unterdrückt. Doch durften die besiegten Muslime nach ihrer Zwangsumsiedelung auf das italienische Festland ihren Glauben frei ausüben, was sie fortan zu treuen Untertanen des Kaisers werden ließ.

Castel del Monte - das berühmte apulische Jagdschloss Friedrichs II.

In der Folge überzog Friedrich das Königreich mit einem gutorganisierten Burgensystem. Um sich einen wohlausgebildeten Beamtenstand für die Verwaltung des Reiches heranzubilden, gründete er 1224 die Hohe Schule zu Neapel, die erste weltliche Universität. An seinem Hof versammelte er Gelehrten aus dem Morgen- und Abendland, er selbst dichtete in der Volkssprache, beherrschte mehrere Sprachen, etwa Latein, Griechisch, Arabisch, Italienisch, Französich,Deutsch, und schrieb sein berühmtes Buch De arte venandi cum avibus ('Über die Kunst mit Vögeln zu jagen').

Doch zwischenzeitlich begann sich auch das Verhältnis zur päpstlichen Partei zu verschlechtern, was vielerlei Gründe hatte. Bereits 1125 hatte er Isabella von Brienne geheiratet, die Erbin des Königreiches Jerusalem. Eine politische Ehe, vom Papst angeregt und Friedrich, dem man nachsagte, wie ein orientalischer Herrscher einen Harem zu besitzen, war seiner Gemahlin nicht treu. Dennoch gebar sie ihm einen Sohn, Konrad. Infolge dieser Verbindung beanspruchte Friedrich die Krone Jerusalems für sich. Doch das Wüten einer Seuche im Kreuzfahrerheer, dem unter anderem der Landgraf von Thüringen, der Gemahl der heiligen Elisabeth von Thüringen, zum Opfer fiel und die auch den Kaiser selbst erkranken ließ, zwang zur Umkehr.

Der neue Papst, Gregor IX, nutze die Gelegenheit, um gegen den mittlerweile missliebigen Herrscher vorzugehen und tat ihn in den Kirchenbann. Dennoch oder gerade deswegen machte sich Friedrich 1128 zum Kreuzzug auf. In Outremer eingetroffen konnte er als Gebannter auf keine Hilfe der ansässigen Großen beziehungsweisde der Ritterorden rechnen. Im Gegenteil, von päpstlicher Seite wurde sogar versucht, jeden Erfolg zu hintertreiben - eine groteske Situation. Einzig auf den deutschen Orden unter seinem Großmeister Hermann von Salza konnte der Kaiser zählen. Dennoch geschah das Unglaubliche: Friedrich gelang es, Jerusalem (ein letztes Mal) für die Christenheit zurückgewinnen. Doch nicht durch militärische Unternehmen, sondern durch Unterhandlungen mit dem ägyptischen Sultan Al-Kamil wurde dieser Erfolg erreicht, was wohl vor allem durch seine guten Kontakte und den Ruf, den Friedrich unter den Arabern genoss, gelingen konnte. Selbstredend, dass die Art der Erringung von der Kirche nicht gutgeheißen wurde. Die Krone Jerusalems musste er sich, als Gebannter, selbst auf sein Haupt setzen.

Es blieb keine Zeit, um die Angelegenheiten Jerusalems zu ordnen: Der Einfall eines päpstlichen Heeres in sein sizilianisches Königreich zwang Friedrich zur raschen Heimkehr. Die weiteren Jahre waren gekennzeichnet von laufenden Auseinandersetzungen mit dem Papsttum, von mehrfacher Belegung beziehungsweise Aufhebung des Kirchenbanns, von gegenseitiger Propaganda und blutigen Auseinandersetzungen unter anderem mit den lombardischen Städten, die schon seinem Großvater laufend Schwierigkeiten bereitet hatten. Auch der eigene Sohn Heinrich, der deutsche König, verbündete sich den Feinden seines Vaters und wurde abgesetzt und eingekerkert.

Nach vorerst großen Erfolgen musste Friedrich schließlich schwere Schläge einstecken: 1148 erleidet er eine Niederlage gegen Parma, 1149 wird sein Sohn Enzio von den Bolognesen gefangengenommen, in eine Gefangenschaft, aus der jener Zeit seines Lebens nicht mehr entkommen sollte. Der Kaiser überstand einen Giftmordversuch seines Arztes und Verräter wurden entlarvt. Aber 1250 schien das Schlimmste überstanden; das Blatt begann sich endgültig zu Gunsten des Kaisers zu wenden. Doch unerwartet befiehl ihn eine ruhrähnliche Krankheit, von der er sich nicht mehr erholt. Am 13. Dezember 1250 stirbt der stupor mundi ; der Untergang der Hohenstaufen nimmt damit seinen Anfang ...

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Konzil von Clermont - Papst Urban II. ruft zur Befreiung der Heiligen Stätten auf

1088 wird Odo von Lagery zum Papst gewählt. Er tritt als Urban II. die Nachfolge Viktors III. an und verfolgt einen politisch ähnlichen Kurs wie sein bedeutender Vorgänger Gregor VII. Er setzt dessen selbstbewusste Kirchenreformen fort und sucht insbesonders den Anspruch des Papstes auf die Oberherrschaft über die Christenheit und somit auch über weltlichen Fürsten, Könige und sogar den Kaiser durchzusetzen.
Zeitgenössische Chronisten überliefern uns das Bild eines hochgewachsene und ansehnlichen Mannes, dessen Karriere im Reformkloster Cluny begann und der es mit diplomatischem Geschick, angenehmen Umgangsformen und überzeugender Redegabe versteht, seinen Standpunkt unnachgebig zu verfolgen.

Zum Zeitpunkt seines Amtsantrittes tobt zwischen Kaisertum und Papsttum der Investiturstreit, also der Streit darum, wer das Recht auf Bischofsernennungen haben soll. Unnachgiebig vertritt er, der sich vorerst eines vom deutschen Herrscher Heinrich IV ernannten Gegenpapstes zu erwehren hat, das Anliegen Roms und spricht den weltlichen Herrschern jegliche geistliche Privilegien ab: Bischofsernennungen sind allein Sache des Papstes, ja der Kaiser selbst erhält seine Würden vom römischen Bischof - womit der Zwei Schwerter-Lehre widersprochen wird.

Papst Urban II., aus dem 'Roman de Godfroi de Bouillon', 14. Jahrhundert

Während Urbans Amtsperiode kommt es zu einer Wiederannäherung zwischen Rom und dem Patriarchat von Konstantinopel. Byzanz leidet zu jener Zeit zunehmend unter dem Vordringen der türkischen Seldschuken, die nach ihrem Sieg 1071 in Mantzikert über die oströmische Armee zunehmend das Innere Anatolien über- schwemmen und auch Byzanz selbst bedrohlich nahe rücken. Als der oströmische Kaiser Alexios Komnenos im Gefolge der sich verbessernden Beziehungen ein Hilfegesuch an den Papst sendet, in dem die Bedrückungen der Christenheit durch die einfallenden Horden und deren angebliche Greueltaten in dunkelsten Farben geschildert werden, dürfte er wohl hauptsächlich die Unterstützung durch westliche Söldner im Sinn gehabt haben. Doch in Urban reift der Gedanke zum 'Heiligen Krieg', ein Gedanke den schon Gregor VII verfolgte. Ähnlich wie in Spanien, wo christliche Ritter aus vieler Herren Länder die Reconquista unterstützen, sollen sich christliche Ritterheere auf den Weg in den Osten aufmachen um Byzanz von der Bedrohung durch die Seldschuken zu befreien. Doch nicht genug damit, sollen auch die heiligsten Stätten der Christenheit, soll Jerusalem selbst aus den Händen der Ungläubigen befreit werden. Ein christlicher Staat, der all jene Stätten umfasst, an denen Jesus gewirkt und gelitten hat, und der unter der Oberhoheit des Papstes und der Führung eines päpstlichen Legaten steht, wird die Wege für alle christlichen Pilger im Heiligen Land dauerhaft sichern.

Natürlich verfolgt Urban bei seinem Kreuzzugsgedanken nebenbei auch ganz handfeste politische Absichten. Erstens bietet ihm ein derartiger Zug christlicher Ritter aus allen Ländern Europas, der unter Führung eines päpstlichen Stellvertreters steht, die Gelegenheit, seinen Oberhoheitsanspruch gegenüber den weltlichen Großen zu betonen.
Außerdem ergibt sich die Möglichkeit, den Tatendrang des stets kriegsbegierigen und -bereiten Adels, zu dessen Idealen das Waffenhandwerk seit jeher zählt, auf Ziele außerhalb der christlichen Länder zu lenken: 'Tötung eines Christen ist eine schwere Sünde, der Krieg im Namen des Glaubens hingegen gottgefällig,' so lautet die vorherrschende Meinung in der Kirche, der es nie gelungen ist, die Idee des Gottesfriedens in den europäischen Ländern dauerhaft durchzusetzen.
Schließlich eröffnet ein derartiges Unternehmen die Chance, den Einfluss Roms auf die Ostkirche dauerhaft zu verstärken und die Vorherrschaft Roms in geistlichen Fragen durchzusetzen ...

Ende 1095 ist es schließlich soweit: Papst Urban II. bereist Frankreich und hat im Zuge dieser Reise zu einem Konzil aufgerufen. An diesem Konzil, das vom 18. bis zum 28. November in Clermont tagt, nehmen gut 300 hohe geistliche Würdenträger aus Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien teil. Neben Fragen der Laieninvestitur und strengeren Regeln, welche den oft ausschweifenden Lebensstil vieler Kleriker mäßigen sollen, stehen vorerst Fragen der französischen Kirche im Vordergrund. So wird der französische König Philipp I. wegen dessen unrechtmäßiger zweiter Ehe exkommuniziert, ebenso der Gegenpapst Klemens III.

Am 27. November kommt es jedoch zu einer mit Spannung erwarteten Rede des Papstes vor Klerikern und Laien: Wegen des großen Andranges wird die Versammlung ins Freie verlegt; der Papst schildert die Unterdrückungen der Christenheit im Osten und ruft mit flammenden Worten zum 'Heiligen' Krieg auf:

,,Ihr wißt, geliebte Brüder, wie der Erlöser der Menschheit, als er uns zum Heile menschliche Gestalt angenom- men hatte, das Land der Verheißung mit seiner Gegenwart verherrlichte und durch seine vielen Wunder und durch das Erlösungswerk, das er hier vollbrachte, noch besonders denkwürdig machte. Hat nun gleich der Herr durch gerechtes Urteil zugegeben, daß die Heilige Stadt wegen der Sünden ihrer Bewohner mehrmals in die Hände ihrer Ungläubigen geriet, hat er sie auch eine Zeitlang das schwere Joch der Knechtschaft tragen lassen, so dürfen wir darum doch nicht glauben, daß er sie verschmäht und verworfen habe. Die Wiege unseres Heils nun, das Vaterland des Herrn, das Mutterland der Religion, hat ein gottloses Volk in seiner Gewalt. Das gottlose Volk der Sarazenen drückt die heiligen Orte, die von den Füßen des Herrn betreten worden sind, schon seit langer Zeit mit seiner Tyrannei und hält die Gläubigen in Knechtschaft und Unterwerfung. Die Hunde sind ins Heiligtum gekommen, und das Allerheiligste ist entweiht. Das Volk, das den wahren Gott verehrt, ist erniedrigt; das auserwählte Volk muß unwürdige Bedrückung leiden. Das königliche Priestertum muß als Sklave Ziegel brennen; die Fürstin der Länder, die Stadt Gottes, muß Tribut zahlen. Will einem nicht die Seele darüber zergehen, will einem nicht darüber das Herz zerfließen? Liebe Brüder, wer kann das mit trockenen Augen anhören? Der Tempel des Herrn, aus dem er in seinem Eifer die Käufer und Verkäufer hinausgetrieben hat, damit das Haus seines Vaters nicht eine Mördergrube werde, ist nun Sitz des Teufels geworden. Die Stadt des Königs aller Könige, die den andern die Gesetze des unverfälschten Glaubens gegeben hat, muß heidnischem Aberglauben dienstbar sein. Die Kirche zur heiligen Auferstehung, die Ruhestätte des Herrn, steht unter der Herrschaft derer, die an der Auferstehung keinen Teil haben, sondern als Stoppeln zur Erhaltung des ewigen höllischen Feuers werden dienen müssen. Die ehrwürdigen Orte sind in Schafkrippen und Viehställe verwandelt. Dem preiswürdigen Volke werden die Söhne entrissen und gezwungen, heidnischer Unreinheit dienstbar zu werden und den Namen des lebendigen Gottes zu verleugnen oder mit lasterhaftem Munde zu schmähen, und wenn sie sich den gottlosen Befehlen widersetzen, so werden sie wie das Vieh hingeschlachtet, Genossen der heiligen Märtyrer. Den Tempelshändlern gilt jeder Ort, jede Person gleichviel; sie morden die Priester im Heiligtum. Wehe uns, die wir in den Jammer der gefahrvollen Zeit versunken sind, von der der fromme König David, sie im Geiste voraussehend, klagend gesprochen hat: ,,Gott, es sind Heiden in dein Erbe gefallen; die haben deinen heiligen Tempel verunreinigt. Herr, wie lange wirst du zürnen und deinen Eifer wie Feuer brennen lassen? Wehe uns, daß wir dazu geboren sind, unseres Volkes und der Heiligen Stadt Zerstörung sehen und dazu stille sitzen zu müssen und die Feinde ihren Mutwillen treiben zu lassen! Bewaffnet euch mit dem Eifer Gottes, liebe Brüder, gürtet eure Schwerter an eure Seiten, rüstet euch und seid Söhne des Gewaltigen! Besser ist es, im Kampfe zu sterben, als unser Volk und die Heiligen leiden zu sehen. Wer einen Eifer hat für das Gesetz Gottes, der schließe sich uns an. Wir wollen unsern Brüdern helfen. Ziehet aus, und der Herr wird mit euch sein. Wendet die Waffen, mit denen ihr in sträflicher Weise Bruderblut vergießt, gegen die Feinde des christlichen Namens und Glaubens. Die Diebe, Räuber, Brandstifter und Mörder werden das Reich Gottes nicht besitzen; erkauft euch mit wohlgefälligem Gehorsam die Gnade Gottes, daß er euch eure Sünden, mit denen ihr seinen Zorn erweckt habt, um solch frommer Werke und der vereinigten Fürbitten der Heiligen willen schnell vergebe. Wir aber erlassen durch die Barmherzigkeit Gottes und gestützt auf die heiligen Apostel Petrus und Paulus allen gläubigen Christen, die gegen die Heiden die Waffen nehmen und sich der Last dieses Pilgerzuges unterziehen, alle die Strafen, welche die Kirche für ihre Sünden über sie verhängt hat. Und wenn einer dort in wahrer Buße fällt, so darf er fest glauben, daß ihm Vergebung seiner Sünden und die Frucht ewigen Lebens zuteil werden wird. Unterdessen aber betrachten wir diejenigen, welche im Glaubenseifer jenen Kampf auf sich nehmen wollen, als Kinder des wahren Gehorsams und stellen sie unter den Schutz der Kirche und der heiligen Apostel Petrus und Paulus; sie sollen vor jeder Beunruhigung ihres Eigentums oder ihrer Personen gesichert sein."

Ausschnitt der Rede Papst Urbans II. auf dem Konzil von Clermont nach der Historia rerum in partibus transmarinis gestarum, einer Geschichte der Kreuzzüge aus der 2.Hälfte des 12. Jahrhunderts. Geschaffen wurde dieses Geschichtswerk von Wilhelm von Tyrus, der unter anderem als Erzieher König Balduins IV. von Jerusalem und später als dessen Kanzler wirkte.

Die Rede, die wohlvorbereitet und vermutlich mit wichtigen Entscheidungsträgern abgesprochen ist, ent- flammt die Menge. 'Deus le volt - Gott will es' , ertönen immer wieder Rufe und unterbrechen die Ansprache. Adhemar von Monteil, der Bischuf von Le Puy fällt vor dem Papst auf die Knie und bittet um Erlaubnis am Zug teilnehmen zu dürfen. Hunderte folgen an diesem Tag seinem Beispiel und viele weitere werden es in den nächsten Wochen und Monaten sein, die folgen. Zur Kennzeichnung jener, die 'das Kreuz genommen haben' werden Tücher in Streifen geschnitten und in Gestalt eines Kreuzes an die Schultern geheftet.

Bereits am 1. Dezember treffen Boten von Raimund von Toulouse ein, der als erster Großer das Kreuz nimmt. Urban selbst ist vom überwältigenden Zuspruch seines Aufreufes überrascht und es wird noch einige Zeit dauern, bis sich die ersten Bewaffneten auf den Weg machen. Doch der Funke ist gelegt und das Geschehen nimmt seinen unaufhaltsamen Lauf ...

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Fränkisches Reich - Tod des Gregor von Tours, des Verfassers der Historia Francorum

'Decedente atque immo potius pereunte ab urbibus Gallicanis liberalium cultura litterarum, ... '

('Da die Pflege der schönen Wissenschaften in den Städten Galliens vernachlässigt, ja sogar gänzlich in Verfall geraten ist, hat sich kein Gelehrter gefunden, so der Rede mächtig genug wäre, um in Prosa oder Versen zu schildern, was sich unter uns zugetragen hat. Und doch hat sich Vieles ereignet, Gutes wie Böses, es raseten die wilden Scharen der Gottlosen und die Wut der Könige wurde groß. Von den Irrgläubigen wurden die Kirchen angegriffen und geschützt von den Rechtgläubigen. In Vielen erglühte und in nicht Wenigen erkaltete der Glaube an Christus, die heiligen Stätten wurden von den Frommen reich geschmückt und geplündert von den Gottlosen .... ')

Mit diesen Worten beginnt Gregor von Tours die Vorrede zu seiner 'Geschichte der Franken' (Decem Libri Historiarum ), die uns als Hauptquelle für die fränkische Geschichte bis ins 6. Jahrhundert gilt. Also jener beweg- ten Epoche, mit der die Spätantike endete und in der die Weichenstellung für die weitere Geschichte Europas erfolgte.

Die Taufe des merowingischen Königs Chlodwig I., Miniatur aus dem 15. Jhdt.

Gregor, damals noch Georgius Florentius, stammte aus einer galloromanischen Senatorfamilie und wurde 538 oder 539 in Clermont geboren. Er genoss eine gründliche Ausbildung, die sowohl biblische und kirchliche Literatur wie auch den klassischen Bildungskanon der artes liberales zum Inhalt hatte. Nach dem frühen Verlust des Vaters übernahm dessen Bruder, der damalige Bischof von Clermont, die Erziehung des Knaben. In dieser Zeit erkrankte Gregor schwer und legte ein Gelübde ab, dass er in den geistlichen Stand eintreten wolle, sollte er von seiner Krankheit genesen.

Als er 563 erneut schwer erkrankte, entschloss er sich, damals bereit Gregorius diaconus genannt, den Tod vor Augen, zu einer Wahlfahrt zum Grab des heiligen Martin in Tours. Tatsächlich erfuhr er, laut eigenem Bericht, in jener Stadt eine wunderbare Heilung, in der er schließlich 10 Jahre später zum Bischof erhoben werden sollte. Über 20 Jahre dauerte seine Amtszeit, in der er als bedeutender Würdenträger auch vielfachen Umgang mit den merowingischen Großen seiner Zeit und somit Zugang zu den Schaltstellen der Macht hatte, ehe er am 17. November 594 starb.

Gregors Hauptwerk sind die zehn Bücher Historiarum libri X, die eine christliche Universalgeschichte darstellen möchten. Sie umfassen den Zeitraum von der Erschaffung der Welt bis zu den merowingischen Königen des 6. Jahrhunderts, wobei die Bücher 5 bis 10 die unmittelbare Zeitgeschichte umfassen, welche durch zahlreiche Greueltaten und Grausamkeiten der merowingischen Herrscher gekennzeichnet ist. Gregor schrieb sein Werk jedoch nicht als Historiker in unserem modernen Sinn, sondern als Kirchenvater, der vor allem im Sinn hatte, beispielgebend und belehrend zu wirken. Dennoch gilt die Historia als bedeutendste Quelle für die Zeit zwischen Antikre und dem karolingischen Reich.

Interessant ist die Sprache, in der Gregor schreibt: In seiner Vorrede entschuldigt er sich für sein schlechtes Latein, dass nicht mehr das klassische eines Cäsars oder Cicero ist. Tatsächlich handelt es sich um eine Art von Vulgärlatein, welche durch die galloromanische Umgangssprache gekennzeichnet ist; man kann wohl vermuten, dass der klassisch gebildete Gregor es vor allem deshalb verwendete, um einer möglichst breiten Schicht verständlich zu werden. Obwohl noch kein Altfranzösisch, sind darin bereits manche Elemente zu erahnen, die in den folgenden Jahrhunderten schließlich zur Ablösung der französischen Volkssprache vom Latein führten.

Gregor, dessen Werk neben der Historia noch hagiographische und theologische Schriften umfasst, blieb während des gesamten Mittelalters ein vielgelesener Autor, dem Odo von Cluny im 9. Jahrhundert eine eigene Vita widmete.

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Outremer - König Fulco von Jerusalem stirbt nach einem Jagdunfall

König Balduin II. von Jerusalem hatte vier Töchter, jedoch keinen männlichen Nachfolger. Daher wurde seine Tochter Melisende dazu ausersehen, an der Seite eines geeigneten Gemahl seine Nachfolge anzutreten. Um zu diesem Zwecke einen standesgemäßen Gatten aus dem französischen Adel auszuwählen, wurden 1128 Boten von Jerusalem an den Hof König Ludwig VI. von Frankreich entsandt. Ludwig empfahl den damals vierzigjährigen Grafen Fulco von Anjou, der das Oberhaupt eines der mächtigsten Adelsgeschlechtes des Landes war. Fulco hatte soeben seinen Sohn und Erben Gottfried mit Mathilde, der Erbin Englands und der Normandie verheiratet. Aus dieser Verbindung sollte das spätere englische Königsgeschlecht der Plantagenêts hervorgehen.

Fulco beschloss sich um Melisende zu bewerben, überließ die Familienbesitzungen seinem Sohn und erreichte im Frühjahr 1129 Jerusalem. König Balduin war über einen derartig hochrangigen Bewerber hocherfreut, zumal ihm dieser von einer früheren Pilgerfahrt her bekannt war. Ende Mai wurde Fulco mit Melisende getraut; das ganze Land war mit der Eheschließung einverstanden. Einzig die sehr viel jüngere Prinzessin selbst schien von der politischen Verbindung nicht begeistert zu sein. Balduin jedoch ließ sich von nun an bei den Staatsgeschäften von seinem neuen Schwiegersohn und vorgesehenen Nachfolger Fulcos unterstützen.

König Fulcos Tod nach Wilhelm von Tyrus, 13. Jhdt, Akkon

Ende August 1131 starb König Balduin. Drei Wochen später wurde das neue Königspaar Fulco und Melisende in der Heiligen Grabeskirche in Jerusalem gekrönt. Während jedoch die großen Herren des Königreiches Jerusalem den neuen Herrscher vorbehaltlos anerkannten, sahen die Fürsten der Herrschaften Antiochia, Edessa und Tripolis die Gelegenheit gekommen, sich aus der Jerusalemer Lehnsherrschaft zu befreien - tatsächlich war die Rechtslage diesbezüglich verworren. Alice, eine der Töchter des verstorbenen Balduins führte die Gegenpartei an. Fulco brach jedoch unverzüglich mit einem Heer nach Antiochia auf und es gelang ihm, die Aufrührer zum Einlenken zu zwingen, wohl auch deshalb, da die Mehrzahl der antiochischen Grundherren die Herrschaft einer Frau ablehnten.

Die nächste Empörung sollte sich für den neuen König gefährlicher aber auch delikater erweisen. Melisende, der an ihrem Mann nicht sehr viel gelegen, wurde ein Verhältnis mit dem jungen, attraktiven Hugo von Le Puiset, dem Herrn von Jaffa, nachgesagt. Hugo und Melisende, die seine Cousine war, waren als Jugendliche am Hofe Balduins Spielgefährten gewesen und Melisende setzte nach ihrer Hochzeit den Umgang fort. Klatsch kam auf und ließ des Königs Argwohn wachsen. Bald war der Adel des Königreiches in zwei Lager gespalten, nachdem Hugo unter der Führung von Roman Le Puy eine eigene Partei um sich geschart hatte. Im Spätsommer 1132 schließlich wurde Hugo, der sich mit einer älteren Witwe vermählt hatte, von seinem eigenen Stiefsohn des Verrats am König bezichtigt und zum Zweikampf herausgefordert. Obwohl er die Forderung annahm, zog er es vor, nicht zum vereinbarten Termin zu erscheinen. Diese Feigheit wurde als Beweis des Hochverrates angesehen und seine Freunde mussten ihn fallenlassen. In Panik rief er ägyptische Truppen zu Hilfe, welche umgehend in das Land einfielen und es zu verheeren begannen. Als jedoch Fulco mit einem königlichen Heer heraneilte, mussten die Ägypter die Flucht ergreifen. Hugo unterwarf sich dem König und wurde für drei Jahre in die Verbannung geschickt. Die Strafe fiel auch wohl deshalb so gering aus, weil er mit Melisende und dem Patriarchen von Jerusalem mächtige Fürsprecher auf seiner Seite hatte.

Noch vor der Abreise fiel der Liebling der Königin jedoch einem Attentat durch einen bretonischen Ritter zum Opfer, das er nur knapp und schwer verletzt überlebte. Sofort hing der Verdacht der Urheberschaft des anschlages über dem König. Doch Fulco ließ den Attentäter verhaften und nach dessen Geständnis grausam hinrichten und konnte so die Vorwürfe entkräften. Die Gegner Melisendes mussten jedoch noch Monate später um ihr Leben fürchten. Fulco, der nun seines Rivalen ledig war, mühte sich Melisendes Zuneigung zu gewinnen und war ihr fortan in allen Wünschen gefällig.

Mit dem Atabeg von Mossul und Aleppo Imad ad-Din Zengi erwuchs dem Königreich ein gefährlicher außen- politischer Gegner: Mehrfach fiel dieser auf fränkisches Gebiet ein und eroberte einige Grenzfestungen, darunter auch die strategisch wichtige Festung Montferand. So war Fulco die nächsten Jahre damit beschäftigt, dieser Bedrohung Herr zu werden, wobei er auch den nördlichen Fürstentümern Tripolis, Edessa und Antiochie zu Hilfe eilen musste. Doch er verstand es, das Königreich trotz aller Widrigkeiten und Intrigen nach innen und nach außen zu sichern. Zu den entsprechenden Maßnahmen zählte auch sein großangelegtes Festungsbauprogramm. So etwa wurden im Süden des Landes die Burgen Ibelin, Blanche Garde un Beth Gibelin erbaut. Während letztere der Obhut des Hospitaliterordens anvertraut wurde, bildeten die beiden anderen Festungen den Ausgangspunkt für die spätere Machtentfaltung zweier wichtiger Geschlechter.

Im Herbst 1943 befand sich der königliche Hof zu Akkon. Bei einem Ausritt, den die Königin zu machen wünschte, kreuzte ein aufgescheuchter Hase den Weg der Gesellschaft. Beim Versuch das Tier zu erlegen, wurde der König abgeworfen und sein Pferd stürzte auf ihn. Mit schwersten Kopfverletzungen brachte man Fulco nach Akkon zurück, wo er schließlich am 10. November starb. Im Namen ihres noch unmündigen Sohnes Balduin übernahm nun Melisende die Herrschaft ...

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Irene, die erste Kaiserin auf Byzanz' Thron, wird gestürzt

Irene war die Gemahlin des byzantinischen Kaisers Leo IV. Nach dessen Tod im Jahre 780 regiert sie vorerst als Vormund für ihren minderjährigen Sohn Konstantin VI.

Irenes Regierungszeit fällt in die Epoche des byzantinischen Bilderstreites; sie selbst unterstützt die Bilder- verehrer (Ikonodulen). 787 beruft sie das 2. Konzil von Nikaia ein, in dessen Verlauf die Wiedereinsetzung der Bilder beschlossen wird und auf dem es zu einer ersten verbindlichen Definition der Bilderverehrung kommt.

Kaiserin Irene setzt die Bilder wieder ein, Ikone vom Ende des 16.Jhdt

Nachdem sie zwischenzeitlich, auf Druck der Armee, ihren Einfluss verliert, herrscht sie seit 792 wieder an der Seite ihres Sohnes. Diesmal jedoch als Mitkaiserin mit dem Anrecht auf Erbfolge. Als Konstantin schließlich ein Nachfolger geboren wird, stellt sich Irene, die den Verlust ihrer Machtstellung befürchtet, an die Spitze einer Verschwörung. Konstantin wird mit ihrer Billigung ergriffen und geblendet und überlebt die Tortur nicht. Damit ist Irene nun alleinige Herrscherin von Byzanz (797) und die erste Frau auf dessen Thron.

Um sich bündismäßig mit dem mächtigsten Herrscher des Westens, dem Karolinger Karl, abzusichern, gedenkt sie, die alte Tradition des Doppelkaisertums wieder aufleben zu lassen. Karl, dem sehr an der Anerkennung seiner Stellung durch Ostrom liegt, kommen diese Vorstellungen entgegen. Zu Weihnachten 800 wird er durch Papst Leo III. in Rom zum Kaiser gekrönt. Der Papst jedoch vertritt die Meinung, dass eine Frau nicht den Oberbefehl über das Heer innehaben und somit auch nicht den römischen Kaisertitel tragen kann. Er lässt die vereinbarten Akklamationen an Irene fallen - anstatt eines geplanten Doppelkaisertums sieht er das Imperium von Byzanz an den fränkischen Herrscher übergehen.

Trotz dieser Irritationen werden die Verhandlungen zwischen Byzanz und dem neuen 'römischen Kaiser' fort- geführt. Nach dem Bericht des byzantinischen Chronisten Theophanus (aber ohne Bestätigung durch westliche Chronisten) sollen sie zum abenteuerlich klingenden Plan geführt haben: Irene soll sich mit Karl zum Zwecke der Vereinigung von Ost- und Westreich vermählen. Auf diese Weise hätte Karl die Legitimierung seiner Kaiserwürde durch Übernahme der Herrschaft im wahren Rechtsnachfolger Roms, dem Byzantinischen Reich, erhalten. Schenkt man zeitgenössischen Chroniken Glauben, so soll sich Irene diesen Überlegungen nicht abgeneigt gezeigt haben ...

Ob dieser Bericht den Tatsachen entspricht oder ob es sich nur um ein von den Gegnern der Kaiserin ausge- streutes Gerücht handelt, muss unbeantwortet bleiben. Als nämlich die fränkischen Gesandten, welche der Kaiserin angeblich Karls Hand anzubieten die Aufgabe hatten, in Byzanz eintreffen, werden sie nur Zeugen ihres Sturzes (31. Oktober 802). An der Spitze einer Verschwörung höchster Staatswürdenträger, steht der Großschatzmeister Nicephorus. Irene wird nach Lesbos verbannt, wo sie schon im folgenden Jahr stirbt.

Nicephorus, der sich nun zum byzantinischen Kaiser aufschwingt, verweigert Karl die Anerkennung des Kaisertitels. So kommt es, dass die Idee eines einheitlichen römischen Kaisertums aufgegeben werden muss; vielmehr muss der Frankenherrscher sich damit begnügen, 'er sei Kaiser neben dem Kaiser von Ostrom, diesem gleichberechtigt' Diese anhaltende Trennung in zwei Reiche wird in Zukunft auch die Kluft zwischen östlicher und westlicher Christenheit vertiefen.

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Rückschlag für die Reconquista - Die Schlacht bei Zalaca (Sagrajas)

Nach dem Tod des Wesirs al-Mansur (Almansor) im Jahre 1002 hatte das Kalifat von Cordoba zu zerfallen begonnen. Araber und Berber bekämpfen sich auf der iberischen Halbinsel. Es entstehen bis zu dreißig mohammedanische Kleinstaaten, deren Herscher sich in stets wechselnden Bündnissen zu behaupten suchen.

Maurische Architektur - Innenhof eines maurischen Palastes in Sevilla

Der christlichen Staaten der Halbinsel verstehen es die Gunst der Stunde zu nutzen und in fortlaufenden Auseinandersetzungen Boden gutzumachen. Nachdem Pabst Alexander II. 1063 zum Kreuzzug gegen das maurische Andalusien aufgerufen hat, gehen Kastilien und Aragon gemeinsam gegen die zersplitterten islamischen Fürstentümer vor. Wenn es die politische Lage erfordert, wird dabei auch vor kurzfristigen Allianzen mit muslimischen Herrschern nicht zurückgeschreckt.

So gelingt es im Jahre 1085 Alfonso VI., dem König von Kastilien, mit Unterstützung von Al-Mutammed, dem Herrn von Sevilla, die alte und bedeutende Stadt Toledo, die ehemalige Hauptstadt des Westgotenreiches, für die Christenheit zurückzuerobern. Doch Alfonso will sich mit dieser Eroberung nicht begnügen, sondern gedenkt, die Uneinigkeit und Eifersüchteleien der marischen Kleinkönige für weitere Eroberungen auszunützen. Als er sich gegen Sevilla wendet, entschließen sich die Fürsten Andalusiens den almoravidischen Führer Jussuf Ibn-Teschufin aus Nordafrika zu Hilfe zu rufen. Noch ahnen sie nicht, dass sie durch diese Maßnahme erst recht ihre Unabhängigkeit verlieren sollen.

Bei den Almoraviden handelt es sich um eine kriegerische Berberdynastie, die einer strengen Glaubensauslegung folgt. Um die Mitte des 11. Jahrhunderts hatte diese Dynastie begonnen, ihr nordafrikanisches Reich mit der neuangelegten Hauptstadt Marrakesch zu gründen.

Jussuf Ibn-Teschufin landet mit einem großen Heer in Spanien, dass durch die einheimischen mohammedanischen Truppen noch einen bedeutend Zuwachs erfährt. Alfonso hat jedoch ebenfalls starke Streitkräfte versammeln können. Am Donnerstag den 25. Oktober stehen die beiden Feldherren einander gegenüber. Alfonso gedenkt, seinen Gegner zu überrumpeln - und so schlägt er seinem Gegner eine Verschiebung des Zusammenstoßes auf den folgenden Montag vor. Damit, so seine Begründung, müsste weder am Freitag, dem Ruhetag der Mohammedaner, noch am Samstag, dem Sabath der in beiden Heeren zahlreich vertretenen Juden, noch am christlichen Sonntag gekämpft werden. Jussuf geht auf dieses Ansinnen ein, doch als Alfonso am Freitagmorgen bei Sonnenaufgang überraschend angreift, findet er das mohammedanische Heer wohlgeordnet und vorbereitet.

Bis in den Nachmittag wogt die Schlacht hin und her, doch als es den Muslimen schließlich gelingt, Alfonso einzukreisen, geraten dessen Truppen in Panik und beginnen zu fliehen. Die Schlacht ist für die Christen verloren und Alfonsos Heer muss fürchterliche Verluste einstecken. Der König selbst kann nur mit wenigen seiner Ritter verwundet entkommen.

Bis ins Jahr 1092 erobern die kriegerischen Almoraviden die andalusischen Fürstentümer - nur Valencia und Saragossa könnenen ihre Unabhängigkeit vorerst behaupten. Als Folge seiner Niederlage ruft Alonso zunehmend ausländische christliche Kreuzfahrer zu Hilfe. Unter diesen ist auch Heinrich von Burgund, der zum Stammvater der ersten portugisischen Königsdynastie werden soll ...

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Das Ende des Volkskreuzzuges - Die Katastrophe von Civetot

Papst Urban II. hatte im November 1095 in einer flammenden Rede zum heiligen Krieg gegen die Ungläubigen aufgerufen und damit vor allem Fürsten und Ritter, die adeligen Berufskrieger also, ansprechen wollen. Die Vorbereitung der Herren für diesen Zug benötigt jedoch noch ihre Zeit. Währenddessen verbreiten Wanderprediger den Kreuzzugsgedanken auch unter dem einfachen Volk. Unter Führung Peter des Einsiedlers, eines charismatischen Mönchs, bricht zu Ostern 1095 ein Haufen von etwa zwanzigtausend überwiegend armen und schlechtgerüsteten Menschen zum beschwerlichen Marsch nach Palästina auf. Die Aussicht auf ein besseres Leben und auf die Vergebung all ihrer Sünden treibt sie an. Unter ihnen befinden sich auch viele Frauen und Kinder. Nur einzelne, wenige Ritter wie etwa Walter Sans-Avoir ('Habenichts') schließen sich dem Zug an. Während sich die eigentlichen Ritterheere gerade erst zu sammeln beginnen, zieht dieser sogenannte Volkskreuzzug eine Spür der Verwüstung durch Mitteleuropa, Ungarn und die nordwestlichen Provinzen des byzantinischen Reiches. Mit keinerlei Reichtümern ausgestattet, decken seine Teilnehmer ihren Nahrungsbedarf durch Raub und Plünderung. Judenprogrome und Auseinandersetzungen mit der einheimischen Bevölkerung stehen auf der Tagesordnung.

Peter der Eremit auf der Straße nach Jerusalem - französisches Manuskript um ca. 1270

Nachdem die disziplinlosen Haufen Byzanz erreicht haben, werden sie von Kaiser Alexios Komnenos eilig über den Bosporus gesetzt, der sie möglichst rasch aus der Umgebung von Konstantinopel zu entfernen sucht. In dem befestigten byzantinischen Feldlager Kibotos oder Civetot, in der Nähe von Nikomedia an der Küste Kleinasiens gelegen, machen sie Rast. Doch anstatt hier, wie vom oströmischen Kaiser empfohlen, das Eintreffen der gut gerüsteten Ritterheere abzuwarten, wetteifern Franzosen einerseits, Deutsche und Italiener andereseits mit Raubzügen ins Umland, die sie schließlich weit in türkisch besetztes Gebiet führen. Bis vor die Tore Nikäas, der Hauptstadt des Seldschuken-Sultans Kilidsch Arslan, reichen diese vorerst erfolgreichen Streifzüge.

Gegen Ende September erobert ein Truppe Deutscher die die mit Nahrungsmitteln wohl versehene Festung Xerigordon. Die Christen werden jedoch bald von einem großen türkischen Heer eingekesselt und müssen, da die einzige Trinkwasserquelle außerhalb der Burgmauern liegt, nach acht Tagen kapitulieren. All jene von ihnen, die ihrem Glauben nicht abschwören und zum Islam konvertieren, werden hingemetzelt.

Nach Civetot gelangt zunächst nur die Nachricht vom Erfolg der Deutschen. Sogar ein Gerücht von der Eroberung Nikäas selbst mit all seinen Reichtümern breitet sich aus - von türkischen Spähern verbreitet. Unruhe kommt auf und die Menschenmassen sind kaum davon abzuhalten, sofort nach Nikäa zu ziehen. Fürchtet doch ein jeder, um seinen Anteil der Beute zu kommen. Doch als die Wahrheit über das Schicksal der in Xerigordon Eingeschlossenen bekannt wird, schlägt die Begeisterung der Volksmasse in Wut um. Die Führer des Zuges treten zusammen. Peter der Einsiedler weilt zu diesem Zeitpunkt gerade in Konstantinopel. Die Besonnenen, unter ihnen Walter Sans-Avoir oder Hugo von Tübigen, raten, vorerst nichts zu unternehmen um eine Auseinandersetzung mit den Türken zu vermeiden. Doch im Lager hat sich längst eine Stimmung breitgemacht, die nach Rache für Xerigordon verlangt. Vorerst kann Walter seine Genossen noch bewegen im Lager zu verbleiben um Peters Rückkehr abzuwarten. Doch dieser bleibt aus und einige Tage später setzt sich Gottfried Burel mit seiner Meinung durch, die auch jener im Heer entspricht: Man wird den Seldschuken entgegentreten, um Rache zu nehmen.

Im Morgengrauen des 21. Oktobers zieht der gesamte Heerhaufen, vermutlich über zwanzigtausend Mann stark, aus dem befestigten Heerlager. Kaum drei Meilen entfernt lauern die Türken bereits im sorgfältig angelegten Hinterhalt auf den Hängen eines engen Tals. Unversehens prasselt ein Pfeilhagel auf die sorglosen und völlig unvorbereiteten Scharen der Christen ein als sie das Tal passieren. Die Pferde der wenigen Ritter, die an der Spitze des Zuges reiten, werden getroffen und getötet oder sie scheuen im Wirbel und werfen ihre Reiter ab. Im selben Moment greifen die Türken an. Die meisten der Ritter wehren sich mit großer Tapferkeit, doch sie werden von den Angreifern auf das Fussvolk zurückgeworfen. Panik breitet sich aus und binnen kurzer Zeit befindet sich die gesamte christliche Streitmacht in wilder Flucht zurück nach Civetot. Dort haben die Zurückgelassenen, Alte, Kranke, Frauen und Kinder, gerade erst ihr Tagewerk begonnen. In sie hinein brechen nun die angsterfüllt Fliehenden, dichtauf gefolgt von den Türken. Keinerlei Verteidigungsvorkehrungen sind getroffen und so kommt es auch zu keinem wirklichen Widerstand mehr. Männer, Frauen und Kinder werden niedergemtzelt, manche noch im Schlaf. Nur hübsche Jungen und Mädchen bleiben verschont, denen bestimmt ist, in die Sklaverei verschleppt zu werden. Auch fast alle Rittern fallen oder werden im Kampf schwer verwundet und nur einem kleinen Teil der Christen gelingt die Flucht. In einem verlassenen Schloss am Meeresufer können sie sich verschanzen. Die Ankunft einer von Kaiser Alexios gesandten byzantinischen Flotte rettet schließlich diese Glücklichen vor dem Untergang.

Gegen Mittag ist das Schlachten vorüber; Tausende von Gefallenen bedecken das Feld. Als ein Jahr später die regulären Ritterheere den Ort des Grauens passieren, stößt es auf Berge von gebleichten Gebeinen. Fulcher von Chartres, ein Chronist des ersten Kreuzzuges schrieb: 'Wie viel abgeschlagene Köpfe, wie viel Gebeine getöteter Menschen fanden wir da auf den Feldern liegen ...'

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