Saelde und Ere - Mittelhochdeutsche Originaltexte

Das Wunderbett 'Lit marveile' in Clinschors Zauberburg

Nachdem er vom Wunderbett ordentlich durchgeschüttelt und auch sonst recht rüde behandelt wurde, erfährt Gawain auf Schastel marveile die gebührende Pflege, Werkstätte des Diebold Lauber, Mitte 15. Jhdt.

Kürzlich behaupteten wir doch an anderer Stelle, nicht nur der hellenistischen Antike und der Neuzeit wären Automaten und automatisch arbeitende Vorrichtungen bekannt gewesen, sondern auch dem Mittelalter. Sogar dem europäischen, weit vor dem Auftreten eines Leonardo da Vinci. Natürlich bedarf eine solche Behauptung auch geeigneter Quellen, um sie ausreichend zu untermauern und zu belegen.

Selbstverständlich gilt es da Skizzenbücher heranzuziehen, Handwerkerberichte, die über Gegebenheiten auf Baustellen berichten, Beschreibungen, die uns Reisende von den Wundern ferner Gegenden mitbringen und dergleichen mehr. Doch wir von Sælde und êre wissen, was wir von solchen Quellen zu halten haben: Nicht immer ist für bare Münze zu nehmen, was uns darin überliefert wird - zu groß war da des Öfteren das Staunen des aus heimischen Gefilden ausgeschickten Gesandten am exotischen Hof, zu raffiniert die zur Einschüchterung gedachten Blendwerke, die zwitscherten und röhrten und rauchten ...

Baumeister, Architekten, Gelehrte ... nein, nein - wenn es um das Auftreten von Automaten geht, braucht es Berichte aus vertrauenswürdigeren Quellen, Berichte von Männern, die es gewohnt sind, erst einmal kräftig dreinzuhauen anstatt lange gaffend das Maul offenzuhalten, von Männern, die sich durch nichts und niemanden beeindrucken und blenden lassen (außer allenfalls weiblicher Anmut und Schönheit). Ihr, liebe Leser, wisst natürlich längst, an wen wir da denken - natürlich an die Helden der mittelalterlichen Aventiurenliteratur, an all die Mannen des besten aller Könige, Artus, die da so wacker durch dunkle Wälder und Kemenaten ziehen. Denn deren Berichte und Erzählungen - vertraut unserer Versicherung! - können wir blindlings vertrauen!

Und wer wäre davon besser geeignet als die Nummer 1 selbst, als Artus Musterritter schlechthin, als Gawein, um uns das Vorhandensein mittelalterlicher Automaten zu bestätigen. Heimtückischer, hinterlistiger Vorrichtungen, deren bösartigem Tun sich selbst so unerschrockene Kämpen wie er manchmal machtlos ausgesetzt sehen und dabei auch ordentlich durchgebeutelt werden, wie uns folgender Ausschnitt aus dem 'Parzival' des Wolfram von Eschenbach verdeutlicht:

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Parzival (XI, 566, 5ff.)

....
Er entdeckte in einer Wand,
ich weiß nicht auf welcher Seite,
eine Tür weit offen stehen,
hinter der ihm erwarten sollte
der Erwerb großen Ruhms
oder im Streben nach Ruhm der Tod.
Er trat in die Kemenate.
Deren Estrichboden glänzte
kristallen, glatt wie Glas.
Da stand das Lit marveile,
das Wunderbett.
Vier Räder drehten sich darunter,
aus runden, glänzenden Rubinen,
so dass der Wind nie so schnell war.
....
Er ging auf das Abenteuer los.
Immer wenn er näher trat,
fuhr das Bett von der Stelle,
an der es gestanden hatte.
....
Er dachte: 'Wie komme ich zu dir,
wenn du mir ausweichst?
Ob ich dich zu fassen kriege,
wenn ich auf dich springe?'
Als das Bett vor ihm stand,
schnellte er zum Sprung empor
und sprang mitten darauf!
Die Geschwindigkeit vermag sich niemand vorstellen,
mit der es hin und her raste.
Keine der vier Wände ließ es dabei aus,
stieß mit solcher Wucht daran,
dass die ganze Burg davon erdröhnte.
So ritt er manch scharfe Attacke!
....
Gawein musste (die ganze Zeit) wachen,
während er im Bette lag.
Was der Held da machte?
Der Lärm zwang ihn dazu,
sich den Schild überzuziehen.
So lag er und ließ den walten,
der stets helfen kann
....
denn fand das Dröhnen ein Ende.
So dass die vier Wände
alle gleich weit entfernt waren, gemessen dahin
wohin das Bett gefahren war:
mitten auf dem Estrich stand es.
....

Parzival (XI, 566, 5ff.)

....
Er sach an einer wende,
ine weiz ze wederre hende,
eine tür wît offen stên,
dâ innerhalp im solte ergên
hôhes prîses erwerben
oder nâch dem prîse ersterben.
er gienc zer kemenâten în.
der was ir estrîches schîn
lûter, haele, als ein glas,
da Lît marveile was,
daz bette von dem wunder.
vier schîben liefen drunder,
von rubbîn lieht sinewel,
daz der wint wart nie sô snel:
....
er gienc nâch âventiure.
Immer als dicke er trat,
daz bette vour von sîner stat,
daz ê was gestanden.
....
er dâhte 'wie kum ich ze dir?
wiltu wenken sus vor mir?
ich sol dich innen bringen,
ob ich dich mege erspringen.'
do gestuont im daz bette vor:
er huop sich zem sprunge enbor,
und spranc rehte enmitten dran.
die snelheit vreischet niemer man,
wie daz bette her und da sich stiez.
der vier wende deheine ez liez,
mit hurte an ieslîche ez swanc,
daz al diu burc dâ von erclanc.
sus reit er manegen poynder grôz.
....
Gâwân mouse wachen,
swie er an dem Bette laege.
wes der helt dô pflaege?
des galmes hete in sô bevilt
daz er zucte über sich den schilt:
Er lac, unde liez es walten
den der helfe hât behalten,
....
nu gewan daz crachen ende,
sô daz die vier wende
gelîche wâren gemezzen dar
aldâ daz bette wol gevar
an dem estrîche enmitten stuont.
....

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Anmerkungen:

'Schastel marveile' - die Wunderburg des Clinschor/Klingsor. Dort ist es, wo unser Recke die erschrecklichen Dinge erdulden muss - und wenn ihr nun glaubt, mit dem geschilderten Bocksritt wären alle Widrigkeiten augestanden, dem sei bereits hier verraten, dass noch einiges an Gemeinheiten auf den wackeren Streiter zukommen wird, ehe er die vierhundert dort gefangengehaltenen Damen erlösen kann.

Der mittelalterliche Leser vermutet hinter den Absonderlichkeiten, die uns Wolfram in dem ausgewählten Textstück schildert, natürlich sofort Magie. Schwarze Magie, handelt es sich doch bei diesem Klingsor um einen Schwarzmagier der übelsten Sorte, der nichts Besseres - oder Schlimmeres - zu tun hat, als sich für seine erlittene Ungemach ob missglückter Minne an allen hübschen Frauen zu rächen und allen Rittern, die zur Rettung herbeieilen, schlimme Fallen zu stellen!

Wir aber, die geschärften Sinnes sind ob des Auftretens mechanisierte Teufelsdinger, sehen im geschilderten Wunderbett etwas, das man heutzutage als autonomen Fahrroboter bezeichnen würde. Hinreichend mit Sensorik ausgestattet, um jede Annäherung unseres Kämpen zu erkennen, mit Aktorik, die es ihm gestattet, darauf mit prompten Ausweichen zu reagieren (was der heutige Fachmann als 'Echtzeitverhalten' definieren würde) und später den Bedauernswerten ordentlich durchzuschütteln, und einem offensichtlich ausgeklügelten Programm versehen, dass ihm erlaubt, seine Strategie zu ändern, nachdem es erkannt hat, dass es Gawein nicht wird abschütteln können ..

Genaus so gut wie den Zauberer, meinen wir, in Klingsor einen mittelalterlichen Mechaniker erkennen zu dürfen (schließlich muss, einem bekannten Ausspruch zu Folge, jede hinreichend fortgeschrittene Technologie auf den Unbedarften wie Magie wirken), der sich im fernen Osten die finsteren Künste der Mechatronik angeeignet hat, und diese nun - wie es verrückte Wissenschafter und Forscher gerne tun - dazu verwendet, um dem eisengewandeten Teil der Menschheit Unheil zu schaffen.

Auf noch eines möge der Leser sein Augenmerk werfen: Auf die feine Ironie nämlich, mit der Wolfram den ausgezeichneten Minneritters Gawein, der auf seinen Fahrten so vielen Damen galant zu Diensten ist, eines seiner gefährlichsten Abenteuer ausgerechnet in einer Kemenate auf einem verwaisten Bett erleben lässt. Dass er dabei nicht unbedingt gut aussieht, und recht hilflos durch manch wilde Attacke mehr geritten wird, anstatt selbst zu reiten, mag den Zeitgenossen der arthurischen Versdichtungen, denen all die Minneabenteuer des Kämpen bestens bekannt waren, zu manch spöttischem Lächeln angeregt haben. Vielleicht auch zum verständnisvollen Kopfnicken, dann, wenn man selbst schon die Macht erfahren musste, mit der die Minne einen jeden gerade so durchzurütteln vermag wie dieses verdammte Bett unseren wackeren Helden ....

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